Das eigene Kind – letztes Reservat der Natürlichkeit?

von Sarah Diehl

Reproduktionstechnik sorgt immer wieder für Debatten: Social Freezing – das Einfrieren von Eizellen – erscheint als zeitgemäßes technisches Versprechen. Eine 65-Jährige Vierlings-Mutter wird als monströs verurteilt. Mutterschaft ist technisch machbar und Teil der Leistungsgesellschaft – und gleichzeitig „natürlicher“ Wunsch und Aufgabe der Frau. Wie viel Natur und wie viel Technik ist erlaubt oder gefordert? Verspricht Technik Rettung vor dem „zurück zur Natur“?

Kapitalismus und Patriarchat im Auge behalten

Ein kritischer Blick auf die Reproduktionsmedizin muss den Kapitalismus ebenso wie das Patriarchat im Auge behalten. Sonst sieht er nur die Quengeleien zwischen Haupt- und Nebenwiederspruch: Gäbe es in einer nicht-kapitalistischen und nicht auf Lohnarbeit fixierten Welt keine Frauen, die ihre Gebärfähigkeit „künstlich“ herstellen oder zeitlich verlängern wollen? Bringt die Asymmetrie zwischen den Geschlechtern – wie viel Zeit bleibt zur Familienplanung und wer bekommt durch Gebären Anerkennung oder wo wird diese verweigert – nicht immer Strukturen der Abhängigkeit und Entwertung der Frau hervor? Geschlechterhierarchien (auch in Paarbeziehungen) speisen sich auch daraus, wie viele Freiräume den Geschlechtern zugestanden werden und wie sich dadurch die Wahrnehmung der eigenen Handlungsoptionen gestaltet.

Zwischen Freiheitsversprechen und Zwang

Bleibt also die Frage, ob Reproduktionsmedizin hilft, diese Geschlechterhierarchien aufzubrechen. Die Fähigkeit zu Gebären ist eine Projektionsfläche für die Labilität, emotionale Abhängigkeit oder gar Verrücktheit der Frau (siehe die Bedeutung der Hysterie als Frauenkrankheit). Gleichzeitig projizieren wir eine Art weibliche Übermacht darauf, der wir mit Skepsis und Unbehagen begegnen: Egal für was sich die Frau entscheidet, wir unterstellen ihr Verantwortungslosigkeit und Unwissenheit. Auf der anderen Seite wird die Entscheidungsmacht der Frau durch die Parameter der Leistungsgesellschaft und ihrem Optimierungszwang in Beschlag genommen. Die Verrücktheiten zwischen Freiheitsversprechen und Zwang muss tatsächlich die Frau aushalten.

Mutterschaft in der Leistungsgesellschaft

Haraways Hoffnung, dass Technik Grundannahmen über Natur aufbrechen kann, erfüllt sich nicht, denn die Reproduktionsarbeit wird immer noch als weiblich gezeichnet. Wir kultivieren in der Vorstellung vom „eigenen“ Kind die Sehnsucht nach der Wahrhaftigkeit der Biologie und der Natur, die wir in der „kalten Konsum- und Wettbewerbswelt“ nicht mehr finden und imaginieren dies vor allem als weiblichen Drang. Der Wahn, unbedingt eigenen Nachwuchs haben zu müssen (anstatt Konzepte von sozialer Elternschaft zu etablieren), weitet sich aus und bringt Frauen dazu, ihren Wert in einer weiblichen Erfolgsbiografie darüber zu definieren und sich „freiwillig“ jahrelangen medizinisch und psychologisch auszehrenden Prozeduren zu unterziehen, um die Gebärfähigkeit herzustellen; denn technisch ist es möglich, sie darf nicht aufgeben.
Weder Technik noch Natur versprechen Heilung, wenn Mutterschaft Teil der Leistungsgesellschaft geworden ist. Sie sind nur Ablenkungsmanöver von dem was uns unfrei macht. Dass beispielsweise Social Freezing als „unnatürlich“ und als Hilfestellung der kapitalistischen Ausbeutung der Frau kritisiert wurde, verschleierte, dass damit die wachsende Autonomie der Frau an sich diskreditiert werden sollte. Die Gebärfähigkeit der Frau wird als Refugium der Freiheit gegenüber der kapitalistischen Leistungsgesellschaft dargestellt. Tatsächlich wird dadurch aber unbezahlte Fürsorgearbeit als weibliche Kompetenz eingefordert und naturalisiert: auf diese Ungerechtigkeit stützt sich aber unsere Ökonomie.

Technik – hilfreich und toxisch zugleich

Technik ist kein Garant für wachsende Autonomie; sie ist von der Durchsetzungskraft und dem Selbstbewusstsein des weiblichen Individuums abhängig. Doch wenn man aus einer kapitalismuskritischen und linksutopischen Überzeugung heraus technische Lösungen diskreditiert, trägt man Ideologien auf dem Rücken von Individuen aus, die nach Lösungen suchen, die ihnen in ihrer Lebensrealität, mit der sie sich herum schlagen müssen, helfen können. Reproduktionsmedizin ist immer noch eine Erfüllungsgehilfin des Patriachats, in dem sie aufrecht erhält, dass Frauen einen unbedingten Kinderwunsch haben. Trotzdem: Mit technischen Möglichkeiten wird die Abhängigkeit davon, wann und ob ein Kinderwunsch  verwirklicht wird und wie abhängig Frauen dabei von männlichen Partnern sind, weniger.  Die technische Machbarkeit kann manchen Frauen konkret ebenso helfen wie sie toxisch sein kann: mit der Technik als Freiheitsversprechen wäre Mutterschaft Teil der Leistungsgesellschaft geworden, wenn der unbedingte Wille zur Mutterschaft wieder als naturgegeben romantisiert wird.

 

Dies ist der zweite Artikel der Debatte „Monströse Versprechen: Technologien zwischen Risiko und emanzipativem Potential“ zum ersten Thema „Reproduktionstechnik: Zwischen Wahlfreiheit und Normierung“.

 


 

©Thomas Hummitsch - Alle Rechte vorbehalten
©Thomas Hummitsch – Alle Rechte vorbehalten

Sarah Diehl (*1978) lebt als Autorin in Berlin. Sie engagiert sich mit der Organisation Ciocia Basia im Bereich der internationalen reproduktiven Rechte von Frauen und hat hierzu den preisgekrönten Dokumentarfilm Abortion Democracy – Poland/South Africa gedreht und zwei Anthologien herausgegeben. Ihr Debütroman Eskimo Limon 9 über den Culture Clash zwischen Israelis und Deutschen erschien 2012 im Atrium Verlag. Ihr letztes Sachbuch Die Uhr, die nicht tickt über das schlechte Image der kinderlosen Frau als Druckmittel zur unbezahlten Care-Arbeit erschien 2014 im Arche Verlag.