von Kai Gehring
Gleichberechtigung ist Frauen- und Männersache!
Gemeinsam mit einigen grünen Männern, die für gleiche Rechte und gleiche Pflichten zwischen den Geschlechtern stehen, habe ich das „Grüne Männer-Manifest“ verfasst, ein Anstoß zur Debatte um die Rolle der Männer in der Gleichberechtigungspolitik. Es enthält Visionen für eine Männerpolitik, die die Rolle der Männer neu denkt und damit die Ziele der Gleichberechtigung unterstützt. Wir wollen damit zeigen, dass bei Bündnis 90/Die Grünen Frauen und Männer für Gerechtigkeit zwischen den Geschlechtern, neue Rollenbilder und gesellschaftlichen Aufbruch stehen. Als Autoren des Männer-Manifests wünschen wir uns eine breite Debatte – in der grünen Partei, in der Gesellschaft, bei und mit Männern und Frauen. Wir haben dabei nichts gemeinsam mit so genannten „AntifeministInnen“, sondern setzen uns im Gegenteil als grüne Feministen für eine emanzipierte Gesellschaft ein. Wir beziehen uns positiv auf die Pionierinnen der Frauenbewegung, sehen es jedoch als Mangel, dass „die Männer“ in den feministischen Diskursen nur selten eine Rolle spielen. Die Einschränkungen durch Rollenzwang und festgelegte Verhaltensmuster wollen wir auch für Männer aufbrechen.
Wir haben im „Grünen Männer-Manifest“ vielfältige Themen angerissen, von der Arbeitswelt, der Väterpolitik (Neue Väter statt „Vater morgana“) bis hin zu Fragen eines geschlechtersensiblen Gesundheitsbewusstseins. Gendermainstreaming gilt tatsächlich für die Betrachtung beider Geschlechter und der Möglichkeiten individueller Entwicklung der Einzelnen. Insofern ist die hier aufgeworfene Frage „was ist der Streit-wert?“ ganz klar mit „sehr viel!“ zu beantworten, weil es um die selbst bestimmten Entfaltungsmöglichkeiten jedes und jeder Einzelnen geht.
Die Herangehensweise beim Aufbrechen von Geschlechtsstereotypen möchte ich exemplarisch am Themenfeld der Jungenarbeit verdeutlichen: Mir als Jugendpolitiker ist gendersensible und emanzipatorische Bildung und Erziehung besonders wichtig. Jungen fallen besonders häufiger als „Verlierer“ aus dem Bildungssystem: Bei schulischen Leistungen und Abschlüssen stehen sie schlechter da als Mädchen. Je niedriger die Schulform, desto höher ist der Jungenanteil. Sie brechen die Schule öfter ab und sind häufiger schulmüde als Mädchen. Typisches Jungenverhalten gilt im Schulalltag oft als störend. Besonders ungünstig ist der Bildungsverlauf bei Jungen mit Migrationshintergrund. Daher brauchen wir eine geschlechtergerechte Umgestaltung des Schulalltags. Zu einer tatsächlich gendersensiblen Pädagogik an allen Schulen gehören individuelle Förderung und die Verankerung von Jungenarbeit. Lehrerinnen und Lehrer brauchen Aus- und Weiterbildungen in Genderkompetenz.
Eine emanzipatorische Erziehung und eine individuelle Förderung sind für Jungen und Mädchen gleichermaßen notwendig. Viel zu oft fehlen Jungen beispielsweise positive und vielfältige Rollenvorbilder als männliche Bezugspersonen. Es gibt zu wenig Männer in so genannten „klassischen“ Frauenberufen: zu wenig Erzieher und Grundschullehrer. Vor nunmehr fast 15 Jahren empfahl das Netzwerk Kinderbetreuung der Europäischen Kommission, das in Zukunft 20 Prozent der Erzieher männlich sein sollen. Passiert ist seitdem leider viel zu wenig. Wir brauchen endlich mehr Wertschätzung der pädagogischen Arbeit mit Kindern. Jungen Männern muss vermittelt werden, dass es sich um eine verantwortungsvolle und herausfordernde Aufgabe handelt. Dazu können auch die sozialen Jugendfreiwilligendienste beitragen.
Gerade in der Jugendhilfe müssen die unterschiedlichen Lebenslagen von Mädchen und Jungen berücksichtigt werden. Geschlechtersensible Jugendarbeit erfordert zusätzlich zu Angeboten der Mädchenarbeit auch eine umfassende Strategie zur Förderung benachteiligter Jungen. Wir wollen in allen Bildungs- und Jugendhilfeeinrichtungen Förderstrategien für Jungen, die ihnen neue Wege eröffnen. Neben der erfolgreichen Mädchenarbeit braucht geschlechtsbezogene Jugendarbeit verstärkt Jungenarbeit. Sie muss die Jungen vor allem in ihrer Bildungsbiografie, ihrer Berufs- und Lebensplanung, bei den Sozialkompetenzen und beim Wandel der Geschlechterrollen begleiten und unterstützen. Jungen sollen selbstbewusst ihren Interessen nachgehen können und nicht in tradierte Schemata gedrängt werden. Deswegen fordern wir neue Wege für Jungs, zum Beispiel durch die flächendeckende Etablierung von „Boys Days“. Die selbstverständliche Verankerung von Jungenarbeit trägt entscheidend dazu bei, dass sich jede und jeder Jugendliche selbstbestimmter entwickeln kann. Dieser Diversity-Ansatz gilt im Übrigen genau so für schwule, lesbische und transsexuelle Jugendliche.
Auch die Berufswahl junger Menschen ist immer noch stark von tradierten Rollenbildern geprägt und bewegt sich in einem sehr schmalen Spektrum: Mädchen wählen häufig typische „Frauen-Berufe“ mit geringeren Verdienst- und Aufstiegsmöglichkeiten. Jungen hingegen streben meist klassische „Männer-Berufe“ im handwerklichen und industriellen Bereich an. Dass Jugendliche untypische Tätigkeitsfelder nicht im Blick haben, ist im Wandel zur wissensbasierten Dienstleistungsökonomie für beide Geschlechter riskant. Das Berufs- und Studienwahlspektrum von Mädchen und Jungen wollen wir deshalb verbreitern. Männliche Fachkräfte fehlen vor allem in den Branchen der Dienstleistungs-, Erziehungs- und Gesundheitsberufe. Bei einer geschlechtersensiblen Jungenförderung geht es auch um die frühzeitige Begleitung von Jungen bei ihrer Lebensplanung, um die Reflexion von bestehenden Rollenvorstellungen und die Stärkung ihrer sozialen Kompetenzen.
Denn auch bei Jungen besteht der Bedarf, tradierte Rollenbilder als Alleinernährer und -verdiener zu überdenken sowie neue und attraktivere Rollenbilder zu finden. Projekte wie das unter Rot-Grün initiierte Netzwerk „Neue Wege für Jungs“ bündeln erfolgreich Aktivitäten in Schule und Jugendarbeit, die sich gezielt an Jungen richten. Sie müssen verbreitert und verstetigt werden. Neben der erfolgreichen Mädchenarbeit ist eine Orientierung auch auf neue Wege sowie Freiräume für Jungen nötig. Beide Bereiche sind auszubauen und nicht gegeneinander zu stellen. Jungenarbeit ist nicht zu verstehen als „Konkurrenz“, sondern sie sucht das solidarische Neben- und Miteinander zur Mädchenarbeit und will eine Sicherung und Erweiterung der Ressourcen in der geschlechtsbezogenen Jugendarbeit herbeiführen. Davon würde die gesamte Gesellschaft profitieren!
Kai Gehring ist Sozialwissenschaftler und MdB bei Bündnis 90/Die Grünen. Er ist sowohl Sprecher für Jugend und Generationen und Sprecher für Hochschulfragen der Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen als auch Mitglied im Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung und im Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, stellvertretendes Mitglied im Ausschuss für Kultur und Medien und stellvertretendes Mitglied im Unterausschuss für Bürgerschaftliches Engagement.