Okzidentale Überlegenheitsphantasien gepaart mit Heteronormativität

von Antke Engel

Angesichts der rassistischen und antisemitischen Argumentationen, welche die 2012 in Deutschland geführte Mediendebatte über Vorhautbeschneidung geprägt haben, kann das seit Anfang des Jahres geltende „Gesetz über den Umfang der Personensorge bei der Beschneidung des männlichen Kindes“ als gelungene Gegenmaßnahme betrachtet werden. Die Gesetzesformulierung, die die Vorhautbeschneidung prinzipiell erlaubt, so sie gemäß medizinischer Standards stattfinde und das Kindeswohl nicht gefährde, zeichnet sich dadurch aus, dass sie Beschneidung nicht als Minderheitenpraxis markiert (ein Lob, dass sich allerdings weder auf die Gesetzesbegründung noch die begleitenden Presseerklärungen ausdehnen lässt). Indem Beschneidung als Frage des elterlichen Sorgerechts behandelt wird, kann eine universelle Formulierung entworfen werden, die nicht nach den Motiven der Beschneidung fragen oder diese als Spezialfall der Religionsfreiheit behandeln muss.

Die soziale Zuschreibung von Männlichkeit an einen Kinderkörper

Dennoch ist das Gesetz aus queer-feministischer Perspektive als „Sondergesetz“ zu problematisieren, denn es gilt nicht für alle Kinder, sondern für „männliche Kinder“. Das Gesetz forciert und naturalisiert eine zweigeschlechtliche Unterscheidung, welche keinerlei Raum für Intersexualittä und Transgender lässt. In der Gesetzesbegründung wird dies untermauert, indem eine kategorische Unvergleichbarkeit der Beschneidung von Jungen und Mädchen statuiert wird, so dass es obsolet erscheint, auch nur zu fragen, entlang welcher Kriterien und unter welchen Bedingungen die eine Praxis als Recht elterlicher Sorge erlaubt und die andere als Menschenrechtsverletzung verboten wird. Wenn mit Kriterien der Integrität, der Mitsprache und Selbstbestimmung von Kindern argumentiert wird, müssten diese sich konsequenterweise auch auf den medizinischen und pädagogischen Umgang mit intersex* oder transgender* KörperSubjektivitäten beziehen und ebenso z. B. für Klitorisbeschneidung, kosmetische genitale Operationen, Psychopharmakagaben bei ADHS-Diagnose, Diätpraxen oder Leistungssport gelten. Wird auf rechtliche Regulierung gesetzt, so bräuchte es ein Gesetz, dass jegliche Form der Körpermodifikation regelt, die bleibende Folgen hat. Im Hinblick auf queer-feministische Beiträge für eine kontroverse öffentliche Diskussion erscheint es mir jedoch interessanter, die Aufmerksamkeit zunächst darauf zu lenken, dass die genannten Praxen als rituelle Formen verstanden werden können, mittels derer Geschlechtsidentitäten geformt werden.

Für eine Debatte über Körpermodifikationen – und ebenso für künftige Gesetzgebungsprozesse – ist es meiner Ansicht nach entscheidend, das so genannte biologische Geschlecht als einen Materialisierungsprozess und in unhintergehbarer Verquicktheit mit sozialen, symbolisch-diskursiven und psychischen Prozessen der Vergeschlechtlichung zu verstehen. Gezielt gilt es die rigide zweigeschlechtliche Unterscheidung, die Zumutung normativer Geschlechterbilder und Hierarchisierungsprozesse zu reflektieren: Was bedeuten sie für das Funktionieren – heterogener, nicht einheitlicher – Geschlechterverhältnisse? Inwiefern werden durch religiöse und soziale, aber auch durch rechtliche, medizinische und pädagogische Maßnahmen strikte Unterscheidungen und Hierarchien der Geschlechter bestätigt und verschärft oder anfechtbar? Wieso finden sich weder bei Gegner_innen noch Befürworter_innen der Beschneidungspraxis Stimmen, die die soziale Zuschreibung von Männlichkeit an einen Kinderkörper und die klare Unterscheidung von Jungen und Mädchen als pädagogisch oder politisch fragwürdig ansehen? Und was bedeutet dies im Hinblick darauf, wie Geschlecht mit Zuschreibungen von Rasse, Klasse, ethnischer oder religiöser Differenz und Körperidealen komplex verwoben wird.

Selbstbestimmung als Argument christlich-säkularer Dominanz

Geht es as queer-feministischer Perspektive darum, Geschlecht und Sexualität eben gerade nicht isoliert von Rassisierungen, sozio-kulturellen Verhältnissen und religiösen Einbettungen zu verstehen, so ist im Hinblick auf die Debatte um Vorhautbeschneidung danach zu fragen, wie die rassistischen und antisemitischen Aspekte des Diskurses verknüpft sind mit heteronormativen Geschlechter- und Sexualitätsverständnissen. Dieser Frage möchte ich anhand eines Beispiels genauer nachgehen und zeigen, wie auch in die Argumentation für Integrität und Selbstbestimmung, die sich auf einen angeblich neutralen Menschenrechtsuniversalismus beruft, okzidentalistische Überlegenheitsvorstellungen eingeschrieben sind. Die Kampagne „Mein Körper gehört mir. Zwangsbeschneidung ist Unrecht, auch bei Jungen“ des Vereins pro Kinderrechte (www.pro-kinderrechte.de) reklamiert eine bedeutsame Stimme gegen Beschneidung und betreibt finanzstarke, spendengestützte Öffentlichkeitsarbeit. Mit Verweis auf universelle Menschenrechte und so genannten evolutionärem Humanismus wird Beschneidung als Verletzung der Integrität und Selbstbestimmung von Kindern kritisiert. Rhetorisch und unter Verwendung einer bildreichen Sprache wird auf der website eine doppelte Opfererzählung entworfen: Zur Beschreibung der Lage der Jungen finden sich Worte wie „Schicksal“, „tragischer Tod“, „verschwiegener Skandal“ und auch das antisemitische Klischee „Verbluten nach Beschneidung durch Mohel“; die jüdischen Eltern, die einem “sozialen Anpassungsdruck” unterliegen, “dem sie sich selbst nicht widersetzen können”, erscheinen als hilflose Opfer eines Zwangsregimes. Gefordert ist eine advokatorische Position, die durch Aufklärung und wissenschaftlichen Fortschritt archaische Praxen bekämpft. Betont wird, dass diese auf Unwissenheit gründen und niemand unterstellen wolle, dass den Eltern nicht am Kindswohl gelegen sei. Viel Mühe wird darauf verwendet, Stimmen jüdischer Kritik aufzuzeigen und Generalisierungen über jüdische oder muslimische Kultur zu vermeiden. Gezielt wird eine rhetorische Einladung an diejenigen Mitglieder so genannter Minderheiten inszeniert, die sich okzidentalen Werten verpflichten. Doch mit diesem Normalisierungsangebot geht zugleich die Sicherung eines christlich-säkularen Überlegenheitsverständnisses einher.

Ein hochsensibles, funktional nützliches Körperteil

Hinsichtlich des Geschlechterbildes der Kampagne erweist sich der angeblich universelle Begriff des Kindes als Code für einen weißen, christlich-säkularen, heterosexuellen Jungen, der über einen „hochsensiblen, funktional nützlichen Körperteil“ verfüge, der durch „Amputation“ bedroht sei. Visuell tritt dies auf dem Poster der Kampagne deutlich zu Tage: Das „ungehörige“ Bild eines männlichen Opfers entsteht, indem ein kopfloser Kinderkörper in stereotyp-blauer Jungenkleidung durch den zentralen Fokus auf weiße Kinderhände dargestellt wird, die sich schützend vor den Schritt legen und krampfhaft den Jeansstoff hochziehen. Auf verbaler Ebene werden Vorstellungen von Schmerz und Zwang, von Verletzung des Körpers und Gefährdung von Lustempfinden so eingesetzt, dass dies Kastrationsangst und das Bild einer gefährdeten Männlichkeit aktiviert. Der Rekurs auf Selbstbestimmung und Integrität dient dazu, das längst umstrittene Ideal autonomer Maskulinität und zugleich die Hegemonie weißer, abendländischer christlich-säkularer Individualität abzusichern. Hierbei wird die Auffassung forciert, Integrität und Selbstbestimmung seien vorsoziale, universell gültige und objektiv messbaren Zustände. Doch Selbstbestimmung und Integrität, ebenso wie Lust und Schmerz werden durch soziale Interaktion allererst erfahrbar und verständlich. Da Selbstbestimmung immer schon kulturell gerahmt ist und innerhalb von Beziehungen der Macht, des Begehrens, der Dominanz und Angewiesenheit gelebt wird, kann sie nicht die Antwort bieten, sondern höchstens Fragen bezüglich der Entscheidung über Körpermodifikationen aufwerfen.

Antke Engel ist promovierte Philosophin, feministische Queer Theoretikerin und freiberuflich in Wissenschaft und Kulturproduktion tätig. Sie leitet das „Institut für Queer Theory“ in Berlin (www.queer-institut.de). Im Mai wird ein längerer Artikel zur Beschneidungsdebatte von ihr in der Zeitschrift femina politica erscheinen.


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