von Katja Kinder
Am Anfang eines solchen Prozesses ist das Ergebnis in ihrer (positiven oder negativen) Wirkungskraft überhaupt nicht einschätzbar. Der Wunsch nach nachhaltigen sozial-politischen Veränderungen macht immer wieder neue Bündniskonstellationen erforderlich. Als Schwarze Aktivistin in Deutschland zielt meine Bündnispolitik, vor allem auf die Veränderung von Herrschaftsstrukturen auf der Ebene ihrer symbolischen Verankerung. Im Zentrum dieses Bestreben steht die Verfügung über sich selbst und die eigenen Ressourcen.
Widerstand in hegemonialen Strukturen – ein heikles Unterfangen für Schwarze Frauen/Lesben
Nach 25 Jahren aktivistischer Arbeit interessiert mich immer mehr das Verstehen von dem, was eigentlich als ‚eine Unbekannte’ bezeichnet werden müsste, nämlich die Möglichkeit eines Daseins, eines Lebens ohne (die unbewusste Auslieferung an) Herrschaftsstrukturen. Um Herrschaft in ihrer Vielfältigkeit und Beweglichkeit zu verstehen, ist es unabdingbar die eigene Verflochtenheit in den Herrschaftsstrukturen zu benennen und einen Raum zu schaffen, in dem eine ehrliche Kommunikation darüber möglich ist. Widerständige Strukturen beständig weiter zu entwickeln, stellt sich als ein heikles Unterfangen für Schwarze Frauen/Lesben heraus, weil wir uns ja nicht außerhalb hegemonialer Strukturen setzen können. Hegemoniale Strukturen sind also Teil unserer Identität. Sie können jedoch aufgedeckt werden und in ihrer Genese verstanden werden.
Zur eigenen Verflochtenheit gehört im Wesentlichen das gefühlte Verstehen, dass Herrschaft zum einen immer brüchig ist und längst nicht so unveränderlich scheint, wie wir oft annehmen und zum anderen das Wissen, dass Herrschaft mit dem „Einverständnis“ der Beherrschten funktioniert. Unser „Einverständnis“ zu verstehen, bringt uns zu einem tieferen Verständnis und birgt die Möglichkeit von Befreiung. Wir werden dadurch in einem langen und emotional wie physischen „Lernprozess“ gezwungen. Unser Einverständnis beruht auf Angst. Wir stabilisieren Herrschaft, mittels unseres Einverständnisses, aus Angst vor konkreten Repressionen und Verlusten. Wir lernen ganz konkret Unterwerfung. Wir können sie daher ebenso verlernen. Der „Verlernprozess“ verschiebt den Fokus von dem „Anderen“ auf uns selber und auf unsere gesellschaftliche Praxis als Schwarze Frauen/Lesben/Menschen. Das Fokussieren auf uns ermöglicht konkrete Veränderungen im Kleinteiligen. Unsere Bündnisbereitschaft orientiert sich an der Ermöglichung dieser konkreten Arbeit mit durch Herrschaft manipulierbare Symbole; Wissen, Verbundenheit, Kollektive, Angst, Lernen, Identitätsparadoxien, Verluste, Wohlergehen, Macht und Einverständnis. Die Bündnisinvestition lohnt sich aus unserer Sicht, wenn Bündnispartnerinnen nicht vor der intensiven Selbstarbeit zurückscheuen, die mit diesem heiklen Veränderungsprojekt unweigerlich zusammenhängt.
Über Empowerment und politisches Handeln
Der alltägliche Umgang mit Rassismus schwächt ganz konkret. Bündnisse sind für mich dann sinnvoll, wenn sie den Prozessen der alltäglichen Selbstbestärkung nicht zuwider laufen, sondern ganz konkret ermöglichen. Ein starker Fokus im Sinne von Empowerment liegt daher auf der „eigenen Gruppe“ und ihr Wohlbefinden. Das Fokussieren auf die eigene Gruppe ist gekoppelt an dem Verständnis, dass Rassismus zu erleben, eine beständige traumatische Erfahrung ist. Diese Erfahrung geht nicht einfach weg, indem ich gesellschaftliche Veränderungen schaffe, sondern indem ich die Erfahrungen gemeinschaftlich reflektiere und in mein politisches Tun einfließen lasse.
Über Verlockungen und Potenziale von Bündnissen
Ich würde keine Grenzen von Bündnispolitik ausmachen wollen. Vielmehr kritisiere ich Bündnisanbahnungen, die aus der Verleitung eingegangen werden, dem Mainstream (dem Herrschenden) näher rücken zu können. Das Angebot mit einer Gruppe für eine bestimmte Zeit oder auf lange Sicht zu kooperieren, kann verlockend wirken, weil wir oftmals schnelle Veränderungen anstreben. Je nach dem, mit welcher Gruppe ich Bündnisse eingehe, gebe ich sehr wahrscheinlich auch ein Stück meinen/unseren geschaffenen Raum auf. Der Weg ist ein heikler. Ist das Verhältnis ein hierarchisches, würde ich dazu neigen, kein Bündnis einzugehen. Um das herauszufinden, ist es sinnvoll in einen Verhandlungsprozess einzutreten.
Was bedeutet für uns als Schwarze Lesben etwa ein Bündnis mit Schwarzen oder of Color heterosexuellen positionierten Menschen einzugehen. Bedeutet das ein automatisches Unterordnen unserer Gesellschaftskritik als Schwarze Lesben? Geht es auf Kosten unserer selbstverständlich gewordenen Sichtbarkeit? Die Konsequenz dessen wäre in jedem Falle ein bedeutender Teilverlust. Gleichzeitig würde dies der Verlust eines geschaffenen Raums bedeuten. In seiner Konsequenz eine nicht lohnenswerte Preisgabe unserer Ideen, Impulse, theoretischen wie praktischen Bezüge.
Ich meine zu beobachten, dass es in Berlin kaum noch ganz selbstverständliche Frauen/Lesbenräume gibt. Räume in denen Symbole mächtiger Weiblichkeit im Alltag, selbstverständlich, Tag für Tag, aufs Neue erschaffen und gelebt werden. Meine Beobachtung impliziert bereits den Verdacht, dass der Verlust von Frauenräumen etwas mit einer falsch gelaufenen Bündnispolitik – insbesondere in den 1990ern – in Verbindung zu bringen ist. Die Verlockung von Partizipation ist groß, langersehnte feministische Forderungen auf jedem halbwegs gehbaren Weg, gesellschaftsfähiger zu machen. Dabei wurde offenbar der Verlust von Frauen/Lesbenräumen in Kauf genommen, die zuvor mühsam erkämpft worden waren. Damit verschmälert sich allerdings dann auch unser politisches Repertoire.
Von dieser Vision getragen ist ADEFRA e.V. von Anfang an Bündnisse mit anderen Organisationen der Schwarzen Community eingegangen. Da ist sicherlich an erster Stelle der ISD (Initiative Schwarzer Menschen in Deutschland) zu nennen, aber auch Kooperationen mit Refugee’s Emanzipation und Women in Exile. Unsere Bündnispolitik ist aus dem Wissen gespeist, dass wir als Schwarze Organisationen kollektive Veränderungspotenziale anstoßen können, weil unsere Erfahrungen und daher unsere Analysen starke kollektive Bezüge aufweisen.
Aus der kollektiven Existenzweise Schwarzer Menschen speist sich dann auch unser „wir“. Dieses „Wir“ differenziert sich in der spezifischen Zusammenarbeit weiter aus. Ein „Wir“ und ein „Ich“ sind dabei keine polarisierbaren Gegensätze, sondern ein notwendiges Wechselverhältnis.
Eine Vision frei von Fallstricken?
Inklusion ist eine interessante Vision. Wir alle haben hegemoniale Strukturen verinnerlicht. Nun bleibt die Frage, von welchen Orten aus inklusive Geschlechterpolitik gestaltet werden kann ohne die jeweils gewonnene radikalen Klarheiten zu unterminieren. Wir als Schwarze Lesben haben unser politisches Feld als ein Überschneidungsfeld mit Schwarzen Männern definiert. Dabei war und ist ein sichtbarer Schwarzer lesbischer Raum nicht Verhandlungssache, sondern Voraussetzung des Verbundenseins. Mir geht es nicht lediglich, um das Erreichen einer formellen Gleichstellung mit heterosexistischen, weißen Männerbünden, wie die Politik (als Herrschaftssymbol), die Wirtschaft (als Herrschaftssymbol) etc. Ich erlebe diese „Gleichstellung“ als eine Normierung. Ganz so, als könnten wir jetzt auch von den herrschaftsdurchsetzten gesellschaftlichen Institutionen, die uns als Errungenschaften vermittelt werden, doch tatsächlich profitieren. Mannsein ist für mich keine erstrebenswerte Kategorie. Meine Bezugspunkte sind Schwarze lesbische. Die Kritik an weißen Feministinnen bleibt die, dass sie – offensichtlich aufgrund ihrer paradoxen Verstrickung – eine weiße Frauen-Geschichte tradieren und diese als universell setzen.
Bündnisse – Respekt vor der eigenen Autonomie
Bündnisse einzugehen benötigt den Respekt vor der eigenen Autonomie. Autonomie ist keine Selbstverständlichkeit, weil sie durch die schmerzhafte Auseinandersetzung mit der eigenen Verstrickung erwächst. Zur Autonomie gehört die Wertschätzung der eigenen Bewegung.
Bündnisfähigkeit wird durch eine intensive, beständige, selbstehrliche Auseinandersetzung mit der eigenen Verstrickung in Herrschaft erreicht. Die Bündnispartnerin muss das jeweils beinhaltete Risk-Sharing realistisch und ehrlich einschätzen können. Es wirkt meiner Ansicht nach gegen ein Bündnis, wenn eine Partnerin die andere zwingt, sich konform mit einer gegen sie gerichteten Herrschaft zu handeln, um des Bündniswillens. Die Einbindung von bereits bestehenden Netzwerken ist fundamental. Durch das Einbinden von Communitiy-Gruppen, wird der Vereinzelung vorgebeugt. Es ist ein zutiefst kreativer Prozess neues Wissen mit altem Wissen, Alltagswissen mit theoretischem Wissen zu verbinden. Kritische Perspektiven können Impulse für einen politischen Prozess setzen. Um diese Impulse aufzunehmen, müssen sie auf ein geteiltes Wissen stoßen. Da kann eine einzelne Person wenig ausrichten.
Katja Kinder, in Berlin (Kreuzberg) geboren, Pädagogin, Gründungsmitfrau von ADEFRA, Schwarze Frauen in Deutschland e.V.