Wenn die Natur ungerecht ist, ändere die Natur

Von Donna Haraway zum Xenofeminismus

von Sonja Eismann

Viele von uns erinnern sich noch an die Geschlechterutopien der 1990er Jahre, die eng mit den Hoffnungen auf die Potentiale digitaler Technologien verknüpft waren. Während tagsüber in feministischen Lesezirkeln aufgeregt bis verwirrt das Cyborg-Manifest von Donna Haraway diskutiert wurde, tanzten wir nachts in einer scheinbar geschlechtslosen Masse zu elektronischer Musik auf Raves, freuten uns darauf, dass mit der Herrschaft von Maschinenmusik und depersonalisierten DJs Gender in der Popkultur der Zukunft keine Rolle mehr spielen würde und waren berauscht von den neuen Möglichkeiten des Internet, in dem niemand uns sehen konnte und wir unsere Namen (und damit auch Geschlechter) frei wählen konnten.

Bekanntlich kam alles anders: nicht nur kehrten bald die langweiligen vier-Jungs-mit-Gitarre-Bass-Schlagzeug-Rockbands zurück, sondern Techno und andere Clubmusiken entpuppten sich als exklusiver Jungsverbund, in dem in den allermeisten Fällen männliche DJs umjubelte Stars und Frauen auf die Rolle attraktiver Tanzmäuse, die von der nötigen Technik zum Auflegen und Tracks produzieren keine Ahnung hatten, reduziert waren. Auch die paradiesischen Weiten des Cyberspace verwandelten sich für viele Feminist_innen aufgrund immer ausufernderer Kommunikationspensen und gewalttätiger Hasspostings in einen Ort, der nur noch mit entsprechenden Vorsichtsmaßnahmen zu genießen war. Durch die Zunahme von bildbasierten Technologien im Internet sind Frauen zudem in besonderer Weise Zielscheiben einer patriarchalen Kontrolle weiblicher Sexualität, die kein (freiwillig oder unfreiwillig) gepostetes Nacktfoto jemals vergisst oder vergibt, wie die Autorin Laurie Penny in ihrem Buch „Unsagbare Dinge“ wütend festhält.

„Angesichts der Dominanz gegenwärtiger digitaler Bildtechnologien (…) scheinen die technologischen Fantasien, Identitäten einfach auflösen zu können, nicht mehr adäquat, ja geradezu politisch naiv“, heißt es im kürzlich erschienen Merve-Band „dea ex machina“. Dennoch haben es sich die beiden Herausgeber_innen des Buches, Helen Hester und Armen Avanessian, zur Aufgabe gemacht, den Cyberfeminismus der 1990er Jahre einem Update zu unterziehen, das sie in den neuen Strömungen des feministischen Akzelerationismus bzw. des Xenofeminismus verwirklicht sehen. Analog zum Akzelerationismus ohne Adjektiv, der bis dato eine ziemlich männlich besetzte Angelegenheit war und für seine machistisch-nihilistischen, an den Futurismus gemahnenden Beschleunigungstheorien gleichermaßen kritisiert wie bejubelt wurde, sollen zukunftsgewandte, profeministische Technologien nun die kapitalistischen Verhältnisse so zum Überhitzen bringen, dass sie kollabieren und die Bahn frei machen für eine gerechtere, emanzipatorische Welt. Der Weg dahin, der im xenofeministischen Manifest des Kollektivs Laboria Cuboniks ähnlich philosophisch überdreht und vage formuliert ist wie bei Haraway, führt einerseits über die Umarmung der Entfremdung (daher auch der Zusatz „xeno“ für fremd), des Anti-Naturalistischen und des Rationalismus, andererseits über die Schaffung einer Plattform, die die Abschaffung von unterdrückerischen Kategorien wie Geschlecht, Rassifizierung oder Klasse zur Voraussetzung einer „grundlegenden Neugestaltung des Universellen“ erklärt. Das Manifest endet mit den Worten „If nature is unjust, change nature“ („Wenn die Natur ungerecht ist, ändere die Natur“) und klingt dabei wie ein Update des 1970er-Jahre-Slogans „Biology is not destiny!“

Die konkreteren Vorschläge, die für die xenofeministische Revolution in Stellung gebracht werden, sind mit der Betonung von eigenen Räumen auch im Internet, dem „Blick auf Wohnräume als geteilte Labore“, dem gerechteren Zugang zu reproduktiven, pharmakologischen, ökologischen und arbeitsspezifischen Werkzeugen nicht gerade so neu – bis auf die Betonung des auch von Paul B. Preciado in jüngster Zeit in Stellung gebrachten Biohacking des menschlichen Körpers durch Hormone oder die Vorstellung des menschlichen Gehirns als Open-Source-fähige „Wetware“.

Doch wo die Xenofeministinnen eine „Bejahung der Zukunft“ durch Technik feiern, sehen andere „das Ende der Frauenbewegung“. Iris Dankemeyer findet in der Zeitschrift konkret in der „globalen Gleichmacherei der Xenos“ keine Emanzipation, sondern nur den Willen, Frauen als „maskuline Identität“ zu gestalten, „angeblich autonom und beziehungslos“, und damit Weiblichkeit an sich zu verleugnen. Damit verfolgen die Entfremdungsfeminist_innen auf jeden Fall die gleiche Strategie wie einige der derzeit am intensivsten rezipierten feministischen Strömungen, die sich immer stärker vom Subjekt „Frau“ als Diskursgegenstand entfernen. Vielleicht werden wir schon bald sehen, ob es anhand des feministischen Einsatzes von Technologie tatsächlich gelingt, „Hunderte von Geschlechtern blühen“ zu lassen, wie es das XF Manifest fordert, oder ob damit eine normiert maskuline Identität für alle de rigeur wird.

Kurzbiografie

Sonja EismannSonja Eismann lebt als Kulturwissenschaftlerin und freie Autorin in Berlin. Sie ist seit Ende der 1990er Jahre als Journalistin an der Schnittstelle von Feminismus und Popkultur aktiv. 1999 war sie in Wien Mitbegründerin der Zeitschrift „nylon. KunstStoff zu Feminismus und Popkultur“, 2007 gab sie den Reader „Hot Topic. Popfeminismus heute“ heraus und 2008 gründete sie gemeinsam mit Steffi Lohaus und Chris Köver das Missy Magazine, dessen Mitherausgeberin und Co-Chefredakteurin sie heute noch ist. In Texten, Workshops, Vorträgen und Lehrveranstaltungen beschäftigt sie sich mit der Repräsentation von Geschlecht in der Populärkultur, mit aktuellen feministischen Diskursen sowie mit Konzepten des Utopischen in der Mode.

Dies ist ein Artikel im Rahmen der Debatte „Monströse Versprechen: Technologien zwischen Risiko und emanzipativem Potential“.