Den deutschen Gartenzaun überwinden

von Rita Schäfer

Thesen zur Friedens- und Sicherheitspolitik sowie zur Gender-Forschung

I. Chancen und Grenzen von Bündnispolitik: Gibt es ein „wir“ im Bündnis? Welche Bedingungen sind für erfolgreiche (transnationale) inklusive geschlechterpolitische Bündnisse notwendig bzw. müssen überdacht werden?

  • Der Blick in den Globalen Süden ist hilfreich für hiesige Reflexionen: International vernetzte frauenpolitische Aktivistinnen haben wesentlich dazu beigetragen, dass geschlechtsspezifische kriegerische Gewaltformen und –folgen in der Friedens- und Sicherheitspolitik sowie in Forschungen über Kriege und Nachkriegsgesellschaften ansatzweise wahrgenommen werden. Ihre Vernetzungen und Bündnisse im Umfeld der Weltfrauenkonferenzen boten Möglichkeiten zum Austausch und zur Formulierung gemeinsamer Ziele. Insbesondere für afrikanische Aktivistinnen war der kontinentübergreifende Dialog im Kontext des Kalten Krieges und während der Bürgerkriege in den 1990er Jahren wichtig. Die positiven Erfahrungen afrikanischer Aktivistinnen, trotz aller Unterschiede gemeinsame und eigene Ziele zu verfolgen und Frauenrechte in den nachkolonialen Verfassungen oder in den Rechtsgrundlagen der Nachkriegsländer zu verankern, sollten bei uns nicht in Vergessenheit geraten.
  • Frauenpolitische Aktivistinnen haben Reformgrundlagen oft gegen den energischen Widerstand männlicher Amtsinhaber und früherer Mitstreiter in den Unabhängigkeits- oder Guerillakriegen durchgesetzt. Um so mehr sind Politikerinnen in den Nachkriegsgesellschaften gefordert, Gesetzesreformen umzusetzen, denn ihre Gesellschaften werden nach wie vor von Männern dominiert, die auf den Erhalt einer als Tradition interpretierten Geschlechterordnung pochen. Parlamentarierinnen in Nachkriegsgesellschaften sind in Parteidisziplin oder gar in Kadergehorsam eingebunden, entsprechend eingeschränkt agieren sie oft. Dies zeigt sich in Simbabwe, Südafrika oder Ruanda beispielhaft. Deshalb sollten sich hiesige Aktivistinnen nicht darauf beschränken, Frauenquoten zu verlangen. Diese garantieren keineswegs frauenpolitische Erfolge, um so enttäuschter sind lokale unabhängige Frauenorganisationen von Parlamentarierinnen, die klare Grenzen zur Zivilgesellschaft ziehen. Diese Hinweise illustrieren, wie kontextspezifisch geschaut werden muss, um die Schwierigkeiten von Bündnissen zwischen Frauen in Nachkriegsgesellschaften zu verstehen. Auf die deutsche Gesellschaft übertragen bedeutet das, genau zu prüfen, mit welchen Politikerinnen in welcher Weise konstruktiv kooperiert werden kann. Vorsicht gegenüber Frauenquoten betrifft auch Sicherheitssektorreformen, insbesondere die Armee. Ein höherer Anteil von Soldatinnen oder gar einzelne Frauen in Führungspositionen ändern keineswegs die militärischen Strukturen, die auf martialischer Männlichkeit aufbauen. Auch in der Polizei reicht es nicht, den Anteil an Polizistinnen zu erhöhen, die als Ansprechpartnerinnen für weibliche Gewaltopfer wirken sollen. Viele werden von männlichen Kollegen sexuell belästigt. Zwingend notwendig sind grundlegende Polizeireformen, denn vielerorts gehen Polizisten gewaltsam gegen Hilfesuchende und Verdächtige vor. Willkür und Korruption sind verbreitet. Oft wenden männliche Polizisten Gewalt gegen ihre eigenen Ehefrauen oder Partnerinnen an. Frauenpolitische Aktivistinnen sollten sich von potenziellen Bündnispartnern nicht für fragwürdige Sicherheitsmaßnahmen vereinnahmen lassen, bei denen frauenpolitische Forderungen instrumentalisiert und Frauenrechte preisgegeben werden.
  • Für Mitarbeiterinnen von Entwicklungsorganisationen aus dem Globalen Norden, die lokale Aktivistinnen im Globalen Süden unterstützen, kommt ein weiteres Problem hinzu: Ihre Vorstellungen von Frauen-Empowerment, Frauen-, Familien- und Gender-Politik können sehr von lokalen Konzepten divergieren. Mancherorts schließen sich Frauen nicht aus idealisierter weiblicher Solidarität, sondern aus überlebenspraktischen Notwendigkeiten zusammen und gehen wieder getrennte Wege, wenn konkrete gemeinsame Ziele erreicht sind. Der verbreitete reaktive Ansatz, ausschließlich weiblichen Gewaltopfern nach Kriegen zu helfen, wird vor Ort nicht unbedingt bevorzugt. Für die Arbeit mit Männern, Familien- und Dorfverbänden oder Stadtteilgruppen erhalten (Frauen-)Organisationen nur schwer Geld. FEMNET in Kenia und das Sonke Gender Justice Network in Südafrika zeigen beispielhaft, wie wichtig diese Ansätze sind. Der Sonke Gründer und Leiter Dean Peacock, der auch in dem von Ban ki Moon initiierten UN-Männer Beratergremium zu Frauen- und Geschlechterpolitik mitwirkt, hat zudem beim UNESCO Future Forum in Athen (Sept. 2010) ein Paper präsentiert, das konzeptionell aufschlüsselt, wie Friedensaktivistinnen mit Männernetzwerken sinnvoll koopieren können.Bündnisse mit diversen Akteuren, die lokale Aktivistinnen nicht unkritisch, aber pragmatisch schließen, entsprechen oft nicht hiesigen eng gefassten Frauen-Empowerment-Konzepten. Um so wichtiger sind Selbstreflexionen hiesiger Akteur_innen; sie sollten Konstruktionen von Männlichkeit in Kriegen und die Transformationen von Maskulinität nach Kriegen durch Männer als „Change Agents“ in den Blick nehmen. Diese Auseinandersetzung sollte sich keineswegs auf Mitarbeiterinnnen hiesiger Organisationen oder Institutionen beschränken, sondern vor allem eine Aufgabe für Männer in Führungsfunktionen sein. Denn sowohl in den Abteilungen für Friedens- und Sicherheitspolitik als auch für zivile Konfliktbearbeitung dominieren Männer unterschiedlichen Alters, die Gender als Frauenthemen abtun und allenfalls an Hilfsprogramme für „Vergewaltigte“ denken. Auch einige Frauen in Gremien, Organisationen oder Institutionen ignorieren mit Blick auf herrschende personelle Hierarchien Gender-Themen, insbesondere Maskulinitätsfragen, und weisen frauenpolitische Ziele weit von sich.

II. Wo sehen Sie geschlechterpolitische Bündnispartner_innen auch im Hinblick auf Männer?

  • Hier könnte das Motto lauten: Von europäischen Nachbar_innen lernen: Innovative Gender-Trainings, die gezielt Männer als „change agents“ ansprechen und vom Women Peacemakers Programme (WPP/IFOR) in den Niederlanden seit Jahren angeboten werden, weisen Wege, wie Perspektiven erweitert werden können. Diese Trainingsprogramme sind vielen Mitarbeiter_innen hiesiger Organisationen nicht bekannt, wären aber erhellend bei der Auseinandersetzung mit kriegerischer Männlichkeit. Auch Programme staatlicher und nicht-staatlicher Organisationen in Österreich oder Norwegen zur internationalen Vernetzung von Frauenorganisationen in Nachkriegsländern und deren Arbeit mit Jungen und Männern werden hier kaum wahrgenommen.
  • Perspektiverweiterungen bietet die Auseinandersetzung mit Maskulinitätsforschungen zu Kriegen und Nachkriegsgesellschaften, zumal diese sich nicht auf lokale Gesellschaften beschränkt, sondern das Verhalten von Blauhelm- oder NATO-Soldaten und Mitarbeitern humanitärer Organisationen ebenfalls kritisch analysiert. Die Rezeption solcher Studie wäre sowohl für Mitarbeiter nicht-staatlicher und staatlicher Organisationen als auch für Friedens- und Konfliktforscher oder die steigende Zahl sogenannter „Sicherheitsexperten“ erhellend, die Kriege und Konflikte nach wie vor ohne jegliche Berücksichtigung von Gender zu erklären versuchen. Bislang sind nur einzelne Friedens- und Konfliktforscherinnen Bündnispartnerinnen hiesiger friedenspolitischer Aktivistinnen. Auch für die an hiesigen Universitäten etablierten Gender-Studies könnte die Rezeption internationaler Maskulinitätsforschungen über Kriege und Konflikte erkenntnisreich sein. Sie ignoriert diese aber weitgehend, weil empirische und praxisrelevante Gewaltanalysen nicht der einseitigen Orientierung auf ausgewählte US-amerikanische Theorien vieler hiesiger Gender-Forscherinnen entsprechen.

III. Wie wird Bündnisfähigkeit der Beteiligten erreicht? Wie sind Verhandlungsprozesse in solchen Bündnissen zu gestalten?

  • Auch hier könnte das Motto lauten: Vom Globalen Süden lernen. Konkret bedeutet das: Intensivere Selbstreflexionen, mehr Dialogbereitschaft und Pragmatismus, Überwindung der deutschen Gartenzaunmentalität in Organisationen und Institutionen, bessere Verbindungen zwischen unterschiedlichen Arbeits- und Handlungsebenen, konstruktiverer Umgang mit Differenzen und konträren Standpunkten, ehrlicherer Umgang mit Konkurrenz, eigenen Dominanzansprüchen und Karrierezielen, mehr Austausch zwischen Theorie und Praxis, Intensivierung der Interdisziplinarität, systematische Verankerung von Gender-Seminaren in der universitären Ausbildung und in der Fortbildung von Friedensfachkräften, Mitarbeiter_innen von Auslandseinsätzen und Entwicklungsorganisationen.

 

Dr. Rita Schäfer, freiberufliche Wissenschaftlerin und Gutachterin; diese Thesen geben Ihre persönliche Meinung wieder.