von Sabine Mohamed
Überlegungen zu geschlechterpolitischen Bündnissen, ihre Chancen, ihre Probleme und Totgeburten
Das Konzept der globalen Schwesternschaft ist verworfen. Verworfen, weil die Vorstellung, dass es einen Universalismus unter Frauen gäbe, sich als zu eng erwies. Indessen die Vorstellung, Frauen seien ein in einer patriarchalen Gesellschaft unterdrücktes Kollektiv, bei einigen weißen Feminist_innen noch immer existiert. Dabei blenden sie nichts weniger als die Verschränkungen von sozialen, strukturellen Ungleichheitsverhältnissen in einem rassistischen, kapitalistischen System aus oder übersehen diese, weil sie wollen und machen sich zu Kompliz_innen dessen. Das macht das Konzept der globalen Schwesternschaft für (das) feministische Projekt(e) nicht mehr tragfähig.
Gleichwohl diese enge Auffassung einigen weißen Feminist_innen noch immer die Berechtigung gibt „für“/über die Frauen, ihre Genitalien, etc. in Kriegs- und Armutsgebieten unkritisch zu sprechen (vgl. Grada Kilomba 2008:58ff.), deren Stimmen zu überhören, weil jene es besser wissen.
Verworfen ist das Konzept der globalen Schwesternschaft, weil Schwarze Feminist_innen/ Aktivist_innen/ Theoretiker_innen/of Color Kritik an der marginalisierten, unsichtbaren Verortung sowohl im epistemischen Wissen wie im politischen Kampf/Handeln äußer(t)en (z.B. Harriet Tubman, Combahee River Collective, bell hooks, Toni Morrison, Angela Davis, Gayatri Spivak, Chandra T. Mohanty, Audre Lorde, Katharina Oguntoye, Katja Kinder, May Ayim, Grada Kilomba, Ika Hügel-Marshall, Noah Sow u.v.m.).
Women are White, Men are black and we are brave – Kimberle Crenshaw
In den Kämpfen gegen Prozesse der Marginalisierung und Minorisierung wird Neues geschaffen. „Jeder Kampf bringt ein neues Subjekt hervor“ (Nikita Dhawan/María do Mar Castro Varela 2003:273). Dabei kann sich ein Raum – im besten, geglückten Fall – mit zuvor marginalisiertem, geteilten Wissens, neuen Subjekten, aber auch mit Dissonanzen und der Verunsicherung in der eigenen Urteilskraft und Wut ermöglichen. Es kann die Möglichkeit entstehen, dass für wahr empfundene Glaubenssätze in Frage gestellt werden, im besten Fall radikal gekippt, wenn sie in den Brüchen hegemonialer Praxen Sichtbarkeit erlangen. Etwa im feministischen Gegendiskurs, in welchem Schwarze Feminist_innen/Lesben und Frauen of Color den Rassismus, lesbische, queere, bi-/intersexuelle, trans* Aktivist_innen die heteronormative Matrix binärer Geschlechtlichkeit, Begehrens- und Körpervorstellungen sowie Frauen mit Behinderung den Gesundheitsdiskurs sichtbar machten (vgl. Dhawan/Castro Varela 2003:272ff.). Durch diese Kritik am feministischen Diskurs, den weiße Feminist_innen lange kaper(t)en und der Vorstellung einer globalen Schwesternschaft anheim (ge)fielen, konnten und können sich offene, brüchige Schauplätze auch durch Selbstkritik zeigen, so dass neue Räume geschaffen/gedacht werden können. Wenn da nicht in der Angst um den Verlust von Privilegien nach Ausweichmanövern („aber,…“/„ich sag ja nur,…“) und Strategien der Immunisierung (vgl. Isabell Lorey) gesucht werden würde. Nicht jeder Kampf, jede Intervention im hegemonialen Raum gelingt, wird gesehen und gehört. Deshalb empfinde ich es wichtig, Schutzräume und Bezugsgruppen (in den communities) zu haben, um sich zu stärken.
Die globale Schwesternschaft also eine Totgeburt, wenngleich eine schmerzliche. In der Hinsicht, dass die konzeptionelle Kategorie „Frau“ einen normativen und partikularen Charakter darstellt. Es ist gefährlich auf Einheit und Kohärenz einer Kategorie zu insistieren, da sie „die Vielfalt der gesellschaftlichen Überschneidungen verdeckt und die Konstruktionen mannigfaltiger konkreter Reihen von „Frauen“ aufrecht erhält“ (Judith Butler 1991:33). Aber auch der Versuch, den Feind in einer einzigen Gestalt zu identifizieren, erweist sich als problematisch. So wird hierbei lediglich die Strategie des Unterdrückers unkritisch, mimetisch imitiert und Herrschaftsverhältnisse reproduziert. Nach Butler greift diese Taktik gleichermaßen in der feministischen und antifeministischen Kritik. Diese Taktik deute darauf hin, „daß der kolonisierende Gestus nicht primär oder ausschließlich maskulin ist. Er kann durchaus andere Verhältnisse der Rassen-, Klassen-, und heterosexistischen Unterdrückung hervorrufen, um einige zu nennen.“ (Butler 1991:33). Dem und den eigenen Verstrickungen gilt es sich zu widersetzen. Die verschieden Formen von Gewalt in Verbindung bringen (vgl. Nadine Lantzsch). Diese nicht vergessen. Geschweige denn ausblenden.
Bündnisse – eine Alternative?
Folgerichtig wurden einige Versuche unternommen, eine feministische Bündnispolitik zu formulieren und darin zu handeln. Dennoch, die Entstehung von Bündnissen scheint – trotz der Chancen – im Kontext von prekären Arbeits- und Lebensverhältnissen, den Prozessen von Vereinzelungen, schwierig. Je tiefer nach möglichen Ursachen für das diffizile Unterfangen gesucht wird, desto mehr Schau- und Spaltungsplätze offenbaren sich, spalten sich an der Frage, wie Bündnisse denn aussehen sollen. Sowie in der Frage nach der Bündnisfähigkeit/-bereitschaft, Machtverschränkungen, der gesellschaftlichen Positionierung von Bündnispartner_innen und darin, wer die Zeit für solches Engagement hat. Klar ist, dass feministische/ geschlechterpolitische Bündnisse zum Scheitern verurteilt sind, wenn sie als Einladungspraxis etwa von weißen Feminist_innen an Queers/Frauen of Color/Schwarze Feminist_innen/Migrant_innen gerichtet wurden, noch immer werden:
zu besonderen anlässen/und bei besonderen ereignissen/aber besonders/kurz vor/und kurz nach den wahlen/sind wir wieder gefragt/werden wieder wahrgenommen/werden plötzlich wieder angesprochen/werden endlich einbezogen/sind wir auf einmal unentbehrlich/werden wir sogar/eingeflogen/auf eure einladung versteht sich/…/ – may ayim (Auszug aus dem Gedicht „gegen leberwurstgrau – für eine bunte republik“)
Wenn geschlechterpolitische Bündnisse inklusiv und emanzipativ sein sollen, wie können sie konzeptionell gedacht werden und stattfinden? Was sind Bündnisse, was Macht sie im produktiven Sinne aus? Womöglich im Versuch einer Bündnispolitik, die nicht von vornherein voraussetzt, welchen Inhalt die Kategorie „Frau(en)“ hat/haben. Auch um dem anti-emanzipatorischem/ partikularen Rollback entgegenzuwirken. Stattdessen eine Reihe dialogischer Begegnungen, bei denen Aktivist_innen unterschiedliche Positionen im Rahmen eines entstehenden Bündnisses, unterschiedliche, gesonderte identitäre Positionen und Lebensrealitäten artikulieren können, aber nicht auf identitären Grund fundieren, sondern in der gegenseitigen Anerkennung. In Form einer entstehenden und unvorhersehbaren Vereinigung von Positionen. Nicht etwa ein Souverän, die/der zu neigen sucht, vorab Bündnisstrukturen für eine Idealform zu denken und zu moderieren, so Butler (2009; 2010) in ihren konzeptionellen Überlegungen dazu. Freilich bleiben jene dialogische Bewegungen nicht ohne Fallstricke, denn auch der Versuch (meist von weißen Personen) zu bestimmen, was nun Gegenstand eines wahren Dialogs ist, bleibt ein heikles Unterfangen. Ein Unterfangen, dem wir unterliegen, wenn wir über Ziele und den Erfolg von Bündnissen Überlegungen anstellen. Ähnlich der Wunsch, bestimmen zu wollen, was wesentlich zu einer Subjekt-Position gehört, und noch wichtiger: zu welchem Zeitpunkt die „Einheit“ des Bündnisses erreicht sein wird. Dies kann die selbstgestaltende und selbstbegrenzende Dynamik des Bündnisses behindern (vgl. Butler 1991:40). Daher ist es problematisch, vorab „Einheit“ als Telos von Bündnissen zu setzen. Ebenso wie das Versprechen von Solidarität, welches nach Butler eine unerlässliche Vorbedingung für politisches Handeln ist.
Welche Konsequenzen haben diese Annahmen aus einer theoretisch-konzeptionellen Sicht für Bündnisarbeit?
Vielleicht bedeutet dies zunächst, die eigenen Widersprüche anzuerkennen und im Bewusstsein ihrer ungelösten Widersprüche dennoch handeln zu wagen. Denn wie hilfreich wäre eine moralische Rein-Waschung und wie ehrlich der Versuch Privilegien, die weiße Personen aufgrund sozialer und politischer wirkmächtiger Konstruktionen tagtäglich erfahren, abzuwerfen oder einfach umzuformulieren? Im Gefühl der „Schuld“ zu baden oder sich die Erlösung in der Ent-Schuldung zu erhoffen? Vielleicht erfordert jene Anerkennung und Bewusstsein über die eigene Verstricktheit aller Beteiligten in Machverhältnisse vielmehr ein Dialog des Austauschs und der Auseinandersetzung. Auch eine reflexive Auseinandersetzung, die die eigene Person und gesellschaftliche Verortung nicht heraus-nimmt. Eine, welche beispielsweise nicht nur fordert von, sondern lernen will, nicht alles serviert bekommen möchte etwa mit „Erklär mir Rassismus“ und Verantwortung übernimmt. Vielleicht das mutige „Akzeptieren von Divergenzen, Brüchen, Spaltungen und Splitterungen des Demokratisierungsprozesses“ (Butler 1991:40). Vielleicht indem Verunsicherung, Angst, Wut und die eigene Verletzbarkeit offenbar, teil werden. Denn was wir in den Bündnissen nicht haben, sind dieselben Erfahrungen von alltäglichen Angriffen, Gewalt und Diskriminierung.
Auch im Dialog lauern Tücken
Da stellt sich zunächst die Frage, was wir unter einem Dialog verstehen. So kann die/der Sprecher_in vom Gespräch ausgehen und die/der andere vom Gegenteil überzeugt sein. Das passiert mir oft. Ein herrschaftsfreier Diskurs existiert nicht, wenn Lebensrealitäten strukturell divergieren. Das Hinterfragen von Machtverhältnissen und Privilegien, die die Dialogmöglichkeiten bedingen oder einschränken ist notwendig. Vielleicht sollten Bündnisse prozesshafter sein. Mit offenen Kategorien, die eben nicht als unabhängige, separate Orte gedacht werden, wenn wir über Klassismen, Rassismen, Geschlecht und Begehrensvorstellungen sprechen (vgl. Angela McRobbie 2010). Es gibt keinen konstruktiven Anlass Diskriminierungen zu addieren. Vielmehr gilt es die Verschränkungen wahrzunehmen und Selbstkritik zu üben. Vielleicht sollte das feministische Projekt und Bündnisarbeit größer und umfassender gedacht werden?
Was wäre dann der Fluchtpunkt?
Vielleicht Überlegungen in einem gesellschaftskritischen Rahmen über Veränderung von Ungleichheiten, Gerechtigkeit, Umverteilung und Anerkennung anzustellen. In einem gesellschaftskritischen Rahmen zu denken, welcher eben nicht den Traum von emanzipativer Geschlechterpolitik an die Maschine kapitalistischer Akkumulation schmiedet und Prekarisierung thematisiert (vgl. Nancy Fraser/Isabell Lorey).
Wo beginnen „Wir“?
Diese Frage stellt sich mit der Erfahrung, dass wir in Kontakt zueinander stehen. Dieser Kontakt entsteht freiwillig oder unfreiwillig. Nach Butler will das bedeuten, dass wir alle miteinander verbunden sind, schon zu Beginn. Sowohl zu den Menschen, zu denen wir Kontakt hegen wie pflegen als auch zu denen, von denen wir noch nicht wissen und ahnen, dass wir mit ihnen verbunden sind. Mit anderen verbunden zu sein ist die Bedingung für Freiheit. Und dabei „ist es gerade dieser Kontakt und diese Enteignung in der Mitte der Sozialität, was durch Zwang, Einschränkung, physische Verletzung und Gewalt missbraucht wird.“ (Butler 2010:31). Unfreiwilliger Kontakt kann also in mindestens zwei denkbare Richtungen einschlagen: die des unerträglichen Schmerzes und der Verletzung oder die der plötzlichen Entdeckung, des sich Verliebens oder ungeahnter Besorgnis (vgl. Butler 2010:32).
Das sind Risiken, von denen Katja Kinder aus ihren Erfahrungen und theoretischen Überlegungen über Bündnisse schreibt. Das sind Risiken, wenn wir uns in Bündnisse begeben, hinaus gehen, auf die Straße, in die Welt, und anderen begegnen, die wir nicht kennen und einschätzen können. Entscheide ich mich gegen das Risiko, so habe ich die Freiheit gänzlich und glanzlos verloren. Diese Kontakte sind nicht unbedingt Beziehungen der Liebe oder der Sorge umeinander, aber sie schaffen eine Verpflichtung anderen gegenüber: „Die meisten davon können wir nicht benennen oder kennen, sie zeigen vielleicht, oder auch nicht, vertraute Züge der Vorstellung davon, wer „Wir“ sind“ (Butler 2010:32). Weiter schreibt sie an dieser Stelle, dass es vielleicht eine solche Ethik voraussetze, dass wir eben ganz und gar nicht mehr genau wissen, wer „Wir“ sind oder wem gegenüber wir uns verpflichtet zeigen/fühlen. Denn wenn wir uns in einem gesellschaftskritischen Rahmen um eine andere Idee von Gemeinschaft bemühen oder um einer „anderen Zukunft globaler Verbindlichkeit näher kommen wollen, dann muss das „Wir“ an seine eigenen Grenzen gehen, an denen es sich selbst nicht mehr erkennt nicht mehr erkennen kann, dann geschieht etwas Queeres.“ (Butler 2010:33)
Für was und für wen?
Vielleicht sind das jene Parameter, die einen: gemeinsam „für das Recht kämpfen, sichtbar zu sein, zu leben, zur Entfaltung zu kommen und die ineinandergreifenden Mechanismen der Gewalt niederzureißen“ (Butler 2010:34). Weg vom kolonialen Gestus: „Erklär mir was!“ oder „Warum sollte ich?“ Selbstreflexion schafft Bewusstsein. Bewusstsein eine Pflicht. Wir sind alle betroffen (vgl. Kübra Gümüsay). Klarheit darüber vor allem in Bündnissen ist wichtig.
Vielleicht winkt dann der Erfolg von geschlechterpolitischen Bündnissen und ihr emanzipativer Moment. Vielleicht rückt er zumindest in sichtbare Weite. Aber noch wahrscheinlicher ist, dass mehr Fragen und Widersprüche auftauchen. Die Unsichtbarkeiten und eigenen Verstrickungen hier, im Nächsten sichtbar werden.
Das wird sich zeigen.
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Anmerkung: Über die Gewaltpotenziale, die Risiken in Bündnissen und dem „heiklen Unterfangen für“ uns, „Schwarze Frauen/Lesben (…), widerständige Strukturen beständig weiter zu entwickeln“, da wir uns nicht außerhalb hegemonialer Strukturen verorten können, hat Katja Kinder in Ihrem Beitrag klar und tiefgehend beschrieben.
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Literaturangaben:
Susan Arndt(Hg.)/Nadia Ofuatay-Alazard (Hg.). 2011. Wie Rassismus aus Wörtern spricht. (K)erben des Kolonialismus im Wissensarchiv deutscher Sprache.
May Ayim. 1995. Blues in Schwarz Weiss.
Judith Butler 2010. Queere Bündnisse und Antikriegspolitik. In: Queer Nations (4/9). Queer Lectures „Judith Butler“.
– . 1991. Das Unbehagen der Geschlechter. Gender Studies.
– . 2009. Raster des Kriegs. Warum wir nicht jedes Leid beklagen.
María do Mar Castro Varela/Nikita Dhawan. 2005. Postkoloniale Theorie. Eine kritische Einführung.
– . 2003. Postkolonialer Feminismus und die Kunst der Selbstkritik in: Hito Steyerl/Encarnación Gutiérrez Rodríguez (Hg.). Spricht die Subalterne deutsch? Migration und postkoloniale Kritik.
Nancy Fraser. 2009. Feminism, Capitalism and the Cunning of History.
bell hooks. 1981. Ain’t I A Women. Black Women and Feminism.
– . 1984. Feminist Theory. From Margin to Center.
Grada Kilomba. 2008. Plantation Memories. Episodes of Everyday Racism.
Isabell Lorey. 2007. Weißsein und Immunisierung. Zur Unterscheidung zwischen Norm und Normalisierung.
– . 2006. Gouvernementalität und Selbst-Prekarisierung. Zur Normalisierung von KulturproduzentInnen.
Angela McRobbie. 2010. Top Girls. Feminismus und der Aufstieg des neoliberalen Geschlechterregimes.
Gabriele Winker/Nina Degele. 2010. Intersektionalität. Zur Analyse sozialer Ungleichheiten.
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Sabine Mohamed, Studium der Politikwissenschaft, Islamwissenschaft und Ethnologie in Heidelberg. Schwerpunkt in Politischer Theorie. Als freie Mitarbeiterin des Gunda-Werner-Instituts betreut sie diesen Blog zum Thema „Bündnisse – Ein Weg zu erfolgreicher Geschlechterpolitik? Was ist der Streit Wert?“, derzeit in Berlin.