Postgender das! – Zwischen Kritik und Vision

Postgender das! – Zwischen Kritik und Vision

Wenn es darum geht eine gesellschaftliche Utopie zu formulieren, sind sich Grüne Jugend und Piraten sehr nahe. Genaugenommen ist postgender unser politisches Ziel, auch wenn das nie unser Wording war. „Fuck Gender, be yourself!“ ist der Titel unseren queer_feministischen Manifests, ein Beschluss aus dem Jahre 2009, der unsere Vision festhält: Eine Gesellschaft ohne Kategorisierung, ohne normative Zwänge, ohne vorgeschriebene Identitäten. Die Forderung nach der Abschaffung der Geschlechter meint also, dass wir sowohl die alltagsweltliche, institutionelle als auch wissenschaftliche Einteilung von menschlichen Wesen in männlich und weiblich hinter uns lassen wollen.

von Dimitra Kostimpas

Grün ist lila

Gleichzeitig vollziehen wir eine kritische Analyse der heutigen Zustände und stellen fest: Frau sein heißt, mit größerer Wahrscheinlichkeit arm zu sein, in prekären Arbeitsverhältnissen zu arbeiten, für Fürsorge und Haushalt zuständig, von Diskriminierung und Gewalt betroffen zu sein, aber auch politisch unterrepräsentiert und oftmals fremdbestimmt zu sein.

Die politisch-programmatische Schlussfolgerung lautet zum einem klassische Frauenpolitik zu machen, Gender als Querschnitt zu implementieren und für eine libertäre Identitätspolitik einzustehen. Es bedeutet Platz machen für Frauen in einer männerdominierten Welt und Platz machen für Lebensentwürfe außerhalb zweigeschlechtlicher, heterosexueller, monogamer Normen. Es bedeutet gegen konservativ-ideologisch gesetzliche Rahmenbedingungen zu kämpfen, sei es das Ehegattensplitting, das Betreuungsgeld oder die Minijobs. Es bedeutet für echte Wahlfreiheit von Biografien, für eine eigenständige Existenzsicherung und für mindestens die Hälfte der Macht den Frauen zu streiten.

Die Grünen entstanden teilweise aus der Frauenbewegung und kommen aus einer feministischen Tradition. Aber auch innerhalb der Partei müssen wir Errungenschaften verteidigen und rechtfertigen. Die grünen Frauen haben in den 80ern Strukturen erkämpft für deren Errungenschaft ich noch heute dankbar bin. Sei es die Quote, Schutzräume für Frauen oder die Doppelspitze, die selbst im Grünen Umfeld regelmäßig in Frage gestellt werden. Gerade junge Frauen haben bei uns Möglichkeiten ernst genommen zu werden und die Grünen als politische Lobby zu begreifen.

Doch auch die Grünen sind verhaftet in einem zweigeschlechtlichen Diskurs. Sie sprechen von zwei, nur zwei und nie mehr als zwei Geschlechtern. Dekonstruktion ist ein politischer Motor der Jugendorganisation. So klingt es aus junggrüner Perspektive fast altmodisch, wenn von Frauen und Männern die Rede ist. Aber das sei nur eine Bemerkung am Rande.

Was Feministinnen von den Piraten erwarten

Viel Feminist*innen schimpfen und fluchen, wenn sie an die Piraten denken. Es ist gut, dass die Piraten einen Diskurs führen. Bisher feststellbar ist fast ausschließlich Ergebnislosigkeit, bis auf die mehrheitliche Ablehnung einer Frauenquote, die sich in der bisherigen Debatte klar herauskristallisiert haben dürfte. Was sie schuldig bleiben: ein Bekenntnis zu einem Selbstverständnis. Sind sie demokratisch, partizipativ, herrschaftskritisch? Wenn Ja, müssen sie sich auch zum Feminismus und zur Geschlechterdemokratie bekennen.

Wenn ich nun also nach dem Unterschied zwischen Grünen und Piraten gefragt werde, muss ich den Kolleg*innen von der jungen Partei vor allem den Vorwurf machen, nicht kritisch genug zu sein. Kritik der Zustände muss Teil sein von visionärem Denken. Die Rolle, die Geschlecht spielt, wird kleingeredet, Geschlecht ist nicht eine Kategorie unter vielen, sondern eine der wirkmächtigsten Hebel, der soziale Ungleichheit erzeugt. Genderpolitik heißt auch Unsichtbares sichtbar machen.

Vielfach wird ein Widerspruch suggeriert. Wer Geschlecht als Kategorie abschaffen möchte, kann nicht gleichzeitig Frauenplätze sichern und im Rahmen einer Evaluation die statistische Erfassung von Geschlecht durchsetzen, wie im Gendermainstreaming notwendig. Geschlecht würde so reproduziert und verfestigt statt überwunden. Der Widerspruch ist allerdings nur auf dem ersten Blick schlüssig, im weiteren Betrachten ist gar die Abhängigkeit des Auflösungswunsches von der Erfassung geschlechtsspezifischer Ungleichheit zu erkennen. Wer Geschlechter auflösen will, muss zunächst Hierarchien untergraben. Hierarchien lassen sich allerdings nicht durch Ignoranz wegzaubern. Im Gegenteil: Es wäre naiv zu sagen, dass das alleinige Bekenntnis zu einem Selbstverständnis Erfolg schon garantiert. Wer postgender sagt, wird es nicht automatisch.

Das Netz als Raum der Möglichkeiten?!

Das Netz als neuer Raum politischen Handelns schürt Hoffnungen, ein Raum, in dem alle Akteur*innen jederzeit mitreden können, in dem jedes Argument, abgekoppelt von der Sprecher*innenposition, nur nach seinen inhaltlichem Wert beurteilt wird, ein Raum, in dem also auch Geschlecht keine Rolle mehr spielt?

Der zwanglose Zwang des besseren Arguments ist eine wichtige Maxime, aber auch das Netz ist kein herrschaftsfreier Raum. Liquid Feedback, das Programm, welches gleichberechtigte Entscheidungsfindung verspricht, ist, gleichwohl ein spannendes Projekt, nicht frei von gesellschaftlichen Machtstrukturen. Gender performen wir auch dann noch, wenn wir uns vor ein Notebook setzen. Männlich-hegemoniales Diskussionsverhalten setzt sich in der digitalisierten Situation fort und verebbt nicht in einer virtuellen Geschlechtslosigkeit.

Den Anspruch eine Partei zu sein, die deliberative Demokratie lebt, kann nur funktionieren, wenn es funktioniert und zwar in der Praxis. Das Experiment der Piraten zeigt, dass die Barrieren größer sind als gehofft. Statt eines großen Schwarms arbeitet ein kleiner Aktivenkreis mit. In der Theorie kann jede*r mitmachen, tut es aber nicht. Politische Kommunikation sollte immer mehr auch online stattfinden, um unabhängig von Ort, Zeit und Geld Teilhabe zu ermöglichen (ein Thema, wo Grüne deutlichen Nachholbedarf haben), es generiert aber nicht automatisch Gleichberechtigung. Gleichstellung der Geschlechter muss verhandelt werden, tagtäglich aufs Neue, privat wie politisch, analog wie digital.

Dimitra Kostimpas, 22 Jahre jung, studiert in München Soziologie und VWL. Seit 2005 ist sie bei der GRÜNEN JUGEND aktiv und arbeitet seit Oktober 2011 im Bundesvorstand als Beisitzerin und Frauen- und Genderpolitische Sprecherin der GRÜNEN JUGEND. Sie ist neben der Frauen- und Genderpolitik dort auch für Netzpolitik zuständig.