Bündnisse statt Seilschaften – Ein Plädoyer für geschlechtergerechte Gleichstellungspolitik

von Martin Rosowski

In Zeiten der Vernetzung und der Konzentration von Kräften wird es ohne eine Verständigung über Möglichkeiten und Grenzen gemeinsamer Strategien nicht gehen. Doch Bündnisse sind keine Seilschaften, in denen die Absicherung der gegenseitigen Machtinteressen im Vordergrund steht. Ebenso wenig möchte ich Bündnisse auch im ursprünglichen Sinne ihrer Bedeutungsgeschichte verstehen: nämlich im Sinne der „Verbündung“ gegen andere, zumeist die Feinde im Krieg.

Wie wichtig ist Bündnispolitik für geschlechtergerechte Gleichstellungspolitik?
Bündnisse sind wohl bedachte Kooperationen, die auf Aushandlung gemeinsamer Ziele und die Abwägung ihrer Erreichbarkeit ausgerichtet sind. Bündnisse im Kontext moderner Gleichstellungspolitik entstehen in einem Prozess des Diskurses und der argumentativen Auseinandersetzung über kontroverse Positionen. Die unbedingte Voraussetzung für die Schließung eines Bündnisses ist daher der Konsens über grundsätzliche Inhalte und Positionen. Gleichzeitig ist entscheidend, dass Bündnisse den Beteiligten ein Höchstmaß an Selbständigkeit gewähren, ohne dass dabei Verlässlichkeit oder Glaubwürdigkeit eines Partners aufs Spiel gesetzt werden.

 Männerinteressen und Gleichstellungspolitik: Zwei Seiten einer Medaille …
Der Kampf um die Geschlechtergerechtigkeit blickt heute auf eine lange Geschichte zurück. Unsere Gesellschaft hat sich durch den hartnäckigen politischen Einsatz von Frauen für gleiche Rechte und gesellschaftliche Teilhabe in den vergangenen 150 Jahren grundlegend verändert. Sie mussten sich dabei gegen den Widerstand von Männern aber auch Frauen durchsetzen, erfuhren aber immer auch Solidarität und Unterstützung. Zudem haben die internationale Schwul-lesbische und die Queer-Bewegung die Geschlechterdebatte insgesamt angestoßen. Eine emanzipatorische Männerbewegung entwickelte sich dagegen sehr spät und langsam. Erst vor vierzig Jahren fingen Männer an, ebenfalls gesellschaftspolitische Themen für sich zu definieren.

Dabei ging es um Fragen des Zusammenlebens in Partnerschaften, um Pflichten und Rechte von Vätern, um Macht- und Herrschaftsverteilung. Lange Zeit konnte man diese Diskurse aufgrund ihrer Schwäche im Hinblick auf strukturelle und organisatorische Konsequenzen nicht als eine Männerbewegung bezeichnen. In den vergangenen Jahren jedoch hat es eine nachhaltige Netzwerkarbeit gegeben, die schließlich zu einem ersten Zwischenerfolg führten: der Gründung des Bundesforums Männer.

Im Sinne der oben von mir versuchten Definition eines Bündnisses kommt es also nun darauf an, welche Themen die Männer setzen und mit welchen Interessen sie diese Themen verbinden. Viele Stichworte beschreiben heute das Mann-Sein im 21. Jahrhundert: Aktuelle Leitbilder von Vaterschaft, Vereinbarkeit von Familie und Beruf, Neue Männerrollen und widersprüchliche Erwartungen, das Verhältnis von Männern zu Körper, Sexualität und Gesundheit, Veränderungen in der Berufswelt, Interesse an gleichberechtigten Partnerschaften, faire Entwicklungschancen für Jungen. Mann-Sein definiert sich auf Basis der individuellen Identität sowie der gesellschaftlichen Erwartungen und Bedingungen. Immer mehr Männer gehen daher Bündnisse ein, um ihre Anliegen öffentlich zu formulieren und dafür gezielt einzutreten. Für diese Vernetzung steht das Bundesforum Männer – Interessenverband für Jungen, Männer und Väter.

Das Forum steht aber laut seines verbindlich in einer gemeinsamen Plattform erklärten Selbstverständnisses auch unverrückbar für eine Gleichstellungsperspektive, die Lebensbedingungen von Männern und Frauen gleichermaßen wahrnimmt und durch ihre Berücksichtigung den Ausgleich berechtigter Interessen der Geschlechter gewährleistet bzw. für die Durchsetzung gemeinsamer Interessen sorgt. Bündnisse sind für das Bundesforum daher nur mit solchen Organisationen und Personen möglich, die zumindest keine gegenläufigen Positionen vertreten. Sicherlich liegt genau hier auch der Grund dafür, warum dieses Bündnis der Männerorganisationen in Deutschland so lange auf sich hat warten lassen; nämlich auch deshalb, weil es unterschiedliche Vorstellungen davon gab, was Interessen von Männern sind und wie bzw. mit wem sie durchzusetzen sind.

Bündnisse entstehen durch Diskurs-Kultur
Männer-, Jungen- und Väterarbeit speist sich in Deutschland aus äußerst heterogenen Entstehungsquellen. Unterschiedliche historische Wurzeln von der kirchlichen Tradition bis hin zur profeministischen Emanzipationsbewegung der 60er und 70er Jahre oder auf der anderen Seite die Väterrechtsbewegung lassen unterschiedliche Kulturen der Kommunikation und der politischen Auseinandersetzung wachsen. Hinzu tritt die Grundsatzfrage, wie breit eine Verständigung über Ziele der Männerarbeit ausgelegt sein darf. Mit wem rede ich und um wen lege ich möglicherweise den „Cordon Sanitaire“? Kontakte, Gespräche und zum Teil auch Kooperationen hat es immer schon gegeben. Doch erst seit 2008 gewinnt eine verbindliche Zusammenarbeit bundesweit tätiger Organisationen der Männer-, Jungen- und Väterarbeit in Deutschland Kontur.

Aus dem zunächst sporadisch organisierten gemeinsamen Erfahrungsaustausch erwuchs die Erkenntnis, dass ohne ein nachhaltiges Netzwerk dieser Arbeitsfelder eine erfolgreiche Vertretung der Interessen von Männern nicht möglich sein wird. Diese Erkenntnis verband sich mit politischem Willen und fand in der Gründung des Vereins „BUNDESFORUM MÄNNER – Interessenverband für Jungen, Männer und Väter e. V.“ im November 2010 strukturellen Ausdruck. Er ist das Ergebnis einer nachhaltigen Kooperation von bundesweit aktiven Organisationen der Männer-, Väter-, und Jungenarbeit. Mittlerweile gehören dem Verein fast 30 Organisationen an und es werden immer mehr.

Gleich zu Beginn seiner Arbeit sieht sich das Bundesforum Männer heute vor der Entscheidung, sich geschlechterpolitisch eindeutig zu positionieren. Die Vorgänge um die Goslarer Gleichstellungsbeauftragte machen auf tragische Weise deutlich, wie radikal eine einseitige geschlechterpolitische Bündnispolitik, die dem differenzierten Gleichstellungsgedanken nicht gerecht wird, ins Abseits führen kann. Daher gibt es für das Bundesforum keine Bündnisse mit Organisationen, die durch frauenfeindliche und antiemanzipatorische Ideologien geleitet sind. Dies entledigt uns allerdings zugleich nicht der Aufgabe, die Auseinandersetzung mit diesen Ideologien und ihren Vertretern zu führen.  Und es gilt darum zu ringen, genauestens zu unterscheiden und keine stereotypen Kategorien zu fixieren, die uns in unserer möglichst breiten Vernetzung behindern. Das Bundesforum Männer positioniert sich somit nicht gegen etwas, sondern für eine geschlechtergerechte Gleichstellungspolitik.

Geschlechtergerechtigkeit braucht Bündnisse jenseits von Larmoyanz und Marginalisierung
Wenn vor diesem Hintergrund nun die Verständigung über gleichstellungspolitische Ziele auch mit den Frauen gelingen soll, dann bedarf es dazu auf beiden Seiten spezifischer Voraussetzungen. Dazu dient auf Männerseite eben keine geschichtslose Larmoyanz über zunehmende Benachteiligung, die sich letztendlich im Wettkampf über die vermeintlich größeren Opfer von Diskriminierung ad absurdum führen wird. Dazu dient aber ebenso wenig auf Frauenseite eine einseitige Definition der Gleichstellungsperspektive, durch die sich Männer mit ihren Interessen und Bedürfnissen marginalisiert fühlen.

Wenn sich der Geschlechtergerechtigkeit verpflichtete Frauen und Männer als natürliche Bündnispartnerinnen und Bündnispartner verstehen lernen, dann werden sie gemeinsam Lebensbedingungen von Menschen in den Blick nehmen, machtkritisch prüfen, welche Betroffenheiten durch die Definition ihrer geschlechtlichen Identität begründet sind und sensibel werden für die Diversität von Lebenslagen. Durch eine solche gemeinsame ideologiearme Schau auf Realitäten werden sie geschlechterpolitische Konzepte entwickeln, die den Bedürfnissen der Menschen gerecht werden.

Jeweils spezifische Perspektiven auf die Lebenslage der Geschlechter werden immer auch Kontroversen hervorrufen. Doch wenn diese Diskurse mit ideologiekritischer Transparenz geführt werden, also wenn der feministische Erkenntnisansatz ebenso wie der männerspezifische und möglicherweise auch parteiliche Blick offengelegt werden, sind sie unverzichtbare Instrumentarien, die die Spezifika in den Lebensbedingungen analysieren und diese Analyse zur Grundlage weiterer Gestaltung von Lebensverhältnissen machen. In diesem Sinne bietet sich das Bundesforum allen Frauen und Männern als Bündnispartner an, die sich gemeinsam mit uns die Gestaltung einer für geschlechtergerechte und chancengleiche Lebensbedingungen eintretende Gleichstellungspolitik in Bund und Ländern zum Ziel setzen.

 

Martin Rosowski, Vorsitzender des Bundesforums Männer – Interessenverband für Jungen, Männer und Väter, Hauptgeschäftsführer der Männerarbeit der Evangelischen Kirche in Deutschland, Lehrer für Geschichte und Ev. Religion. Zahlreiche Veröffentlichungen zu Männer- und Genderthemen.