von Jan Philipp Albrecht
Seit wir – eine Gruppe grüner Politiker gleichen Geschlechts – im Frühjahr diesen Jahres das so genannte Grüne Männermanifest veröffentlichten, war dies für mich keine Überraschungsaktion. Bereits ein Jahr zuvor hatten wir anlässlich des internationalen Frauentages eine Erklärung veröffentlicht, in der wir explizit als Männer zu der noch immer bestehenden Diskriminierung auf Grund des Geschlechts Stellung bezogen. Bis dato waren es immer lediglich einzelne Männer, die sich den feministischen Forderungen auf Beseitigung der strukturellen Benachteiligung von Frauen in unserer Gesellschaft anschlossen. Regelmäßig wurden sie belächelt und ihnen Opportunität im Politischen wie Privaten unterstellt. Dabei hatten die meisten dieser männlichen Feministen nicht nur die klassischen Argumente des Feminismus, sondern zudem auch noch neue – speziell Männer betreffende – Gründe, sich den Forderungen der Frauenbewegung anzuschließen. Mit dem Grünen Männermanifest wollten wir einen ersten Aufschlag machen, um diese besonderen Beweggründe für ein Aufbrechen der Geschlechterrollen zur Debatte zu stellen. Obwohl wir das Besondere und Neue durch den Begriff Manifest verdeutlichen wollten, stellt diese Begriffswahl bei Weitem keinen abgeschlossenen Prozess dar. Im Nachhinein betrachtet ist dies vielleicht nicht deutlich genug geworden. Ganz im Gegenteil aber soll der Text ein Aufruf gerade an die Männer sein, sich verstärkt – und zwar gemeinsam mit den FeministInnen – mit der Dekonstruktion tradierter Geschlechterrollen zu beschäftigen und auf neue ungewohnte Wege einzulassen.
Natürlich war uns von vornherein klar, dass das Grüne Männermanifest in vielerlei Hinsicht eine Provokation ist. Sowohl die Aussage, „nicht länger Machos sein müssen“ zu wollen als auch die Tatsache, dass es eben nur Männer sind, die sich hier mit dem Aufbruch von Geschlechterrollen beschäftigen, forderten zum Teil sehr heftige Reaktionen ganz unterschiedlicher Seiten heraus. Doch letztlich sind gerade diese Reaktionen und die vielen Rückmeldungen eine Bestätigung, dass es einen solchen Text (ob so oder auch etwas anders – nobody is perfect!) geben musste. Was mir heute als wichtigste Wirkung dieses Textes erscheint, ist die notwendige Abgrenzung zur so genannten „Neuen Männerbewegung“, die ganz anders als die Autoren des Grünen Männermanifestes eine Rückkehr zu männlichen Rollenbildern und der strukturell verankerten Zweigeschlechtlichkeit will. Eine Denkschule, die – getragen von einem Wiedererstarken reaktionärer und rückwärtsgewandten Gesellschaftsvorstellungen – Männern einen Halt in ihrer zunehmenden Verunsicherung des heutigen Alltags zu bieten versucht. Dass sie damit nicht ganz erfolglos bleibt, liegt an einem Versäumnis, dessen Ausräumung gleichwohl ein Anliegen des Grünen Männermanifestes ist. Über Jahre hinweg wurde schlichtweg zu wenig über die Auswirkungen traditioneller Geschlechterrollen auf den Lebensalltag von Männern geredet. Die Auswirkungen (und auch Gründe) für geschlechtlich resultierte Unfreiheit und Belastung wurden oft auf Seiten der Frauen, selten aber auf Seiten der Männer gesucht. Klar ist: Frauen verdienen zu wenig Geld, Frauen bekommen keine guten Jobs, Frauen müssen die Kinder betreuen, Frauen müssen sich oft zurücknehmen. Was aber ist mit Männern, die keinen Erfolg im Job haben oder haben wollen, die Kinder betreuen oder ihreN PartnerIn unterstützen wollen? Fragen, die zwar selten gestellt werden, aber deren Beantwortung vielleicht auch ein wichtiger Teil des Gesamtproblems wäre.
Ich schreibe absichtlich „auch ein wichtiger Teil“, denn niemand bezweifelt, dass die bereits aufgeführten Ungerechtigkeiten zu Ungunsten weiblicher Mitmenschen in jedem Fall Priorität bei der Gleichberechtigungsfrage haben, denn gerade die Möglichkeit zur wirtschaftlichen Selbstständigkeit ist eine unbedingte Voraussetzung für gesellschaftliche Autonomie. Das Problem bleibt allerdings eines: Wer für gesellschaftliche Autonomie und die – zumindest in Bezug auf die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen bezogen – vollständige Abschaffung von Geschlechterrollen eintritt, der oder die muss eben auch akzeptieren, dass zunächst alle Beteiligten in einem Korsett von bestehenden Konventionen steckt, dessen Überwindung nicht mittels Realitätsverlust oder Scheuklappen bewerkstelligt werden kann. Männer und Frauen müssen ihre individuelle Situation erkennen und gemeinsam für ein gleiches Miteinander aller Menschen eintreten. Egal, ob weiblich oder männlich oder gar beides, ob hetero, homo oder bi, ob FleischfresserIn, VegetarierIn oder VeganerIn. Deutlich wird dabei aber doch, dass die großen Auseinandersetzungen nicht in den Facetten dieses Einsatzes für eine gleichberechtigte Gesellschaft liegen, sondern in der Frage, ob wir sie überhaupt wollen. Und da haben mich in den letzten Wochen und Monaten einige der geäußerten Kommentare sehr nachdenklich gestimmt. Denn offensichtlich gibt es längst einen Trend, der wegführt vom Zusammenleben individueller gleichberechtigter Menschen, zurück zum tradierten Bild einer gruppenspezifisch organisierten Gesellschaft der zugeordneten Rollen, in dem nicht die autonome Entscheidung für ein Lebensmodell sondern der Wettbewerb im vordefinierten Rahmen im Vordergrund steht. Wer – wie ich – diesen Trend nicht akzeptieren will, muss den alltäglichen Kampf gegen die Rollenbilder weiterstreiten. Es ist noch lange nicht vorbei.
Jan Philipp Albrecht ist Abgeordneter für Bündnis 90/Die Grünen im Europäischen Parlament. Der Jurist aus Norddeutschland war zuvor Bundessprecher der Grünen Jugend und startete in dieser Zeit gemeinsam mit anderen Grünen-Politikern eine Initiative für mehr Gleichberechtigungsengagement unter Männern.