von Sven Lehmann
Als im vergangenen Jahr mit dem „Grünen Männermanifest“ ein Aufruf Grüner Politiker in der Partei erschien, der gesellschaftlich und politisch ein neues Männerbild propagierte, waren die Reaktionen aufschlussreich und sind es bis heute. Eine breite Presseresonanz, über 1.000 Blog-Kommentare und eine Debatte, die bis heute anhält, zeigen, dass wir mit dem Aufruf in ein Wespennest gestochen haben: in das der tradierten Konflikte. Für rechtslastige „Männerrechte“-Gruppen waren wir die „Eunuchen“, die den „Kotau vor den Emanzen“ machen. Für viele Macho-Männer – auch in der eigenen Partei – plötzlich die neuen „Gedöns-Politiker“.
Für viele Feministinnen in der Partei neue Bündnispartner für emanzipatorische Anliegen, für wiederum andere aber auch die, die nun die traditionelle Grüne Frauenpolitik angreifen, gar okkupieren, und die mit einem geschlechterdemokratischen Ansatz Bündnisse einfordern.
Als kurz vor der Bundestagswahl 2005 auf dem Programmparteitag in Berlin die Spitzenkandidatur von der Partei beschlossen werden sollte, kam es zu einer aufschlussreichen Szene. Ein Antrag, der an die geschlechterdemokratischen Regeln der Partei erinnerte und Joschka Fischer eine gleichberechtigte Spitzenkandidatin zur Seite stellen wollte, wurde heftig debattiert. Letztendlich waren es die drei wohl prominentesten Grünen Frauen – Claudia Roth, Bärbel Höhn, Renate Künast – die den Antrag zu Fall brachten. Nicht nur dieses Beispiel zeigt, dass die klassischen Konfliktlinien auch in der Grünen Geschlechterpolitik sich weiterentwickelt haben. Nicht mehr Frauen kämpfen gegen die Dominanz der Männer, sondern FeministInnen gegen Nicht-FeministInnen – und beide gibt es beiden Geschlechtern.
Die Frage der Bündnisse ist nach Erscheinen des Männermanifestes leidenschaftlich diskutiert worden, z.B. auf dem Bundesfrauenrat im letzten Herbst, im Workshop „Wege in eine geschlechtergerechte Gesellschaft“ bei der Grünen Zukunftskonferenz 2011. Und immer wieder die Befürchtung: bündnisorientierte Genderpolitik weiche die traditionelle Frauenpolitik auf und die Männer sollten in „ihrem“ Geschlecht für Emanzipation sorgen. Ja und Nein. Selbstverständlich braucht es weiterhin eine eigenständige Frauenpolitik. Selbstverständlich braucht es eine eigenständige Männerpolitik – gerade und vor allem, weil hier politisch insgesamt ein großer Nachholbedarf besteht. Aber: Nur in Bündnissen und im Geschlechterdialog erfährt der gendersensible Blick auf alle politische Anliegen eine breite Entfaltungskraft.
Beispiel „Equal Pay“: Die richtige und langjährige grüne Forderung nach gleicher Bezahlung für gleichwertige Arbeit wird traditionell von Frauen erhoben und von vielen Grünen Männern – teils leidenschaftlich, aber größtenteils pflichtbewusst – mit vertreten und beklatscht. Sprengkraft entfaltet diese Forderung, wenn wie in der Schweiz es Männergruppen sind, die auf die Straße gehen und für Lohngleichheit demonstrieren. Dort hat männer.ch (s. hier) als Dachverband der Schweizer Männer- und Väterorganisationen eine viel beachtete Kampagne für gleiche Bezahlung auf die Beine gestellt, die eine wichtige Botschaft vermittelte: Wir Männer wollen gleichen Lohn für gleichwertige Arbeit, weil wir nicht als Hauptverdiener der Familie die Last der alleinigen Verantwortung in der Erwerbsarbeit tragen wollen. Unter diesen Voraussetzungen sind emanzipierte Männer wichtige Verbündete für feministische Ziele. Heute haben weder Frauen noch Männer wirksame Instrumente, um gegen diskriminierende Bezahlung effektiv vorzugehen. Denn wer traut sich schon, sich erstens zu erkundigen, wie viel die KollegInnen verdienen und zweitens mehr Geld vom Arbeitgeber einzuklagen? Selbst wenn die Klage Aussicht auf Erfolg hätte, ist es wahrscheinlich, dass über Umwege eine Kündigung bzw. die Nichtverlängerung eines befristeten Vertrags die Folge einer solchen Klage sein kann. Damit dieses Risiko nicht bei den einzelnen Frauen liegt, brauchen wir dringend ein Verbandsklagerecht für Gewerkschaften, Betriebs- und Personalräte und Gleichstellungsverbände. Das führt auch dazu, dass die Urteile dann für alle betroffenen Beschäftigten gelten und nicht nur für die Frau, die geklagt hat.
Beispiel Familie: Während viel zu lange Kinderbetreuung als reine Frauenaufgabe und als Entlastung der Frauen betrachtet worden ist, gehen jetzt inzwischen immerhin 23 Prozent der jungen Väter zumindest für zwei Monate in Elternzeit. Immer weniger Männer haben Lust, nur Helden der Arbeit und als Alleinverdiener Haupternährer einer Familie zu sein. Ja, viele Männer wollen weniger Leistungsdruck und mehr wertvolle Zeit für Familie. Es gibt aber auch immer noch viel zu viele Männer, die von den derzeitigen männlich dominierten Gesellschaftsverhältnissen profitieren. Männer in Führungsetagen und Politik, die gerne unter sich bleiben. Männer, die sich darauf verlassen, dass die Frau sich um die Kinder kümmert, falls die Familie keinen der immer noch knappen Betreuungsplätze bekommen hat. Oder aber Geschäftsführer, die es als selbstverständlich ansehen, nach 17 Uhr noch wichtige Meetings anzusetzen. „Männliche“ Strukturen und Herrschaftsverhältnisse sind über Jahrtausende gewachsen, gefestigt und verteidigt worden und führen auch heute noch zur Vormachtstellung der Männer in Wirtschaft, Politik und Gesellschaft. Wer die gleichberechtigte Gesellschaft erreichen will, muss die männlich dominierte überwinden. Dafür müssen Feministinnen und emanzipierte Männer gemeinsam kämpfen. Und die Männer deutlicher werden, z.B. indem sie ihr Recht auf Teilzeit überall einfordern, auch wenn dies zumeist Widerstand und Unverständnis in den Personaletagen verursachen wird.
Fazit: In sehr vielen Bereichen existieren leider noch immer Benachteiligungen von Frauen. Auch auf der Männerseite gibt es vielfältige Benachteiligungen, die weitestgehend aus der gesellschaftlichen Rolle resultieren bzw. mit Verlustängsten dieser Rolle zu tun haben. Fruchtbar ist es nicht, diese Benachteiligungen gegeneinander aufzuwiegen und zu fragen, „wem es schlechter geht“. Fruchtbar ist es, gemeinsam gegen Rollendruck und Benachteiligungen zu kämpfen, die aus dem Faktor Geschlecht resultieren. Und genau aus diesem Grund sind auch gewisse „Männerrechte“-Organisationen keine Bündnispartner für eine emanzipative Politik. Blogs wie „Wie viel Gleichberechtigung verträgt das Land?“ oder Initiativen wie „MannDat“ verfolgen keine pro-feministischen Ziele, sondern haben den neo-konservativen Roll-Back im Auge. Oft sind sie – wie der Journalist Thomas Gesterkamp eindrucksvoll nachgewiesen hat – sogar im rechten politischen Spektrum angesiedelt. Sie versuchen, eine vermeintlich „gute alte Ordnung“ wiederherzustellen, indem sie sie Errungenschaften des Feminismus bekämpfen. Deswegen ist Vorsicht geboten: Nicht überall, wo „Männerrechte“ drauf steht, sind wirkliche Bündnispartner drin.
Trotzdem führt am bündnisorientierten Geschlechterdialog kein Weg vorbei, wenn wir den Faktor Geschlecht in vielen gesellschaftlichen und politischen Bereichen deutlich machen und emanzipatorische Veränderungen erreichen wollen. Die GRÜNEN in Nordrhein-Westfalen werden genau dies auf einem „Geschlechtergipfel“ im Jahr 2012 diskutieren und bearbeiten.
Sven Lehmann (31) ist Landesvorsitzender der GRÜNEN NRW und Pro-Feminist. Als Initiator des „Grünen Männermanifestes“ arbeitet er in den Bereichen Soziales, Familie, Bildung und Gesundheit an einer Männerpolitik und dafür, die besondere Lage von Männern und Jungen auch innerhalb der GRÜNEN politisch ernst zu nehmen.