Kathrin Ganz

 

Teilhabe für alle durch neutrale Plattformen?

Die Geschlechterpolitik ist ein Dauerbrenner in der Auseinandersetzung mit der Piratenpartei. Allzu oft bleibt diese jedoch bei stereotypen Vorstellungen stehen, also zum Beispiel bei der Geschichte von den technikverliebten Nerds, die die Sprache der Frauen nicht sprechen (vgl. den Beitrag von Dieter Janecek), statt sich mit den politischen Potentialen netzbasierter Vergemeinschaftung zu beschäftigen, wie Jasmin Siri es vorschlägt. Diesen Faden möchte ich aufgreifen und aus einer Außenperspektive einige der Auseinandersetzungen innerhalb der Piratenpartei zur Frage der parteiinternen Geschlechterpolitik einordnen.

Postgender und Quote

Wenn über die Geschlechterpolitik der Piraten diskutiert wird, geht es meist um zwei Themen: „Postgender“ und der Anteil von Frauen in der Partei. Der Bergriff „Postgender“ wurde von Pirat_innen zunächst in kritischer Weise verwendet, um eine aus feministischer Sicht problematische Frauen- und Geschlechterpolitik in der Partei zu benennen. Daraufhin wurde der Begriff von vielen Piraten jedoch in affirmativer Weise aufgegriffen, die Geschlecht als politische Kategorie tatsächlich für überkommen halten. Andere wiederum nahmen den Begriff zur Beschreibung einer Utopie auf. Eine dritte Gruppe grenzten sich von der Vorstellung ab, Geschlechtsneutralität sei ein erstrebenswertes Ziel.

Gleichzeitig wurde über den offensichtlich geringen Frauenanteil bei den Piraten und die Notwendigkeit einer Quote gestritten. Dass sich die Quote bei den Piraten nicht durchsetzt, liegt meiner Ansicht nach daran, dass zwei Argumentationsweisen mit eigentlich konträren Ausgangspositionen eine Koalition bilden. Zum einen gibt es Quotengegner_innen, die das Argument der strukturellen Benachteiligung von Frauen nicht anerkennen und befürchten, dass besser qualifizierte männliche Kandidaten durch eine Quote das Nachsehen hätten. Diese Haltung korrespondiert mit einer Interpretation von „postgender“, wonach Sexismus überwunden sei. Zum anderen wenden sich aber auch die „Postgender-Utopist_innen“ gegen die Quote, die (hetero)sexistische Strukturen zwar sehen, aber kein Instrument dagegen einsetzen wollen, das selbst nur Männer und Frauen kennt.

Sollen Positionen, die sich nicht in der binären Geschlechternorm wiederfinden, mitgedacht werden, wird es komplizierter, mit der Quote zu arbeiten. Bei einer Umfrage des „Kegelklubs“, einer geschlechterpolitischen Arbeitsgruppe in der Piratenpartei, gaben außerdem 36 Prozent der Befragten an, sie störe, dass die „Genderdebatte“ nur Frauen berücksichtige und „andere Minderheiten“ (sic!) vernachlässige (vgl. http://kegelklub.net/blog/wp-content/uploads/2012/03/120310-Kegelklub-Auswertung.pdf). Die Piraten lehnen die Quote also auch deswegen ab, weil mit Hinsicht auf andere Ungleichheitsverhältnisse keine Antwort hat.

Liquide Demokratie: Partizipation als Alternative

Statt auf eine Quotierung der Ämter und Mandate setzen die Piraten auf neue Formen der basisdemokratischen Beteiligung. Das Liquid Feedback-System ermöglicht netzbasierte Diskussions- und Entscheidungsprozesse, bei denen es den Parteimitgliedern überlassen ist, ob sie bei einem bestimmten Thema selbst partizipieren oder ihre Stimme übertragen. Lena Rohrbach verbindet damit die Hoffnung auf eine „Heterogenisierung und Kollektivierung politischer Akteur*innen“, die mit einer Pluralisierung von Geschlechterbildern kompatibel ist. Was dazu jedoch aus meiner Sicht fehlt ist eine politische Leitidee, die den Rahmen des parteiinternen Diskurses konstituiert. Es mag paradox klingen, aber ohne eine solche Begrenzung kann es meiner Ansicht nach keine Offenheit geben, die zur Partizipation anregt. Man muss einschätzen können, ob es sich lohnt, Zeit in basisdemokratische Prozesse zu investieren.

Plattformneutralität als Leitidee

Ein Konzept, dass in diesem Zusammenhang diskutiert wird, ist die Plattformneutralität. Demnach ist es Aufgabe der Politik, einen diskriminierungsfreien Zugang zu Infrastrukturen zur Verfügung zu stellen, die gesellschaftlichen Austausch ermöglichen. Ich halte es für wichtig, das gesellschaftspolitische Mittel eines diskriminierungsfreien Zugangs zum Austausch von Informationen nicht mit dem Ziel der Diskriminierungsfreiheit zu verwechseln. Soziale Ungleichheit reproduziert sich nicht aufgrund von fehlenden Informationen oder weil Marginalisierte ihre Forderungen nicht zum Ausdruck bringen. Das Problem ist vielmehr, dass Privilegierte nicht zuhören, den Forderungen keine hohe Priorität geben oder sie in einer Weise umsetzen, die ihren eigenen Interessen zugute kommt. Zu denken, die Lösung eines Konfliktes laufe stets auf eine Win-Win-Situation hinaus, wenn nur alle mitmachen können, halte ich für falsch.

Die Piraten inszenieren sich gerne als leeres Blatt, das von jedem beschrieben werden kann. Getreu dem Motto „ihr hättet ja mitmachen können“ hat dieses System einen Bias, der denjenigen zu Gute kommt, die wissen, wie sie sich und ihren Interessen Gehör verschaffen können. Die zahlreichen sexistischen, rassistischen und antisemitischen „Gates“ der Piraten haben gezeigt, dass das Argument der Meinungsfreiheit dazu instrumentalisiert werden kann, kritische Stimmen zum Verstummen zu bringen. Freie Kommunikation und die Möglichkeit, sich einzubringen, reichen meiner Ansicht nach als Rahmen für emanzipatorische Politik nicht aus.

Institutionalisierte Differenz statt scheinbarer Neutralität

Ohne eine intensive Auseinandersetzung mit den verschiedenen Formen sozialer Ungleichheit, deren Auswirkungen auf Subjektivität und die Möglichkeit, sich in politische Prozess einbringen zu können, geht es nicht. Die Quote ist schon allein deshalb kein Allheilmittel, weil es ein identitätspolitischer Fehlschluss ist, davon auszugehen, es gäbe das Interesse „der Frauen“, das alle Frauen, ungeachtet ihrer Privilegien und Marginalisierungserfahrungen, vertreten könnten. Die Quote sorgt aber dafür, dass sich Männer dafür interessieren müssen, was Frauen zu sagen haben. Die Tatsache, dass die Partei als Kollektiv nicht homogen, sondern durch das Geschlechterverhältnis geprägt ist, wird bei den Grünen und anderen Parteien auf diese Weise institutionalisiert. Einen vergleichbaren Kniff in Liquid Feedback einzubauen, der über das Geschlechterverhältnis hinaus auch queere Überlegungen berücksichtigt und mit Mehrfachpositionierungen umgehen kann, wäre aus demokratietheoretischer Sicht ein Killerfeature. Eine „neutrale“ Plattform wäre Liquid Feedback dann aber nicht mehr.

Kathrin Ganz, 29 Jahre alt, ist Politikwissenschaftlerin und promoviert an der TU Hamburg-Harburg zur Netzbewegung aus intersektionaler und hegemonietheoretischer Perspektive. Sie ist Mitglied der AG Queer Studies Hamburg und bloggt auf iheartdigitallife.de.