von Laura Mérrit
„Es ist nicht Aufgabe des Staates, Menschen vor den Folgen ihrer Lebensentscheidungen zu bewahren, die sie in freier Selbstverantwortung getroffen haben. Freiwilligkeit bedeutet im Zusammenhang mit dem sexuellen Selbstbestimmungsrecht, dass Individuen frei über das Ob, das Wann und das Wie einer sexuellen Begegnung entscheiden können.“ So heißt es im Bericht der Bundesregierung zum ProstG von 2007, der damit einen Leitgedanken des sex-positiven Feminismus aufgreift. Dieser entstand in den 70ern in der Auseinandersetzung mit der PorNo-Fraktion und bezieht sich auf alle Sexualitätsdebatten. Seine drei Grundsätze zur sexuellen Selbstbestimmung lauten:
1. Sexualität ist ein Grundbedürfnis und deren Entfaltung ist Teil der allgemeinen Befreiungsbestrebungen. Dazu gehört der freie Zugang aller zu sexuellen Informationen.
2. Einvernehmliche Sexualität zwischen Erwachsenen, deren es eine unendliche Vielzahl gibt, bedarf keiner Einmischung von außen, auch keiner staatlichen.
3. Sexualität, Identität und auch Anatomie sind konstruiert.
Sex-positive Bewegung
Unterstützung fand die Bewegung durch diverse Gruppen: Zensur-Gegner_innen wiesen darauf hin, dass Verbote sich gegen eigene Freiheitsbestrebungen richten können. Die BDSM-Fraktion, die sich lange gegen Gewalt-Vorwürfe wehren musste und ihr Recht auf Selbstbestimmung einforderte, gesellte sich zu den Sexarbeiter_innen und betonte die Vergleichbarkeit bei Verhandlungspraktiken und dem Aspekt der Eigenverantwortung. Auch LGBTIQA*- Subkulturen, die oftmals von gesetzlichen wie gesellschaftlichen Repressionen betroffen sind, sind Teil der sex-positiven Bewegung. Allen gemeinsam ist die Ausrichtung auf sexuelle Bildung und sex-positive Angebote sowie eine kritische Haltung gegenüber Normen und Definitionen von Sexualität, die vor dem Hintergrund einer gesellschaftlichen Machtanalyse begriffen werden. Daraus resultiert das Eintreten für Vielfalt und gegen Verbote und repressive Tendenzen.
Angst vor weiblicher Potenz
Gesellschaftlich besteht das Bedürfnis, Sexualität zu kontrollieren bzw. im Sinne der Bevölkerungspolitik und der meist patriarchalen Machtverhältnisse zu regeln. Vor allem – aber nicht nur – weibliche Sexualität wird zu diesem Zwecke gemaßregelt bzw. normiert und gerne mit einem moralischen Diskurs bedeckt, der Frauen die Selbstbestimmung abspricht. Das fängt bei der Anatomie an, die ideologische Bezeichnungen wie „Jungfernhäutchen“ verwendet und den Körper mit sog. (dys-)funktionalen Körperteilen entsprechend dem Weiblichkeitsbild versieht. Lange wurde auch die weibliche Prostata oder die weibliche Ejakulation als nicht existent oder nicht funktional bezeichnet, die weibliche Lust als minder ausgeprägt angesehen. Die Aufteilung in Heilige, die fortpflanzungs- und bindungsorientiert und weniger sexuell sind, und Huren, die entweder frigide oder omnipotent sind, gehört in dieses Muster. Dem entspricht die Aufklärungspolitik, die über Fortpflanzung informiert und weniger über Sex oder Lustgewinn. Konsequenterweise sind Abbildungen der männlichen Genitalien in all ihrer Potenz zu sehen, während weibliche Sexualorgane auf Vagina und „Schamlippen“ reduziert sind. Die konsequente Unterdrückung von sexuellem und „geheimen“ Wissen der Frauen, was Kenntnis und Selbstbestimmung über ihren Körper bedeutet, ist historisches Erbe und mit der „Aufklärung“ und der Etablierung der Wissenschaften im 19. Jahrhundert abgeschlossen. Sexuell aktive Frauen wurden zunehmend stigmatisiert, die Geschlechter in Opposition und komplementär zueinander definiert, Ehe und Konsum der Romantik im Zuge des Kapitalismus eingeführt. Diese lange Tradition und Kultur des Beschämens von außerehelichen wie eigenständigen sexuellen Aktivitäten von Frauen sitzt sehr tief und beschert uns heute noch Probleme, die es in unserm Leben innerlich wie äußerlich abzuarbeiten gilt.
Kultur des Beschämens
Das Hurenstigma trifft dabei alle, es ist sexistisch und per se frauenfeindlich. Huren werden alle möglichen Zuschreibungen aufgedrückt, von sexuellem Missbrauch über milieugeschädigte Kindheit, Drogenabhängigkeit und Beziehungsunfähigkeit. Als handlungsunfähige Opfer werden sie erneut entmündigt und verachtet. Üben Frauen selbstbestimmt Sex und Sexarbeit aus, gelten sie als nicht repräsentativ oder privilegiert. Immer sind sie in der Rechtfertigung und unter Erklärungsdruck. Das Stigma trifft auch Trans*personen sowie schwule und bisexuelle Cis-Männer, die aufgrund ihrer Sexualität unterdrückt und darauf reduziert werden. Dem gegenüber werden die ökonomisch mächtigen Kunden aufgebaut, die von männlichem Sexualtrieb geleitet als bösartige Patriarchen auftreten. Das biologistische Modell der Geschlechter wird hier ewig fortgeschrieben und durch sog. „Sex- und Pornosucht“ der Männer ergänzt. Schließlich werden alle verurteilt, die sich nicht den (sexuellen) Rollen entsprechend verhalten und nicht normierte Sexualität ausleben wollen. Das Modell „gesunder“ und „idealer“ Sexualität propagiert eine konservative Anti-Porn- und Anti-Prostitution-Liga.
Sexuelle Bewusstseinsstärkung
Der sex-positive Feminismus entlarvt solche Mythen und unterstützt das Bewusstmachen von Sexualität. Es gilt, die Realität der Geschlechter- und sexuellen Vielfalt öffentlich zu machen. Auch die Erfahrungen in der Sexarbeit sind so vielfältig wie die gesellschaftlichen Umstände und Positionen von Personen. Sowohl in der Pornografie als auch in der Prostitution existieren sex-positive Ansätze, die Inspiration, sexuelle Bildung, Erholung und Energie vermitteln. Eine vielfältige, sexuelle Kultur weiß diese zu schätzen.
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Dr. Laura Méritt ist Kommunikationswissenschaftlerin und Sex-Aufklärerin, Initiatorin des PorYes-Awards – der feministischen Pornofilm-Preisverleihung Europas – und hält freitags den Freudensalon zum Austausch über Sex, Politik und Gender.