von Maria Wersig
Im letzten Jahr wurde ich gefragt, warum ich als feministische und frauenpolitisch engagierte Juristin nicht den Aufruf gegen Prostitution unterschreibe. Schließlich sei ich doch auch gegen Gewalt und Ausbeutung von Frauen. Stimmt. Aber kann man beide Themenbereiche gleichsetzen?
Menschenwürde und Entscheidungsfreiheit
Der EMMA-Aufruf war der Meinung, dass Prostitution die Würde der Menschen generell verletzt. Sicher: In einer Welt, in der die Ressourcen sowohl zwischen Frauen und Männern als auch in Europa sowie global so ungleich verteilt sind, ist die Frage berechtigt, welche Entscheidung frei ist. Trotzdem ist es aus meiner Sicht grundlegend, individuelle Entscheidungen zu respektieren und Frauen, die sich für eine Tätigkeit als Prostituierte entscheiden, nicht durch die Ächtung ihrer Wahl zusätzlich zu stigmatisieren. Ausgehend davon habe ich mich mit den Rechtsfragen der Prostitution befasst und mit Expertinnen u.a. im Deutschen Juristinnenbund kontrovers diskutiert.
Das Urteil der Sittenwidrigkeit
Das Prostitutionsgesetz[1] traf eine wichtige Grundsatzentscheidung: Das „Unwerturteil“, das Gesetzgebung und Rechtspraxis über diese Tätigkeiten gelegt hatten, sollte aufgehoben werden. Seit 1927[2] war Prostitution erlaubt, galt aber als „sittenwidrige“ und „sozialwidrige“ Tätigkeit. Das Sittenwidrigkeitsurteil bedeutete auch, dass der Vertrag über sexuelle Dienstleistungen zwischen Kunde und Sexarbeiterin gemäß § 138 Abs. 1 BGB[3] nichtig war. Ein Einklagen des Entgelts – hätte die Sexarbeiterin das denn tun wollen – war damit unmöglich. Ein Bordell zu betreiben, war strafbar, an die Anmeldung eines Gewerbes war nicht zu denken.
Ein Schutz der Ausübung der Prostitution oder des Betreibens eines Bordells unter dem Grundrecht der Berufsfreiheit hielt das Bundesverwaltungsgericht[4] im Jahr 1965 abwegig und setzte diese mit „Berufsverbrechertum“ gleich. In späteren Entscheidungen zu „Peep Shows“ in den 1980ern wurde argumentiert, dieses Posieren verletze die Menschenwürde der Frauen und sei auch bei ihrer freiwilligen Beteiligung am Geschehen aufgrund des „objektiven Werts“ der Menschenwürde[5] zu schützen. [Im Vergleich zu Peep Shows galt die Prostitution als noch schlimmer für die Menschenwürde.] Erst im Jahr 2000 entschied[6] das Berliner Verwaltungsgericht gegen das Urteil der Sittenwidrigkeit der freiwilligen Ausübung der Prostitution.
Prostitution als Beruf
In § 1 des Prostitutionsgesetzes wurde schließlich die Sittenwidrigkeit von zivilrechtlichen Verträgen aufgehoben und durch strafrechtliche Änderungen auch die Ermöglichung sozialversicherungspflichtiger Beschäftigungsverhältnisse angestrebt. Spätestens mit dieser Entscheidung hat der Gesetzgeber die Ausübung der Prostitution auch unter den Schutz der Berufsfreiheit Art. 12 Abs. 1 GG[7] gestellt. Das hat das Bundesverfassungsgericht in der Zwischenzeit bestätigt[8]. Die seitdem stattgefundene Evaluation[9] des Prostitutionsgesetzes und andere Erfahrungen zeigen, dass die Umsetzung dieses grundlegend geänderten Werturteils über Prostitution in der Rechtspraxis schwierig war. Beispielsweise ist die Anmeldung eines Bordells als Gewerbe immer noch nicht in allen Bundesländern möglich. Das Prostitutionsgesetz hatte zum Gewerberecht auch nichts gesagt und die Ausführung der bestehenden gewerberechtlichen Praxis überlassen. Man ging allerdings davon aus, dass das „Unwerturteil“ der Unsittlichkeit, das auch im Gewerberecht relevant war (denn ein Gewerbe ist eine „erlaubte“ Tätigkeit) nun entfallen sollte. Die aktuelle Diskussion dreht sich aus meiner Sicht also nicht darum, die Entscheidung von 2001 zurückzudrehen, sondern es geht um die weitere Gestaltung der rechtlichen Rahmenbedingungen des Betreibens von Prostitutionsstätten und der Ausübung der Prostitution.
Verbot ist keine Lösung
Für mich war also von Anfang an klar: ein Verbot von Prostitution und auch ein Verbot des Sexkaufs schadet vor allem Sexarbeiter_innen. Sie werden in die Illegalität gedrängt und können keine Rechte einfordern. Die gleiche Wirkung hätte auch die Einführung einer Altersgrenze. Gerade die aus dieser Perspektive zu schützende Gruppe wäre dem Schutz damit entzogen. Notwendig ist stattdessen eine Debatte darüber, wie man individuelle Selbstbestimmung stärken und die Rahmenbedingen einer Tätigkeit im Prostitutionsgewerbe so gestalten kann, dass gute Arbeitsbedingungen etabliert werden. Denn natürlich ist nicht alles in Ordnung, was „freiwillig“ geschieht, liebe Antje Schrupp. Dabei muss man aber auch berücksichtigen, auf welches gesellschaftliche Klima und welche Historie jeder neue Regulierungsansatz trifft. Es ist in unserer Gesellschaft immer noch ein Nachteil, in der Prostitution tätig zu sein. Zu Recht verwehren sich Sexarbeiter_innen gegen Vorschläge, bei Polizei oder Gewerbeämtern individuell meldepflichtig zu werden. Denn nicht alle, die diesen Beruf freiwillig ausüben, wollen auch, dass Familie und Nachbarn davon wissen.
Der nächste sinnvolle Schritt
Das Prostitutionsgewerbe sollte in Zukunft also durchaus stärker und vor allem transparent und einheitlich reguliert werden. Das ist keine Reform der Entscheidungen des Prostitutionsgesetzes, sondern der notwendige nächste Schritt. Im Gewerberecht hatte bereits die Evaluation des Prostitutionsgesetzes aus dem Jahr 2005 erhebliche regionale Unterschiede in der Praxis festgestellt. Viele NGOs und Expert_innen favorisieren heute die Verabschiedung eines Prostitutionsstättengesetzes, das Anforderungen an die Betreiber_innen von Prostitutionsstätten formuliert. Darin könnte man den Betrieb erlaubnispflichtig machen. Auch die Verpflichtung zur Einhaltung bestimmter Standards oder zur Gewährung von Zugang für Mitarbeiter_innen von Fachberatungsstellen für Sexarbeiter_innen könnte man in einem solchen Gesetz regeln. Wichtig ist dabei, zwischen den Pflichten für Betreiber_innen und von Sexarbeiter_innen zu unterscheiden. Das Bedürfnis, Sexarbeiter_innen individuelle Pflichten aufzuerlegen und möglichst viel über sie zu erfahren, das wohl dem Wunsch entspringt, kriminelle Machenschaften im Bereich der Prostitution unter Kontrolle zu bringen aber im Grunde diesen gesamten Bereich in der kriminellen Ecke sieht, birgt wie gesagt die erhebliche Gefahr der Stigmatisierung. Das zeigen abschließend folgende Beispiele.
Gegen Stigmatisierung und Symbolpolitik
In der Debatte über die Regulierung von Prostitution wird im Moment vielfach darauf hingewiesen, dass es in diesem Bereich Gewalt, Zwangsarbeit und Ausbeutung gibt. An der Frage, mit welchen rechtlichen Instrumenten man dagegen besser vorgehen kann, scheiden sich die Geister: Auf der einen Seite besteht ein Wunsch, durch umfassende Kontrolle sowie individuelle Pflichten wie Gesundheitsuntersuchungen an die Frauen (und Männer) „heranzukommen“. Wenn man möglichst viel über sie weiß und sie regelmäßig irgendwo erscheinen müssen, so der Gedanke, kann man ihnen auch helfen bzw. Straftaten verhindern. Einige Forderungen wie die nach der Wiedereinführung verpflichtender und regelmäßiger Gesundheitsuntersuchungen für Prostituierte würden die Rechtslage um Jahrzehnte zurück katapultieren. Der Gedanke, durch verpflichtende Untersuchungen könnten Opfer von Gewalt und Menschenhandel „erreicht“ werden, lehnen gerade Fachleute in den Gesundheitsämtern und Beratungsstellen als realitätsfern ab. Die Beschränkung einer solchen Pflicht auf eine bestimmte Gruppe, wie hier die Prostituierten, ist außerdem verfassungsrechtlich prekär. Schließlich wäre zu begründen, welches gesetzgeberische Ziel damit verfolgt wird und warum es nicht mit anderen Mitteln als Untersuchungen, die auch den Intimbereich betreffen, erreicht werden kann. Man fühlt sich erinnert an Zeiten, in denen „Dirnen“ unter der Aufsicht von Polizei und Gesundheitsämtern standen. State of the art bei der Bekämpfung von sexuell übertragbaren Krankheiten ist die anonyme und freiwillige Beratung, wie die jahrzehntelangen Erfahrungen mit HIV zeigen. Schließlich würde diese Untersuchungspflicht die Sexarbeiter_innen enorm stigmatisieren. Gleiches gilt zumindest potenziell für die „Kondompflicht“. Ein Verbot muss kontrolliert werden. Denkbar wäre hier wohl das Ansprechen von Prostituierten durch verdeckte Ermittler, ob sie zu Sex ohne Kondom bereit wären. Ein Ja könnte man dann z.B. mit Bußgeldern ahnden. Solche Regeln, die sich im Grunde gegen Sexarbeiter_innen und nicht die Kunden richten, sind abzulehnen. Gefährlich wird es dann, wenn durch die Einführung einer Strafbarkeit für Kunden von Zwangsprostituierten eine Gruppe von Zeugen verlorengeht, die sonst eventuell noch zur Verfügung stünde, um gegen Straftaten wie Gewalt, Menschenhandel und Ausbeutung vorzugehen.
»Ist eine Gesellschaft ohne Sexarbeit denkbar/wünschenswert?«
Ich persönlich fände es schön, in einer Welt zu leben, in der man(n) nicht alles kaufen kann. Die Frage lässt sich aber aus meiner Sicht rechtspolitisch nicht beantworten. Die Historie des Umgangs mit der Prostitution bzw. „gewerbsmäßiger Unzucht“, wie sie lange genannt wurde, ist voll von Werturteilen über das Verhalten anderer, insbesondere der Frauen in der Prostitution. Wenn Ziel der Regulierung wäre, eine Gesellschaft ohne Sexarbeit zu erreichen, würde das vermutlich in Verbote münden. Die Benachteiligten wären die Frauen und Männer, die sich für eine Arbeit in der Prostitution entschieden haben. Ich wünsche mir deshalb eine Gesellschaft, in der es klare Anforderungen an den Betrieb von Prostitutionsstätten gibt, in der Sexarbeiter_innen nicht rechtlich stigmatisiert werden und in der ihre Arbeitsbedingungen im Sinn ihrer sexuellen Selbstbestimmung geregelt sind. Das kann Recht leisten. Die Wertedebatte sollte nicht weiter in Gesetzestexten geführt werden.
[1] http://www.gesetze-im-internet.de/prostg/
[2] http://www.zaoerv.de/01_1929/1_1929_2_b_536_2_541.pdf
[3] http://dejure.org/gesetze/BGB/138.html
[4] http://sorminiserv.unibe.ch:8080/tools/ainfo.exe?Command=ShowPrintVersion&Name=vw022286 (s. 289)
[5] http://sorminiserv.unibe.ch:8080/tools/ainfo.exe?Command=ShowPrintVersion&Name=vw064274
[6] http://www.streit-fem.de/media/documents/1256715850.pdf
[7] http://dejure.org/gesetze/GG/12.html
[8] http://www.bverfg.de/entscheidungen/rk20090428_1bvr022407.html
[9] http://www.bmfsfj.de/doku/Publikationen/prostitutionsgesetz/pdf/gesamt.pdf
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Dr. Maria Wersig ist Juristin und Politikwissenschaftlerin und lebt in Berlin. Sie forscht und schreibt zum Recht der Geschlechterverhältnisse und ist Mitglied des Bundesvorstands des Deutschen Juristinnenbundes e.V. Weitere Informationen: www.mariawersig.de