Jede Revolution ist eine Chance – auch für ägyptische Frauen?

von Mona Hanafi El Siofi

Wie alle Zusammenschlüsse werden politisch motivierte Bündnisse wegen gemeinsamer Interessen eingegangen. Mit ausreichend breitem Rückhalt in der Zivilbevölkerung und an Schlüsselpositionen mögen sie sogar zu einer Speerspitze werden, die selbst den apodiktischen Starrsinn eines totalitären Regimes durchdringt. Je heterogener die einzelnen Bündnisparteien in sich oder im Verhältnis zueinander sind, desto zerbrechlicher sind freilich die Allianzen – und das wohl spätestens dann, nachdem ein konkret verbindendes Ziel im Wesentlichen erreicht worden ist und das weitere Vorgehen verhandelt wird.

Eben dies ist Anfang des Jahres 2011 in Ägypten geschehen, als Millionen von Menschen für den Sturz Mubaraks und seiner Regierung auf die Straßen gingen, über alle politischen und religiösen Haltungen hinweg, quer durch jedwede soziale Schichten, jung und alt, Männer wie Frauen. Als Mubarak auf Druck des Militärs endlich zurücktrat, griff ekstatischer Jubel um sich. Doch schnell zeigte sich, dass es eine Einheit aller Demonstrierenden nur in Bezug auf das gemeinsame ‚Feindbild‘ des Präsidenten gab und dass in der Realpolitik nach dessen Rücktritt dieselben verknöcherten Machtstrukturen den Status Quo stellen.

So berief der Militärrat zur Revision der ägyptischen Verfassung weder Frauen noch Aktivist_innen, die seit Jahren für grundlegende Veränderungen in ihrem Land kämpfen, mit in den Ausschuss ein und auch im neuen Kabinett wurde nur eine Frau eingeschworen. Das Versprechen, es werde ein Komitee gebildet, das sich unter Aufsicht jenes Kabinetts mit den Belangen von Frauen beschäftige, lässt eher darauf schließen, dass es Männer sein und bleiben sollen, die ausschlaggebende Entscheidungen treffen und die sich um die ‚wirklich wichtige‘ Politik kümmern. Dass Frauen relevante und gleichberechtigte Mitgestalterinnen der Gesellschaft sein könnten, sein sollten, dafür fehlt bei den meisten Männern die Einsicht, leider aber ebenfalls bei vielen Frauen.

Der Internationale Tag der Frau 2011 in Ägypten – eine Enttäuschung
Für den 8. März 2011, den Internationalen Tag der Frau, riefen Aktivistinnen über Facebook zu einem Millionenmarsch der Ägypterinnen auf, um mit solcher öffentlichen Präsenz daran zu erinnern, dass die Frauen bei den hoffentlich anstehenden politischen Umwälzungen nicht ausgebootet werden dürfen. Und das wäre nicht das erste Mal: Bei der ägyptischen Revolution im Jahr 1919 etwa kämpften Frauen Schulter an Schulter mit Männern gegen die britischen Kolonisator_innen, nach dem Sieg wurden ihre Hoffnungen auf geschlechtergerechte Reformen zerschlagen… Daher gründete Huda Shaarawi 1923 die nationalistisch-säkulare Egyptian Feminist Union (EFU), die sukzessive einige Erfolge in ihren frauenpolitischen Forderungen errang. Das gelang allerdings nicht ohne die Bezugnahme auf die Zeit des frühen Islam, während der Frauen Rechte zugestanden wurden, die über die Jahrhunderte wieder verloren gingen. Und angesichts der Bedeutung von Religion in der ägyptischen Gesellschaft hat dieser Umstand heute noch Gültigkeit: Wer bei den Massen etwas erreichen möchte, muss sich letztlich auch religiöser Argumente bedienen.

Zurück zum 8. März 2011. Am frühen Nachmittag traf ich auf dem Tahreer-Platz ein und war enttäuscht: es waren nur sehr wenige Frauen (und eine Handvoll Männer) gekommen. Darunter fanden sich auffallend viele ‚westliche‘ Ausländerinnen, was der Aktion wohl eher geschadet als genutzt hat. Warum geschadet? Nun, politisch hat der so genannte Westen keinen leichten Stand. Regelmäßig ist, teils ja berechtigt, von Falschspielerei und Einmischung in fremde Angelegenheiten die Rede. So konnte die Mubarak-Regierung im Januar 2011 die in manchen Kreisen noch wirksame Nachricht verbreiten, die Leute auf dem Tahreer-Platz würden vom ‚Westen‘ für ihre Unruhestiftung bezahlt und erhielten kostenlos Fastfood von Kentucky Fried Chicken. Daneben vermuten viele Menschen eine planmäßige Unterwanderung lokaler sozialer Werte durch den Westen, der über einen Identitätsverlust muslimische Gesellschaften von innen heraus zu schwächen suche. Dies bezieht sich gerade auch auf den Punkt der Geschlechterbeziehungen bzw. die Frauenfrage. Die große Anzahl der Ausländerinnen hat sicherlich dazu beigetragen, dass viele der umstehenden Männer und Frauen davon ausgingen, die inhaltlich gendersensiblen Flyer, die verteilt wurden, verbreiteten rein ‚westliches‘ Gedankengut. Auf diesen wurde u.a. ein Wandel der Geschlechterrollen gefordert: ägyptische Frauen sollten nicht vorwiegend auf die soziale Reproduktion festgelegt werden und auf allen Ebenen der Gesellschaft stärker partizipieren. Doch solche Ansichten, die für Ägypten angeblich nicht angemessen seien, vertreten nicht nur säkular Denkende, sondern auch religiöse feministische Musliminnen im Land. Jedenfalls wurden die demonstrierenden Ägypterinnen als von Ausländerinnen aufgehetzt bezeichnet, als reiche Snobistinnen, die die Einheit der Revolutionsbewegung mit solchem Aufbegehren unangemessen in zwei Lager spalteten: Frauen gegen Männer. Die Stimmung der Umstehenden heizte sich dermaßen auf, bis schließlich gewaltsam vorgegangen wurde, um die Frauendemonstration zu zerschlagen.

Bündnisse ägyptischer Frauen für eine geschlechtergerechtere Zukunft
Politisch interessierte Ägypterinnen engagieren sich seit Jahren national und international, um Frauen in Rechtsfragen zu unterstützen, sie weiterzubilden, ihnen finanzielle Einkünfte zu ermöglichen oder genderpolitisches Bewusstsein bei ihnen wachzurufen etc. Im April 2011 schlossen sich 16 solcher Organisationen in der Women’s Coalition zusammen. Dieser geht es u.a. um die verfassungsrechtliche Förderung von Frauen und um deren Beteiligung in allen Bereichen der Gesellschaft. Mitte Oktober 2011 wurde auch die 1952 verbotene EFU wieder ins Leben gerufen. Die EFU möchte Sorge tragen, dass sich genügend qualifizierte Frauen zur Wahl stellen sowie sich um die Realisierung von Frauenrechten/-bildung und nicht-genderspezifische Projekte wie etwa die notwendige Verbesserung des gesamten Bildungssystems bemühen.

Solche Bündnisse hinsichtlich Fraueninteressen sind ohne Frage sinnvoll. Allerdings darf nicht aus dem Blick geraten, dass eine generelle Stärkung von Frauen, angestrebte Gesetzesreformen und Frauenquoten in gleich welchen Institutionen allein keine grundlegenden Veränderungen patriarchalischer Strukturen herbeiführen. Es müsste auch überlegt werden, wie ein Wandel des traditionellen Männerbildes angestoßen werden kann, z.B. über eine Zusammenarbeit mit feministisch eingestellten Männern an prominenten Stellen. Hier wäre unbedingt auszuloten, ob es Chancen auf eine konstruktive Auseinandersetzung mit religiösen Institutionen gibt, die nach wie vor einen immensen Einfluss auf öffentliche Meinungen haben. Dazu wäre das Fachwissen religiös gut Gebildeter dringend vonnöten, die innerhalb dieser überwiegend konservativ eingestellten Männerdomäne ernst genommen werden, um über alternative bzw. feministische Interpretationen religiöser Quellentexte nachhaltig diskutieren zu können. Steht der Austausch mit Frauen-NGO’s anderer arabischer Staaten quasi selbstredend auf dem Programm, da ähnliche Schwierigkeiten und vergleichbare Interessen vorausgesetzt werden, ist fraglich, wie eng feministische Initiativen Ägyptens bzw. der arabischen Welt mit ‚westlichen‘ Kräften kooperieren möchten. Auf der einen Seite wird ‚westliches‘ Know-how und Wissen sicherlich geschätzt. Aber in der Vergangenheit zeigte sich bereits des Öfteren, dass die Ansichten darüber, wie soziale Veränderungen herbeigeführt werden können, stark divergieren und dass es auf ‚westlicher‘ Seite erhebliche Schwierigkeiten gibt, Araber_innen ihre eigenen Vorstellungen von Feminismus und Emanzipation zuzugestehen oder man sich ihnen darin sogar überlegen fühlt. In Anbetracht dessen ist ein Dialog auf Augenhöhe sowie das Aushalten können unterschiedlicher Ansätze und konkreter Zielsetzungen mehr als erstrebenswert.

 

Mona Hanafi El Siofi, M.A., lebt und arbeitet seit 2008 in Kairo. Sie ist Redakteurin der Freiburger GeschlechterStudien. Publikation: „Der Westen – ein Sodom und Gomorrha? Westliche Frauen und Männer im Fokus ägyptischer Musliminnen.“ (Ulrike Helmer Verlag, Sulzbach/Taunus 2009).