Sind Care-Arbeiter*innen unersetzlich?

Das Alter hat sich zu einer Lebensphase entwickelt, die kaum mehr als Ruhestand bezeichnet werden kann: Senior*innen sind heutzutage aktiver denn je. Auch wenn sie an ihre Grenzen stoßen, möchten die meisten von ihnen in ihrer vertrauten Umgebung bleiben und ein selbstbestimmtes Leben in den eigenen vier Wänden führen.

Damit die Menschen diese Wünsche auch in Zukunft leben können, dürfen wir aber nicht einfach weiter machen wie bisher: Deutschlands Bevölkerungspyramide steht Kopf, immer weniger Junge stehen der wachsenden Gruppe Älterer gegenüber. Wenn in den nächsten 20-30 Jahren die geburtenstarken Jahrgänge („Babyboomer“) nach und nach Unterstützung benötigen, wird dies unsere Gesellschaft vor große Herausforderungen stellen. Die Pflege der Zukunft zu organisieren, wird uns vor große Herausforderungen stellen. Wir müssen sie heute anpacken und innovative, kreative Ideen und Lösungen suchen.

Technische Geräte, wozu auch Roboter gehören, sind dabei sicher kein Allheilmittel, aber sie können einen wichtigen Beitrag leisten. Sie tun dies ja bereits heute: In der Intensivmedizin, bei elektronischen Rollstühlen oder bei häuslichen Überwachungssystemen. Dabei bringt es wenig, Schreckensszenarien von eingesperrten alten kranken Menschen zu zeichnen, die in ihrer Einsamkeit ausschließlich von menschenähnlichen Robotern umsorgt werden und echte Menschen nur noch dann zu Gesicht bekommen, wenn die Pflegemaschinen gewartet werden. So möchte niemand gepflegt werden und so stelle ich mir die Zukunft der Pflege auch nicht vor. Liebevolle Zuwendung und Nähe braucht der Mensch vom Menschen. Sie lässt sich nicht durch Maschinen ersetzen. Technik darf die Menschen in der Pflege nicht verdrängen. Sie kann ihnen aber helfen.

Wenn ein Heberoboter die Pflegekraft entlastet, bleibt mehr Energie für emotionale Zuwendung, weil der Rücken nicht so weh tut. Wenn Hausnotrufsysteme Angehörige oder dem Pflegedienst im Notfall Bescheid geben, kann der Mensch länger selbständig und im vertrauten Zuhause leben.

Pflegende Angehörige gehen häufig an ihre Grenzen, und oft darüber hinaus. Es kostet nicht nur viel Zeit, sich um pflegebedürftige oder demenzkranke Angehörige zu kümmern – es ist auch körperlich und emotional belastend. Altersgerechte Assistenzsysteme können Pausen verschaffen. Es bleibt mehr Zeit zum Durchatmen, wenn Angehörige nicht rund um die Uhr in der Häuslichkeit bleiben müssen. Intelligente Haustechnik und Kommunikationsgeräte können erkrankten Menschen und ihrem Angehörigen für kürzere Zeit Sicherheit und Vertrauen geben. Menschen, die pflegen, brauchen Zeit für sich selbst – auch um sich anschließend mit frischer Energie um Partner*in, Eltern, oder Freund*in kümmern zu können.

Bei allem technischen Fortschritt gilt aber eben auch: Für eine menschenwürdige Pflege werden auch in der Zukunft gut ausgebildete, motivierte und einfühlsame Menschen gebraucht. Angehörige, die selbstverständlich die Pflege übernehmen, werden jedoch weniger – weil die Menschen weniger Kinder haben, weil mehr Frauen erwerbstätig sind und weil Familien seltener am selben Ort leben. Roboter hin oder her, professionelle Pflegekräfte sind unverzichtbar. Bereits heute – und morgen erst recht – gibt es zu wenige von ihnen. Umso schlimmer, dass in der Pflege deutlich weniger verdient wird als in technischen Berufen. Care-Arbeit muss endlich angemessen bewertet und bezahlt werden. Dabei geht es nicht nur darum, den Arbeitskräftebedarf der Zukunft zu decken. Es geht auch um die Gleichberechtigung von Frauen, die den Großteil der bezahlten und unbezahlten Sorgearbeit erledigen: Hinter der miesen Bezahlung von Pflegenden verbirgt sich auch im Jahr 2015 noch immer die ungerechte Bewertung von „Frauenarbeit“.

Wollen wir unseren Wohlstand in der Zukunft und unsere Lebensqualität im Alter erhalten, müssen wir unser Verhältnis zur Sorgearbeit neu definieren. Wir müssen für einen angemessen Lohn und Wertschätzung in der Care-Arbeit sorgen. Die Arbeit von Menschen, die sich um uns und andere kümmern, ist auch in Zeiten der Industrie 4.0 nicht ersetzbar. Sie sollte uns einiges mehr wert sein. Technik muss bei all dem keine Angst machen. Wir sollten sie nutzen, um Freiräume zu schaffen, durch die die Pflege wieder menschlicher werden kann.

 

Dies ist der dritte Artikel des zweiten Themas „Roboter: Zur Un_Ersetzbarkeit von Care-Arbeiter_innen“ der Debatte „Monströse Versprechen: Technologien zwischen Risiko und emanzipativem Potential“.


©Stefan Kaminski - Alle Rechte vorbehalten
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Anton Hofreiter ist seit 2013 Vorsitzender der Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen.