Aline Oloff
„Wir müssen über diese Probleme sprechen, aber im Schulterschluss, nicht arrogant“, sagt Kübra Gümüşay, eine der Initiator*innen der #ausnahmslos-Kampagne[1], zu den Ereignissen der Silvesternacht in Köln in einem Interview. Sie fordert eine Auseinandersetzung mit Sexismus, die diesen überall, wo er auftritt, als solchen benennt und bekämpft und in der die Frage nach Herkunft und ‚Kultur‘ der Täter als Strategie der Grenzziehung entlarvt wird – der Grenzziehung zwischen ‚uns‘ und ‚denen‘, die zu uns kommen. Der Schulterschluss, den sie sich wünscht, funktioniert in der #ausnahmslos-Kampagne. Hier sprechen muslimische Frauen* und weiße, westliche Frauen* gemeinsam als Feminist*innen. Im feministischen Kampf gegen Sexismus ist dies nicht immer so. Insbesondere der Kontakt mit Muslima* scheint weißen Feminist*innen schwerzufallen, wie auch die diversen Kopftuchdiskussionen gezeigt haben.
„Was nicht in ihr Bild passt, wird auch nicht für voll genommen“
Die Auseinandersetzung um das Kopftuch muslimischer Frauen im feministischen Aktivismus, die ich vor allem in Frankreich verfolgt habe und die dort zu einer kompletten Neuordnung des feministischen Aktivismus geführt hat, hat Herausforderungen deutlich werden lassen, deren Bearbeitung nach wie vor angezeigt ist. Zum einen ist in den innerfeministischen Auseinandersetzungen um das Tuch eine große Unkenntnis der muslimischen Welt wie auch der Situation von Muslima* in der Diaspora deutlich geworden. Die Komplexität der sozialen Wirklichkeit muslimischer Frauen und ihrer Beweggründe, sich für oder gegen die Bedeckung ihres Kopfes zu entscheiden, wurde in der Diskussion im weißen Feminismus auf die Deutung des Tuches als Ausweis der Unterdrückung von Frauen reduziert. Positionen, die für eine differenzierte Bewertung der Situation plädierten oder sich gar gegen das Kopftuchverbot aussprachen, waren in der Minderheit. Unkenntnis kann jedoch schnell zu Missachtung führen – so auch Kübra Gümüşay bezogen auf islamkritische Aktionen der feministischen Gruppe FEMEN.[3]
„Mit ihren provokativen und inhaltsfreien Inszenierungen zeigen die Femen-Aktivistinnen, was sie von muslimischen Frauenrechtlerinnen halten, die tatsächlich an der Basis arbeiten: nichts. Sie sind nicht die Einzigen, leider gilt für so manche westliche FeministIn: Was nicht in ihr Bild passt, wird auch nicht für voll genommen.“
Damit verweist Gümüşay auf die andere große Herausforderung, die ebenfalls bereits in den Kopftuchdebatten zu Tage getreten ist: das Selbstbild des weißen Feminismus als durch und durch säkulares Projekt und die damit einhergehende Überzeugung, Freiheit könne es nur ohne religiöse Bindungen geben. Dieses Selbstbild, so meine These, macht es westlichen Feminist*innen schwer, muslimische Frauen als Gesprächspartner*innen zu akzeptieren. Sie passen nicht ins Bild.
Ihr Anspruch, ebenfalls im Namen des Feminismus zu sprechen, erschüttert dieses Selbstbild jedoch im selben Moment. Auf diese Erschütterung kann mit Abwehr reagiert werden, sie kann aber auch Anlass der Selbstbefragung sein: Worauf gründet die Annahme, dass sich die Emanzipation von Frauen nur in der Überwindung religiöser Bindungen vollziehen kann? In welchen Denkmustern bewegt sich der liberale westliche Feminismus damit?
Mythos der Säkularisierung
Mit dem Glauben an die Unvereinbarkeit von Frauenemanzipation und Religiosität bewegt sich der westliche Feminismus im Rahmen des hegemonialen Deutungsmusters der Widersprüchlichkeit von Moderne und Religion. Diese Annahme gründet in der Absage an einen himmlischen Herren im Denken der Aufklärung, die in der Praxis mit dem Kampf gegen die Vormachtstellung der christlichen Kirchen einhergegangen ist. Die Kirchen sollten keinen politischen Einfluss mehr haben und vor allem ihr Monopol in Sachen Welterklärung an die Wissenschaften abtreten, die seitdem das Menschen- und Gesellschaftsbild bestimmen. Die Verlagerung der Welterklärung von einer göttlichen auf eine natürliche Ebene verändert das Verständnis des Menschseins und des menschlichen Zusammenlebens in grundlegender Weise.
Die institutionelle Trennung von Staat und Kirche sowie die Verlagerung der Religion in den Bereich des Privaten sind die bis heute gültigen Effekte der Säkularisierung. Dennoch ist der Prozess der Säkularisierung nicht als Überwindung des Religiösen zu verstehen. Vielmehr handelt es sich um einen Formwandel der Religionsausübung und der persönlichen Religiosität wie auch um eine Transformation der Rolle der Kirchen in der Gesellschaft. Wenn auch der politische Einfluss weniger direkt geworden ist, so prägt die christliche Kultur die westlichen Gesellschaften nach wie vor. Die Überzeugung, fortschreitende Modernisierung – häufig verstanden als technischer Fortschritt und Wohlstand – führe zu einem Verschwinden der Religion(en), stellt sich auch angesichts der wachsenden Bedeutung individueller Spiritualität als Trugschluss heraus. Oder aber wir haben es vielmehr mit einem »Mythos der Säkularisierung« zu tun, wie Birgit Rommelspacher es formuliert[4], einem Mythos, dem auch der westliche Feminismus aufsitze, wenn er Religion abwehrt.
Feminismus als Kind der Moderne
An dieser Stelle ist es wichtig, sich zu erinnern, dass der westliche Feminismus selbst im historischen Moment der Moderne entstanden ist. Dieser ‚historische Moment‘ besteht in langfristigen und miteinander verschränkten ökonomischen, kulturellen und politischen Entwicklungen. Stichworte sind Industrialisierung und Herausbildung der kapitalistischen Produktionsweise, Kolonisierung, Aufklärung, bürgerliche Revolutionen. Die in den Revolutionen vollzogene Abschaffung der Geburtsprivilegien ging mit der Legitimierung von Privilegien qua Klasse, ‚Rasse‘ und Geschlecht einher, indem soziale Unterschiede in natürliche Differenz übersetzt worden sind. Mit diesem Winkelzug konnte der Widerspruch zwischen Gleichheitsdiktum und faktischer Ungleichbehandlung aufgehoben werden. Dennoch hat die Formulierung des Gleichheitsgrundsatzes eine Idee in die Welt gesetzt, die bis heute Grundlage und Bezugspunkt des Kampfes für gleiche Freiheiten und Rechte ist.
Die Differenz der Geschlechter ist in dieser Zeit nicht allein als Naturphänomen entdeckt, untersucht und beschrieben worden, sondern diente zugleich als ontologische Begründung für die soziale und politische Ungleichbehandlung von Frauen*, die im Deutungsrahmen der Geschlechterdifferenz zu einer homogenen Gruppe werden. Indem Frauen* aufgrund ihres Frauseins aus dem Geltungsbereich der Menschen- und Bürgerrechte ausgeschlossen werden, liegt es nahe, auch als Frauen gegen diesen Ausschluss vorzugehen und Freiheiten und Rechte für Frauen zu fordern. Der ambivalente Begriff der Gleichheit und der Diskurs der Geschlechterdifferenz bilden folglich den Rahmen, in dem sich der Widerstand gegen den Ausschluss von Frauen* als Frauen konstituiert. Die sich daraus ergebende paradoxe Herausforderung, als ‚Andere‘ das Recht auf Gleichheit einzufordern, als ‚Partikulare‘ Zugang zum ‚Universellen‘ zu erstreiten, hat die Frauenbewegungen die letzten 200 Jahre beschäftigt. Die Tatsache allerdings, dass die Anerkennung von Frauen* als ‚Gleiche‘ (im Sinne des gleichwertigen Menschseins) erkämpft werden musste (und nach wie vor muss), verweist auf einen weiteren zeitgenössischen Mythos, der gerade in der Einwanderungsdiskussion Hochkonjunktur hat. Die Behauptung, die Emanzipation von Frauen* sei ein besonderer Ausweis von ‚Modernität‘, Frauenemanzipation gar das Symbol der Moderne, stellt sich angesichts des Ausschlusses von Frauen* als Frauen im Geburtsmoment der Moderne als weiterer Trugschluss heraus.
Feministischer Säkularismus
In der Überzeugung, dass sich Frauenemanzipation nur in der Überwindung religiöser Bindungen vollziehen kann, scheinen sich beide ‚Mythen‘ – Religion als vormodernes Relikt, Frauenemanzipation als moderne Errungenschaft – zu verbinden. Säkularisierung und Emanzipation verschmelzen zu einem Komplex, der nur schwer auf seine Widersprüche hin befragt werden kann – und in dessen Namen Gewalt ausgeübt wird. Die Zwangsentschleierungen muslimischer Frauen* im ‚modernisierten‘ Iran oder im kolonisierten Algerien sind dafür nur ein Beispiel.
Wenn Birgit Rommelspacher schreibt, dass auch der westliche Feminismus dem Mythos der Säkularisierung aufsitze, dann spielt sie damit auf die Überzeugung an, Emanzipation könne nur ohne Religion funktionieren. Der westliche Feminismus ignoriere die Realität des eigenen Religionsbezuges, so Rommelspacher mit Verweis auf die Geschichte der Frauenbewegungen in Europa und auf die Feminisierung des Christentums im 19. und 20. Jahrhundert. Anstatt sich mit der ambivalenten Rolle der christlichen Religion für die Emanzipation von Frauen* auseinanderzusetzen, werde allein die Schädlichkeit von Religion behauptet, wobei dann wiederum weniger die christliche Religion in der Kritik stehe als vielmehr der Islam. Diese Einstellung mache den westlichen Feminismus zum Prototyp einer säkularistischen Ideologie, so Rommelspacher. Hierbei bezeichne ‚Säkularismus‘ eine Haltung, die höchst kritisch, wenn nicht gar ablehnend anderen Religionen gegenüber auftrete und gleichzeitig die eigenen christlichen Bezüge nicht wahrnehme.
Den Schulterschluss üben!
Der feministische Säkularismus erschwert nicht allein die gleichberechtigte Begegnung mit muslimischen Frauen*. Nein, mit dieser Haltung kann feministischer Aktivismus auch leicht in rechtspopulistisches Fahrwasser geraten. Dagegen hilft nur die Konfrontation unserer Mythen! Die Auseinandersetzung mit den eigenen Überzeugungen ist bereits der erste Schritt zum Schulterschluss, von dem Gümüşay spricht. Ein zweiter Schritt wäre die Anerkennung von Feminismus als gemeinsamen Bezugspunkt – ohne den Anspruch, in jeder Frage, gerade auch der des Glaubens, einer Meinung zu sein.
[1] http://ausnahmslos.org/
[2] http://www.br.de/radio/bayern2/sendungen/zuendfunk/politik-gesellschaft/interview-kueba-guemuesay-100.html
[3] Gümüşay in der taz von 9.4.2013 [http://www.taz.de/!5069755/]
[4] http://www.birgit-rommelspacher.de/pdfs/Emanzipation_als_Konversion_12_2010.pdf
Leseempfehlung:
Birgit Rommelspacher: Emanzipation als Konversion. Das Bild der Muslima im christlich-säkularen Diskurs (2010)
[http://www.birgit-rommelspacher.de/pdfs/Emanzipation_als_Konversion_12_2010.pdf]