Das Ideal des siegenden Kriegers – Warum Liebe und Empathie unabdinglich bleiben

von Andrea Ferber

Das Ideal des siegenden Kriegers – Warum Liebe und Empathie unabdinglich bleiben

Bevor über mögliche Bündnisse nachgedacht wird, sollte man kurz darüber reflektieren, was die möglichen Gründe des thematisierten „Roll Back“ in Fragen der Geschlechterdemokratie sind. Dazu einige kurze Überlegungen: Arno Grün, der sich in seinen Werken ausführlich mit den Ursachen von Unterdrückung, Diskriminierung, Extremismus und Gewalt auseinander setzte, äußerte zu Beginn der 1990er Jahre folgendes: „Indem wir zum Beispiel vom Fremdenhass sprechen, anstatt vom Hass gegen Menschen, weichen wir bereits aus. Die Bezeichnung ‚Fremdenhass‘ verlegt schon seine Ursache in etwas Äußerliches: weniger ‚Fremde‘, weniger Hass.“ – Arno Grün, Tages-Anzeiger vom Dezember 1991

Gefahren beim Begriff „Diskriminierung der Frau“ – Was kann dabei übersehen werden? Langfristig unzweckmäßig?
Ausgehend von dieser Logik Arno Grüns, sollte man darüber nachdenken, ob es zwar naheliegend und logisch aber langfristig unzweckmäßig war, den Kampf gegen Frauen- beziehungsweise Geschlechterdiskriminierung nicht von vornherein als Kampf gegen Menschendiskriminierung verstanden und diskutiert zu haben. Denn auch der Begriff „Diskriminierung der Frau“ verlegt die Ursache auf eine „Besonderheit“: dem Frau-Sein. Dieses Ausweichen mag bewirken, dass“ man(n)“  ignoriert, dass alle Diskriminierung eine Menschendiskriminierung ist, die ihre Ursache im Hass auf Menschen hat, ein Hass, der sich zwar massiv gegen Frauen auslebt, aber genau so gegen alle andere Menschen. Es ist ja nicht so, dass Männer, die Frauen diskriminieren, miteinander liebevoll umgehen würden. Im Gegenteil.

Es kann keine wirkliche Zivilisation in einem Land geben, in dem es üblich ist, Menschen zu hassen bzw. zu diskriminieren. Frauendiskriminierung basiert genau wie jede andere Diskriminierung auf der grundsätzlichen Verachtung für andere Menschen und für das Menschliche in sich selbst. Sie ist Ursache, Ausdruck und Beweis dafür, dass man sein Leben verfehlt, denn: „Wirklicher Reichtum besteht im Reichtum seiner menschlichen Beziehungen.“ – Karl Marx

Seelisch krank, weil das Wichtigste fehlt – Liebe, Empathie, Verständnis
Warum ist die oben zitierte „Korrektur“ von Arno Grün wichtig, wenn es um die Frage nach Bündnissen geht? Weil dadurch deutlich wird, dass die Ausgrenzung und Unterdrückung von Frauen Symptom einer gesellschaftlichen Fehlleistung ist, von deren Auswirkungen alle betroffen sind. Jegliche Diskriminierung ist Ausdruck einer seelischen Krankheit durch die Mensch beweist, dass ihm das Wichtigste für ein gelingendes Leben fehlt: Liebe, Empathie, Verständnis und Beziehungsfähigkeit.

„Kollateralschaden“ – Warum überzeugt die obige Logik im gesellschaftlichen Alltag so wenig?
Ich nehme an, sie überzeugt deshalb so wenig, weil seit Tausenden von Jahren nicht der empathische Mensch mit seinem Reichtum an Beziehungen das Ideal ist, sondern der siegende Krieger. Das Ideal des siegenden Kriegers finden wir sowohl in der alltäglichen Beziehung zwischen Mann und Frau, aber auch im täglichen Wirtschaftsleben als Umgang der  Männer miteinander. Die Universität St. Gallen untersuchte kürzlich die Kooperationsbereitschaft und den Egoismus von Profi-Aktienhändlern und kam zu dem Ergebnis, dass sich diese noch egoistischer und risikobereiter als eine Gruppe von Psychopathen verhielten, die den gleichen Test absolvierten. Sie bestätigten den Händlern einen rücksichtslosen Hang zur Zerstörung. Auch die veränderte Nato Doktrin, in der sich westliche Politiker weg vom Militäreinsatz als Verteidigungsfall hin zum weltweiten Krieg zur Sicherung von Rohstoffinteressen entschieden, ist Symptom einer zunehmenden Militarisierung der Politik, in welcher der siegende Krieger zum Ideal geworden ist. Seither haben wir auch im Westen und verstärkt dort Politiker, die sich siegreicher Kriege rühmen (möchten) und Tausende Tote mitleidslos als Kollateralschaden abqualifizieren. Wie kann es verwundern, dass die Sache der Frau vor diesem Hintergrund mehr und mehr stagniert?

„Es fehlen 200 Millionen Frauen und Mädchen auf dieser Welt“
Ein Krieger, der siegen will, darf nicht empathisch sein, er muss seinen Gegner entmenschlichen statt mit ihm einen Beziehungsreichtum zu schaffen. Wie könnte ich jemanden töten, wie könnte ich ihn missbrauchen, ausrauben, ausbeuten oder unterwerfen wenn ich mit ihm fühlte? Das ist nicht möglich. Es ist die Saat des Kriegers, die ganz logisch zu jeglicher Form von Menschenhass und damit auch zu jeglicher Form von Frauenhass als Grundlage ihrer Diskriminierung und Ausbeutung führt. Frauendiskriminierung ist ein Krieg gegen Mädchen und Frauen und damit immanenter Bestandteil der Logik des Kriegers. Dieser Krieg wird, wie man allgemein weiß, mit vielen Waffen ausgefochten, mal sanft und verdeckt, mal offen und gewaltsam. Die Tatsache, dass auf dieser Welt rund 200 Millionen Frauen und Mädchen fehlen (eine Kurzfassung von DCAF dazu, hier, Anm. d. Red.), dass jedes Jahr 2 bis 3 Millionen Mädchen und Frauen ermordet werden oder an den Folgen von Misshandlungen sterben, bezeugt einen der größten Massenmorde in der Geschichte der Menschheit schlechthin. Es wäre interessant zu erfahren, weshalb es dafür nicht einen eigenständigen Namen wie den Holocaust für die Verfolgung und Vernichtung von Juden gibt.

Sollte die bisherige (vorgeschlagene) Argumentation von mir zutreffend sein, ergibt sich die Antwort auf die Frage mit wem Bündnisse einzugehen seien, ganz von selbst:
Jegliche Initiative gegen Krieg (inklusive Wirtschaftskrieg) und Gewalt sowie sämtliche Aktivitäten gegen jede Form von Geringschätzung und Diskriminierung von Menschen sind Bündnispartner. Da die rücksichtslose Ausbeutung der Natur oder der kriegerische Ausrottungsfeldzug gegen bestimmte Tiere ebenfalls auf dem Mangel an Empathie beziehungsweise auf dem Geist des Kriegers beruhen, sind auch alle Initiativen zum Schutz der Natur Verbündete. Im Grunde kann Geschlechterdiskriminierung nur dann nachhaltig überwunden werden, wenn es zu einem Wechsel des gesellschaftlichen Ideals kommt: weg vom rücksichtslos agierenden siegenden Krieger in Wallstreet und Nato Hauptquartier (als Beispiele) hin zum Menschen, der sich als reich versteht wegen seines Reichtums an gelingenden menschlichen Beziehungen. Der Kampf für die Gleichberechtigung der Frau hat viele Erfolge errungen. Wenn es jetzt eine Stagnation oder ein Roll Back gibt, so weist das meiner Meinung darauf hin, dass ein qualitativer Sprung nötig ist. Ging es bisher um Rechte der Frauen in einer bestimmten gesellschaftlichen Wirklichkeit, die gegeben war, sollte es nunmehr darum gehen, das Thema auf eine höhere Stufe zu stellen und generell für eine Gesellschaft zu argumentieren, die weder imperial noch hegemonial ist, weil sie sich komplett abwendet vom Ideal des siegenden Kriegers.

Verbundenheit

Die Menschen sind Glieder miteinander verwoben,

Von gleichem Stoff aus der Schöpfung gehoben.

Hat das Leben ein Glied mit Schmerz versehen,

Die anderen Glieder vor Leid vergehen.

Du, der kein Mitleid mit anderen kennt,

Bist unwürdig, dass man dich einen Menschen nennt.

Saadi, 13.Jh.

 

Dr. Andrea Ferber, promovierte 1990 über neokonservative Theorien zur Arbeitslosigkeit, arbeitet heute als Wissenschaftlerin am isw – Institut für Strukturpolitik und Wirtschaftsförderung gemeinnützige GmbH in Halle/Saale am Bereich Bildungsforschung/Personal- und Organisationsentwicklung. Als Mitglied in der Gesellschaft zum Schutz der Wölfe freut sie sich besonders über die Rückkehr der Wölfe nach Deutschland.