von Sabine Schiffer
Prostitution ist nicht das einzige Thema, bei dem die Schlagzeilen nicht von den Beteiligten gemacht werden. Schlagzeilen produzieren Medienmachende nach ihren eigenen Einschätzungen. Allerdings befinden die Medien sich auch nicht im luftleeren Raum, worin sie Themen definieren, Kampagnen lancieren oder die Agenda völlig unabhängig bestimmen würden. Nicht selten reflektiert man in den Redaktionsstuben gar nicht, wo ein Thema eigentlich herkommt oder warum man gerade dieses bearbeitet. Aber Medien haben natürlich eine besondere Verantwortung, wem sie Stimme, Raum und Macht geben – nämlich Definitionsmacht. Und in Zeiten schlechter (Medien-)Konjunktur kann so auch das ein oder andere Thema ein Selbstläufer werden.
Sex sells und die Skandalisierung von Sex sells erst recht. Das wissen auch diejenigen, die Medien ins Visier nehmen, um sie als Vehikel für ihre eigenen Kampagnen zu nutzen. Eine erfahrene PR-Aktivistin in diesem Sinne ist Alice Schwarzer, die mit ihrer Kampagne zur Abschaffung von Prostitution all ihre Medienerfahrung einbringen konnte, um einen werbewirksamen Aufruf zu lancieren. Allerdings gab es plötzlich Gegenstimmen, die die Schwelle der Aufmerksamkeit medialer Auswahlmechanismen überschritten.
Statt sich Gedanken darüber zu machen, wie man die Betroffenen erreichen kann, um sie nach ihren Erfahrungen, Einschätzungen und Interessen zu befragen, wird möglichst über die in der Sexarbeit Tätigen gesprochen. Und wenn man sie selbst zu Wort kommen lässt, so obliegt es den Medienmachenden, die Stimmen auszuwählen, die als Kronzeugen präsentiert werden. So erhalten diejenigen, die sich ein Bild machen wollen und eventuell noch Entscheidungen in diesem Bereich unserer Demokratie fällen müssen, nicht in dem Umfang Informationen, wie sie sie bräuchten. Statt der Befähigung zur Meinungsbildung wird Stimmung gemacht – und diese normalerweise auf Kosten der Minderheiten, die man zu schützen vorgibt.
Neben der Auswahl bestimmter Aspekte, zumeist einzelner Fakten, egal wie repräsentativ sie sein mögen, und einzelner Stimmen, wird durch sinn-induktive Themenverknüpfung viel Unverständnis erzeugt. Nicht von ungefähr stößt man bei Recherchen zu Themen wie Prostitution auch immer gleich auf die Themen Frauen- oder Menschenhandel. Dabei wäre letzteres nun wirklich ein relevantes und breites Thema, wenn man den Menschenhandel in unterbezahlten Branchen wie beispielsweise der Fleischindustrie thematisieren würde. Stattdessen findet oft eine eingeschränkte Wahrnehmung auf den bereits stigmatisierten und kriminalisierten Bereich der Sexarbeit statt. Fast ausschließlich in diesem Bereich wird Menschenhandel als Problem benannt – hier geht es oft um Frauen und nicht um Männer, die in der Fleischindustrie in großindustriell geführten Schlachtanlagen weit unter Lohnniveau und Lebensstandard eingesetzt werden.
Über die Kriminalisierung im Prostituiertenmilieu werden Effekte erzeugt, die wiederum in ganz anderen Politikfeldern ausgenutzt werden können. Nicht nur Prostitution steht auf der Kriminalisierungs- und Kontrollierungsliste, aber dieses Themenfeld wird zunehmend genutzt, um die Arbeitsmigration vor allem aus dem Osten als problematisch darzustellen. Das Thema bietet damit denjenigen Argumentationshilfe, die sich aus ganz anderen Gründen gegen die EU-Freizügigkeit einsetzen. Hierfür müssen nun oftmals osteuropäische Sexmigrantinnen herhalten, die auf Grund ihres Aufenthaltsstatus eines der schwächsten Glieder in der Kette des Sexarbeitsmarktes sind.
Wir sehen, dass jenseits moralinsaurer Polemik das Thema eine kritische Aufarbeitung verdient. Dazu gehört eine Aufarbeitung der skandalisierungsbemühten Mediendebatte ebenso wie die der Rolle von Menschenrechtsbeauftragten. Wie das berechtigte Anliegen letzterer diejenigen erreicht, denen tatsächlich Gewalt angetan wird, und nicht diejenigen bevormundet, die ihre Lebenslage anders einschätzen, wird eine wichtige Aufgabe sein.
Diese ähnelt der Aufgabe unserer Medienmachenden, die sich in folgender Fragestellung spiegelt: Wie kann man Missstände benennen, ohne in die Verallgemeinerungsfalle zu tappen?
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Sabine Schiffer promovierte zur Islamdarstellung in den Medien. 2005 gründete sie das unabhängige Institut für Medienverantwortung und leitet es seither. Sie forscht, lehrt und publiziert zu Minderheitendarstellungen in den Medien, Vierte und Fünfte Gewalt, Kriegspropaganda und Medienbildung und setzt sich für die Gründung eines Publikumsrates bim öffentlich-rechtlichen Rundfunk ein. Zuletzt erschien von ihr das Buch „Bildung und Medien“ (HWK 2013). www.medienverantwortung.de
Frau Schiffer wird am 24.09.14 auf der Fachtagung „Sexarbeit in Zeiten der Bewegung“ einen Vortrag zum Thema „Prostitution in den Medien – Gründe der Opferdarstellung“ halten. http://sexarbeits-kongress.de/