FOLLOW THE MONEY: EIN KURZTRIP DURCH SEX & POLITIK

von Pieke Biermann

 

Bäuchlings in die Freiheit?

1971 platzten Frauen mit dem Slogan „Mein Bauch gehört mir!“ in die westdeutsche Öffentlichkeit; es ging um die Abschaffung eines Instruments zur Kriminalisierung von Frauen: des § 218.  Der hatte vermutlich kein einziges ungeborenes Leben geschützt, aber massenweise geborenes Leben gefährdet, verletzt, nachhaltig geschädigt und nicht selten getötet: das von Frauen, die abgetrieben hatten.

Die Idee war nicht neu, 1969 hatten sich die ersten 12 Frauen in Washington öffentlich zu Abtreibungen „bekannt“. Der deutsche „Bauch“ verkürzte griffig, was Shulamith Firestone* und Jo Freeman 1967 auf der National Conference for New Politics in Chicago gefordert hatten: „die vollständige Kontrolle von Frauen über ihre eigenen Körper“. Nun gehört zum Körper auch ein Kopf. Und Begehren, Lust, Geist, Gefühle. Es ging also um Autonomie: um die Freiheit auch für Frauen, sich selbst zu denken und in die Welt zu setzen, und um die politische Repräsentanz all dessen.

Sisterhood is powerful. It kills. Mostly sisters. (Ti-Grace Atkinson)

Die traditionelle Position als Ableitung des Mannes zu verlassen, war damals ein ziemlich unerhörtes Wagnis. Es hieß auch, das bisschen (sozialen und finanziellen) Schutz aufzugeben, das heterosexuelle Beziehungen boten. Damit wurden plötzlich auch Frauen sichtbar, die das längst existenziell und radikal, aber heimlich getan hatten: Lesben. Die Frage nach dem „Bauch“ – wer und was wie da hinein und hinaus darf oder muss, nämlich – hatten sie damit für sich beantwortet. Aber die Bauch-Metapher taugte zum fatalen Spaltpilz für eine gemeinsame Bewegung. Er wucherte und trieb bald fundamentalistische Blüten à la „der vaginale Orgasmus ist ein Mythos“ und „wer mit Männern fickt, lässt sich vom Feind vergewaltigen“. Sie veredelten blanken Männerhass und damit, nur scheinbar paradox, Frauenhass. Ausgerechnet beim Kampf um die Freiheit von männlichen Definitionen nutzten Frauen den Mann als Messlatte, um sich gegenseitig fertigzumachen.

Was lange gärt, wird endlich Wut.

Die Aggressivität kam nicht nur von innen. Sie wurde befeuert von der Wut über den Vietnamkrieg, den andauernden Rassismus und die ganze prüde geistige Enge der USA in den 60er Jahren und kam von dort nach West-Europa. Wie so vieles, was uns Nachkriegskindern die Augen dafür öffnete, dass an der gewohnten Sortierung von „privat“ und „politisch“ etwas verdammt schief ist.

1968 machten die Frauen in der westdeutschen Linken dieselbe Erfahrung wie Firestone in der US-Bürgerrechtsbewegung: die Repräsentanten waren ein exklusiver Männerclub. Im Herbst gab es dafür zuerst den legendären Tomatenwurf, dann das legendäre Flugblatt: skizzierte Penisse samt Namen, aufgehängt wie Hirschgeweihe, dazu die Parole: „Befreit die sozialistischen Eminenzen von ihren bürgerlichen Schwänzen!“ Und die bittere Erkenntnis, dass sich Frauen in der Hierarchie der Männer hochschlafen müssen, um politisch aktiv sein zu dürfen. Sex als Hebel zu „mehr…“.

Sex pays.

Das Prinzip war alles andere als neu. Wo die Geschlechterhierarchie bestimmt, dass die soziale Macht – nicht zuletzt das Geld, mit dem sich Waffen bezahlen lassen – dem Mann zusteht, werden Sex und seine Verweigerung (s. Lysistrata…) zu den „Waffen der Frau“: der einzige reale Machthebel für viele verschiedene „mehr…“. Schon die Hetären der Antike, die Kurtisanen des Mittelalters, die Mätressen in sämtlichen politischen Regimen der Neuzeit haben ihn genutzt. So wie alle Frauen unserer modern times, in denen Geld, ganz unverbrämt, das entscheidende Überlebensmittel ist: die einen als „bessere Hälfte“ der „Versorgungsehe“, die anderen als Huren, die – ihrerseits unverbrämt – Sex zu Geld machen und damit ein angebliches Naturgesetz als Ideologie enttarnen: Männer können Sex von „echten Gefühlen“ trennen – Frauen meinen Sex immer „ganzheitlich“.

Make sex, not war!

Die 60er und 70er waren aber auch die Ära von Woodstock, Hippie-Libertinage, Sex’n drugs’n Rock’n Roll, schwulem coming out (beim Aufstand gegen Polizeigewalt im New Yorker Stonewall Inn) und also der großen Entdeckung: Sex ist ein vitales Menschenrecht, und es gibt mehr Sexualitäten unter der Sonne, als der (be)herrschende und (ein)gängige Mainstream-Heterosex vorschreibt. Die „Antibabypille“ nahm Frauen die Angst vorm Schwangerwerden und öffnete Spielräume. Angeborene Monogamie? Blödsinn! Vögeln macht Spaß und tut gut. Beim one-night stand wie in intensiven langen Liebesbeziehungen und Ehen. „Sex is machbar, Frau Nachbar!“ So lockere Sitten waren ja bei Schwulen und Huren denkbar, aber beide wurden ja dafür auch kriminalisiert. Der Generalstreik, mit dem die Huren in Frankreich 1975 den Kampf gegen ihre Kriminalisierung eröffneten, ist umgekehrt kaum denkbar ohne Stonewall 1969 und ohne die Selbstbefreiung der Frauen aus dem Gefängnis sexueller Prüderie.

Stand by your man…

Huren blieben lange aus dem Blick der Frauenbewegung. Aber kaum waren sie von Lyon aus in die Öffentlichkeit geplatzt, schwangen ausgerechnet Feministinnen mit ein bisschen Medienmacht wieder die „Messlatte Mann“. Anstatt zu jubeln über politische Huren (von deren Geld auch – heimlich – die Frauenbewegung profitierte), machten sie „den Zuhälter“ zur Ikone der Prostitution und hinter ihm die Huren als kämpfende, autonome Wesen unsichtbar. Das tun sie heute wieder, nur nennen sie “ Zuhälter“ heute „Menschenhändler“, erklären Huren pauschal zu Opfern sexueller Gewalt („Zwangsprostituierten“) und sprechen ihnen kurzerhand die Fähigkeit zu Selbstbestimmung ab.

Wir sind also offenbar keinen Schritt weiter – oder doch? Wir haben seit 2002 ein Prostitutionsgesetz, das die „Sittenwidrigkeit“ aus dem einschlägigen Strafrecht getilgt und Huren mit anderen geschäftsfähigen Erwachsenen gleichgestellt hat. Das bedeutet enorm viel, an individueller Freiheit wie an politischer Repräsentanz. Wir haben etliche Gesetze zur Gleichstellung von Frauen im allgemeinen, ein bisschen mehr Zugang zur Erwerbsarbeit, sogar Karrieren. Aber wir haben noch immer eine Geldwirtschaft, die auf der „Versorgungsehe“ basiert: auf der Finanzierung der Gratisarbeit der einen durch die entlohnte Arbeit des anderen.

„When somebody says it’s not about the money, it is about the money.“ (H. L. Mencken)

Und wie steht’s heute so mit der sexuellen Liberalisierung? Die bekam Mitte der 80er Jahre einen Tiefschlag durch eine sexuell übertragbare grausame Krankheit: AIDS. Und damit, auch nur scheinbar paradox, Schubkraft für die Schwulen- wie für die Hurenbewegung. Die Feinde der Freiheit dagegen brauchten fast eine Generation, um sich zu sammeln zum Versuch der Generalreprüdisierung. Das antiliberale roll-back kommt allerdings nicht aus den USA, es ist hausgemacht. In Zeiten, in denen man dem Modell „Versorgungsehe“ beim Zusammenbrechen zusehen kann, weil kaum eine Erwerbsarbeit noch genug Geld zum Leben, gar für eine ganze Familie, einbringt, müssen die Ideologen der Intoleranz zu ideologischem Furor und menschenverachtender Demagogie greifen.

Nur gut, dass genau jetzt die Überlebenskünstlerinnen aller sexistischen Verachtung das Spielfeld für Verbündungen „re-sexualisieren“ und neu und größer vermessen: die Hurenbewegung,  die Sex auch in Gestalt sexueller Dienstleistungen zu den Menschenrechten zählt und damit den Hurenlohn ebenso verteidigt, wie sie Freier gegen Diskriminierung schützt.

* ihr hat die Zeitschrift Mittelweg 36  (Hamburger Edition) das gesamte Heft Juni/Juli gewidmet, eine dringend notwendige politische Würdigung

 

»Ist eine Gesellschaft ohne Sexarbeit denkbar/wünschenswert?«

Ein Leben ohne Sex ist denkbar, aber sinnlos (frei nach Loriot). Sex ohne Arbeit ist wünschenswert, aber denkbar selten. Wer Sex rückständefrei von Arbeit befreien wollte, müsste zuerst das Geld abschaffen. „Und was träumst du nachts?!“

Pieke Biermann, geboren 1950 in Stolzenau (Niedersachsen), wuchs in Hannover auf. Sie ging dort zur Schule und studierte später in Hannover (Deutsche Literatur und Sprache, Anglistik und Politik) und in Padova (Scienze Politiche). Seit 1976 lebt und arbeitet sie in Berlin – nach 5 Jahren Jobs in der Sex- (ab 1975) und 2 Jahren in der Kulturindustrie – im gemischten Schreibwarenhandel als freie Schriftstellerin und Übersetzerin. Sie ist Autorin des Buches „Wir sind Frauen wie andere auch!“ welches 1980 erschien und diese Jahr neu aufgelegt wurden.

©2014 Pieke Biermann