Homo- und Femonationalismus als Ausdruck der Dominanzkultur Vom rechten Rand in die Mitte der Gesellschaft

Zülfukar Çetin

Es ist heute alltäglich, die Muslim_innen und als muslimisch Imaginierte durch negative Redeweisen und stigmatisierende Markierungen als Gegensatz zu einem europäischen „Wir“ darzustellen.

Antimuslimische Politiken, deren historische Entstehung nicht auf einen bestimmten Zeitpunkt beschränkt werden kann, etablieren die extrem rechten und rassistischen Ideologien in der Mitte der weiß-deutschen Gesellschaft, aus der sich 2014 zum Beispiel Pegida herausgebildet hat und sich primär gegen Geflüchtete aus Syrien und anderen muslimischen Ländern richtet. Pegida konnte bundesweit Anhänger_innen, Nachahmer_innen und weitere Gruppen gewinnen, die die Geflüchteten als Terrorist_innen, Armutsbringer_innen, Sexisten, Homophobe, Antisemiten oder als gefährliche Andere deklarieren. In Demonstrationen und sozialen Medien bezeichnen sie und ihre Sympatisant_innen sich als „besorgte Bürger“, sie erheben ihre Stimme aber nicht nur gegen Geflüchtete erheben, sondern verbreiten auch Verschwörungstheorien der Islamisierungs-, Verarmungs- und Entzivilisierungsgefahr des „Abendlandes“. Eine „abendländische“ Identität wird in Abgrenzung zu einer konstruierten „morgenländischen“ Identität willkürlich definiert: Während das Eigene heute als feministisch und homofreundlich erklärt wird, gehören eine vermeintliche Hypersexualität und Vergewaltigungsbereitschaft des arabischen und nordafrikanischen Mannes seit der Silvesternacht und den sexuellen Übergriffen in Köln und anderen Städten zur banalen Definition des „Morgenländischen“. Diese klare rassistische Abgrenzung wird fast auf allen Ebenen der Gesellschaft auch gewaltbereit vollzogen, sodass diejenigen, die zu Morgenländer_innen gemacht werden, mit lebensbedrohlichen Konsequenzen eines „abendländischen“ Identitätskampfes rechnen müssen: Gewalt, Diskriminierung oder auf der institutionellen Ebene Abschiebung sind nur einige Beispiele jüngst durchgesetzter Antiflüchtlingspolitik.

Trotz der zunehmenden Fluchtbewegungen aus Syrien und anderen muslimischen Ländern (nicht nur) nach Deutschland und Europa wird weiterhin kaum über die Gründe für die Flucht diskutiert. Politik und Medien beschäftigen sich vorrangig mit den vermeintlich negativen Folgen der Fluchtbewegungen für die „eigenen“ gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und politischen Ressourcen, die von Geflüchteten missbraucht werden würden – so lautet die Mehrheitsmeinung im weißen Europa. Es handelt sich in den öffentlichen Diskussionen ferner um die Frage, ob „wir“ – als eines der wirtschaftsstärksten Länder der Welt, es „schaffen“ oder nicht, „so“ viele Geflüchtete aufzunehmen, sie zu versorgen und in „unsere“ Gesellschaft zu „integrieren“.

Weitere Fragen in der Flüchtlingsdebatte handeln aber auch von der Stabilität der inneren und äußeren Sicherheit, von der (Un-)Vereinbarkeit unserer Werte und Normen mit denen der Geflüchteten. In der Folge dieser öffentlichen Diskussionen gelang es (in) Deutschland, das Recht auf Asyl und auf Familiennachzug mit dem beschönigenden Titel „Asylpaket II“ am 25. Februar 2016 einzuschränken beziehungsweise auszusetzen. Damit wird das (Über-)Leben von Hunderttausenden Schutzsuchenden noch gefährdeter. Zur Verabschiedung und Legitimation dieses Gesetzes trug die Debatte über die Vorkommnisse in der Silvesternacht in Köln wesentlich bei.

In seiner Geschichte hat Deutschland noch nie so intensiv über Sexismus diskutiert wie in den letzten zehn Jahren. Die Skandalisierung des Sexismus, der von dem mutmaßlich arabischen oder nordafrikanischen Mann gegen die weiß-deutsche Frau ausgehen soll, begünstigte die Dethematisierung des Rassismus, dem unter anderem Geflüchtete strukturell wie institutionell ausgesetzt sind. Bemerkenswert ist, dass Rassismus und Sexismus als zwei Machtverhältnisse behandelt werden, die sich gegenseitig ausschließen würden. Die Rechte von Frauen und LSBTIQ werden zum Instrument der Zwecke politischer Parteien, zivilgesellschaftlicher Organisationen, der Medien und sogar wissenschaftlicher Auseinandersetzungen, die den Sexismus als ein muslimisch-migrantisches Problem in unserer Gesellschaft thematisieren. Dabei wird Patriarchat, das heißt die Männerdominanz, externalisiert und als ein großes (problematisches) Feld in der Migrations- und Grenzregimepolitik erklärt. Diese Art von Unterscheidung zwischen einem „frauenfreundlichen Wir“ und den „frauenfeindlichen Anderen“ wurde und wird in der (kritischen) Gender- und Geschlechterforschung mehrfach kontrovers diskutiert. Oft fehlt(e) eine Bereitschaft, über Sexismus ohne rassistische Argumente zu diskutieren.

Bereits in den 1990er Jahren beschäftigte sich Birgit Rommelspacher kritisch mit diesen und ähnlichen Fragen und thematisierte hegemonialen weißen Feminismus, der heute zum Symbol der gesamten „Nation“ wird. In ihrem Buch „Dominanzkultur“ (1995) und anderen Beiträgen dekonstruierte sie den westlichen universalistischen Gleichheitsanspruch am Beispiel des weiß-feministischen Emanzipationsdiskurses. Dieser geht von der Unterdrückung der muslimischen Frauen in einer (konstruierten) muslimischen Welt aus, während er die weiß-europäischen Frauen im Gegensatz zu ihnen als emanzipiert und von frauenfeindlichen Verhältnissen befreit imaginiert. In diesem Diskurs wird dem Westen ein „überlegener, zivilisierter“ Status zugeschrieben, während der „Rest der Welt“ als „unzivilisiert“ und „rückständig“ gilt. Parallel zum weiß-feministischen Emanzipationsdiskurs, der einen Repräsentationsanspruch, nämlich alle Frauen zu vertreten, geltend macht, entwickelte sich im Westen spätestens seit Anfang der 2000er Jahre ein antimuslimischer Homophobie-Diskurs beziehungsweise ein deutscher Homonationalismus, auf dessen Grundlage sich der Westen nunmehr als eine „homofreundliche Union“ versteht (vgl. Çetin: Der Schwulenkiez. Homonationalismus und Dominanzgesellschaft, 2015). Bis heute werden die „emanzipierte“ weiße Frau und der „geoutete“ Schwule zu Opfern „triebhafter“ und „schwulenfeindlicher“ arabisch-nordafrikanischer Männer stilisiert.

Diese rassistische Verschränkung von Feminismus und Antihomophobie kann anhand von Homonationalismus und Femonationalismus verdeutlicht werden.

Der Begriff Femonationalismus wurde 2011 von Sara R. Farris im Artikel „Die politische Ökonomie des Femonationalismus“ geprägt. Angelehnt an das Konzept des Homonationalismus, das 2007 von Jaspir Puar mit entwickelt wurde, versucht Farris mit ihrem Femonationalismus-Begriff die Antimigrationspolitik der europäischen, extrem rechten Parteien zu erklären, welche feministische Geschlechter- und Sexualpolitik vereinnahmen. So stellen diese Parteien Frauen mit Kopftuch und ganzkörperlicher Verschleierung als Opfer ihrer (heterosexuellen) muslimischen Männer dar, die außerdem für den Rest der Gesellschaft als gefährlich inszeniert werden.

Das Motiv der afghanischen Frau, die vor dem muslimischen Patriarchat gerettet werden sollte, war Anfang der 2000er Jahre nicht nur in den USA, sondern auch in den westeuropäischen Ländern ein gängiges Erklärungsmuster, mit dem die Unvereinbarkeit zwischen Islam und dem Westen beziehungsweise zwischen Muslim_innen und Nicht-muslim_innen gerechtfertigt wurde.

Die Übernahme feministischer Ansprüche und Positionen ermöglicht den rechten und nationalistischen Parteien, mit antimuslimischen Positionen und Kampagnen zu argumentieren und sie zu legitimieren (vgl. Farris 2011).

Auch wenn Farris Recht hat, dass der Femonationalismus von den rechten Parteien vertreten wird, so hat dieses Konzept heute längst die Mitte der Gesellschaft, die Spitze der Parlamentspolitik und die Schlagzeilen der Medien erreicht. Femonationalismus kann also nicht mehr nur als ein Feminismus der Nationalist_innen und als Politik der „kleinen“ Parteien verstanden werden. Die Verbreitung des Femo- und Homonationalismus soll deshalb als Ausdruck einer etablierten deutschen Dominanzkultur verstanden werden, die von Rommelspacher und anderen seit über zwanzig Jahren erforscht und analysiert wurde.

Der Sexismus der Anderen

Im Gegensatz zu der imaginierten muslimischen Welt wird der weiß-deutschen Gesellschaft, die sich als christlich begreift, Feminismus, Homo- und Transfreundlichkeit beigemessen, als würden diese zu den Werten eines westlich-christlichen Europa gehören. Eine Externalisierung von Sexismus, Patriarchat, Homo- und Transfeindlichkeit findet immer dann statt, wenn es um die Menschen geht, die als nicht „eigentlicher“ Teil der deutschen Nation, christlicher Religion und des westlichen Wertesystems angesehen werden. Die gewöhnliche Migrationspolitik spricht immer noch von einer „Integration“ derer, die zu „uns“ kommen oder schon seit Jahrzehnten bei „uns“ leben.

Die CDU aktualisierte Ende 2015 erneut die Frage der „Integration von allen Ausländern“ (sic) auf ihrem Bundesparteitag und sah ein „Integrationspflichtgesetz“ (sic) vor, das „gegenseitig“ unterzeichnet werden sollte: Demnach sei es notwendig, dass Migranten den Grundwertekatalog akzeptieren und sich unter anderem verpflichten, die Gleichberechtigung von Mann und Frau sowie den Vorrang der deutschen Gesetze vor der Scharia anzuerkennen. Eine Diskriminierung von Frauen, Homosexuellen und Andersgläubigen dürfe nicht dass Migranten den Grundwertekatalog akzeptieren und sich unter anderem verpflichten, die Gleichberechtigung von Mann und Frau sowie den Vorrang der deutschen Gesetze vor der Scharia anzuerkennen. Eine Diskriminierung von Frauen, Homosexuellen und Andersgläubigen dürfe nicht als Ausdruck religiöser Vielfalt akzeptiert werden. Außerdem sollten die Einwanderer zusichern, das Existenzrecht Israels anzuerkennen. Bei Verstößen solle es die Möglichkeit geben, Sozialleistungen zu kürzen oder den Aufenthaltsstatus zu ändern als Ausdruck religiöser Vielfalt akzeptiert werden. Außerdem sollten die Einwanderer zusichern, das Existenzrecht Israels anzuerkennen. Bei Verstößen solle es die Möglichkeit geben, Sozialleistungen zu kürzen oder den Aufenthaltsstatus zu ändern (Robert Birnbaum et al.[1], 2015; siehe auch internes Papier der CDU, S. 150 ff.[2]).

Die Diskussion über „die Integration“ ist damit wieder auf die Agenda der politischen Parteien gesetzt worden. Das „funktionierende“ Zusammenleben in Deutschland soll nun den Geflüchteten anhand der Erklärung einer weiß-deutschen Leitkultur beigebracht werden. In einem Beitrag schreibt CDU-Generalsekretär Peter Tauber: Basis unserer Leitkultur ist natürlich das Grundgesetz […] Die Bereitschaft, sich ehrenamtlich in unserer Gesellschaft zu engagieren; die Idee, dass jeder, der fleißig ist und sich anstrengt, den Aufstieg schaffen kann; dass Religionsfreiheit heißt, die Religion wechseln zu dürfen; dass Gleichberechtigung bedeutet, dass Frauen zunehmend Führungspositionen übernehmen. Und Toleranz und Gleichstellung, dass sich zwei Männer auf der Straße ganz selbstverständlich küssen …“[3]

Diese bereits vor Silvester 2015/2016 durchgeführte Debatte über die Notwendigkeit einer vermeintlich effektiven „Integrationspolitik“ bildete die Basis der aktuellen Diskussionen über den „sexuell hyperaktiven, kriminellen arabischen und nordafrikanischen“ Mann.

Wir haben also schon länger vor Silvester eine gesamtgesellschaftliche Überzeugung, dass die „deutsche Leitkultur“ von Migrant_innen, Geflüchteten und Muslim_innen angenommen werden soll.

In diesem Beitrag geht es nicht darum, die Zahl und die Herkunft der Opfer und der Täter der sexualisierten Gewalt aufzulisten. Es ist eine Selbstverständlichkeit, jede Form der Gewalt zu ächten und zu verurteilen. Die Art und Weise der Debatte über die Kölner Silvesternacht ist an sich weder neu noch überraschend. Konsequenzen dieser Art des Debattierens sind nicht nur die Ausgrenzung, der Ausschluss und die Diffamierung der zum Anderen gemachten Menschen. Vielmehr verpassen wir als gesamte Gesellschaft auch die Chancen, den eigenen Sexismus und die (heteronormative) Männerdominanz als Machtverhältnisse zu bekämpfen. Indem wir sie verschweigen und verschleiern, indem wir sie nicht als Teil der eigenen „Leitkultur“ verstehen, tragen wir dazu bei, dass der Sexismus bei „uns“ noch länger existieren wird genauso wie der Rassismus selbst.


[1] Robert Birnbaum et al .: Rechte und Pflichten für Neubürger CDU will Integrationspflicht, von 28.11. 2015. URL: http://www.tagesspiegel.de/politik/rechte-und-pflichten-fuer-neubuerger-cdu-will-integrationspflicht/12653132.html

[2] 28. Parteitag der CDU Deutschlands, 14. und 15. Dezember 2015, Sammlung der Anträge und Empfehlungen der Antragskommission, URL: https://www.cdu.de/system/tdf/media/dokumente/antragsbroschuere-cdupt15_0.pdf?file=1

[3] Peter Tauber, Leitkultur ist… „Dass sich zwei Männer auf der Straße ganz selbstverständlich küssen“ erschienen in cicero, am 18. November 2015, unter http://www.cicero.de/leitkultur-peter-tauber/60133


Angaben zum Autor:

Zülfukar Ҫetin lehrt an der Alice-Salomon-Hochschule in Berlin im Bereich Soziale Arbeit. Seine Doktorarbeit zu Homophobie und Islamophobie wurde 2014 im Rahmen des Deutsch-Türkischen Wissenschaftsjahrs mit dem Wissenschaftspreis ausgezeichnet. Zwischen Oktober 2014 und September 2015 war er als Mercator-IPC-Fellow bei der Stiftung Wissenschaft und Politik tätig. Er publizierte 2015 gemeinsam mit Savaş Taş den Interviewband „Gespräche über Rassismus. Perspektiven & Widerstände (Verlag Yilmaz-Günay)“. Zurzeit ist er Vorstandsmitglied des Türkischen Bundes in Berlin-Brandenburg.