Falsche Freund_innen – Woran das Schwedische Modell scheitert

von Nora Fritzsche

Das schwedische Sexkaufverbot war ein feministisch motiviertes Gesetz. Vorangetrieben und verabschiedet von einer linken Parlamentsmehrheit, sollte es durch eine Kriminalisierung der Freier für bestehende Machtstrukturen in der Prostitution sensibilisieren. Es wollte ein Zeichen setzen gegen Gewalt an Frauen, die gesellschaftliche Einstellung zur Prostitution langfristig verändern und so nicht zuletzt für mehr Geschlechtergerechtigkeit sorgen. Ob diese Ziele erreicht wurden, wird in und außerhalb Schwedens angezweifelt. Negative Folgen für Sexarbeiter_innen, die ihre Arbeit nicht aufgeben können oder wollen, sind dokumentiert (vgl. dazu die Untersuchung von Dodillet/Östergren). Neben diesen konkreten Auswirkungen scheitert das Schwedische Modell aber an einer weiteren, grundlegenden Schwäche: Seiner Anschlussfähigkeit für andere, nicht feministische Ideen und Moralvorstellungen.

Wer A sagt, meint oft B

Selbst in Schweden hatte das Gesetz nur auf den ersten Blick den gewünschten Effekt auf die öffentliche Meinung. Tatsächlich belegen die stets zitierten Meinungsumfragen eine hohe Zustimmung zur Freierbestrafung, 2002 waren es 76%, 2008 71%. Interessant ist jedoch, dass sich mit 59% die Mehrheit der Befragten auf Nachfrage nicht nur für ein Sexkaufverbot, sondern genereller für ein allgemeines Prostitutionsverbot inklusive Bestrafung der Sexarbeiter_innen aussprach. Prostitution wird scheinbar nicht, wie im ursprünglichen Sinne des Gesetzes, als Gewalt gegen Frauen, sondern als generell unerwünscht betrachtet. Auch in Kanada scheint nicht nur Sorge um Sexarbeiter_innen hinter der aktuellen Reform des Prostitutionsgesetzes zu stehen: Neben einem Sexkaufverbot nach schwedischem Vorbild beinhaltet es zahlreiche Maßnahmen, die Prostitution schlicht aus dem öffentlichen Blickfeld verdrängen. Kritiker_innen sehen noch größere Gefahren für Sexarbeiter_innen als unter dem alten Gesetz, das 2013 aus eben diesem Grund vom Obersten Gericht für verfassungswidrig erklärt wurde.

Embedded Feminism

Häufig lohnt sich auch ein kritischer Blick auf die Liste der Unterstützer_innen. Im katholischen Irland wirbt die Kampagne „Turn off the Red Light“ für eine Gesetzgebung nach schwedischem Vorbild und bedient sich entsprechender Rhetorik. Prostitution wird als Hindernis für die Gleichstellung der Geschlechter und als Verletzung der Menschenwürde (bzw. „Frauenwürde“) betrachtet. Unterstützt wird die Kampagne u.a. von der Ärzt_innenvereinigung Irish Medical Organisation. Die hat sich 2013 zum wiederholten Mal gegen legale Abtreibung ausgesprochen, selbst bei akuter Lebensgefahr für die Schwangere, Vergewaltigung oder sexuellem Missbrauch. So viel zur Menschenwürde.

Diese Situation gibt es in Deutschland zum Glück so nicht. Aber auch hier muss man sich angesichts der Unterzeichner_innenliste des EMMA-Appells gegen Prostitution doch fragen, ob das noch das feministisch motivierte Gesetz ist, das 1999 in Schweden verabschiedet wurde. Die CDU/CSU (unterzeichnet haben u.a. die Frauenunion und zahlreiche MdBs/MdLs) oder die katholische Kirche (hier u.a. der katholische Frauenbund) sind nicht gerade als Speerspitzen des Feminismus bekannt. Es ist ein CDU-Minister, der, entgegen medizinischer Expertise, Frauen in Deutschland basale reproduktive Selbstbestimmung verweigert. Es ist der gesundheitspolitische Sprecher der Union, der Frauen nicht zutraut, Notfallverhütung von Smarties zu unterscheiden und es ist die Frauenunion, die in einer Stellungnahme zur Pille Danach dieses „Argument“ auch noch aufgreift. Von der katholischen Kirche und ihrem Verständnis von reproduktiven Rechten mal ganz zu schweigen. Selbstverständlich kann man beide Themen nicht gleichsetzen. Dennoch gilt: Wenn es um Frauenkörper geht und aus christlich-konservativen Reihen vom Schutz die Rede ist, ist Vorsicht angesagt – auch und vor allem wenn er sich im feministischen Gewand (eines EMMA-Appells) präsentiert. Wer soll hier geschützt werden? Und vor was?

Konsequenz statt Verschärfung

Ginge es ausschließlich um den Schutz des Selbstbestimmungsrechts, den Schutz vor Menschenhandel und Zwangsprostitution bzw. Vergewaltigung: warum werden nicht bestehende Gesetze erst konsequent angewendet? Menschenhandel zum Zweck sexueller Ausbeutung ist schon jetzt eine schwere Straftat, ebenso wie Vergewaltigung (denn nichts anderes ist Zwangsprostitution). Nur in 8,4 Prozent aller angezeigten Vergewaltigungen kommt es jedoch zu einer Verurteilung. Justizminister Heiko Maas sträubt sich derweil gegen eine Reform des Vergewaltigungsparagraphen, dem ein „Nein“ allein nicht ausreicht. Auch im Kampf gegen Menschenhandel passiert wenig. Die EU-Richtlinie gegen Menschenhandel hat Deutschland 2005 unterzeichnet und 2012 ratifiziert. Passiert ist nichts, kritisiert unter anderem der Bundesweite Koordinierungskreis gegen Frauenhandel und Gewalt an Frauen im Migrationsprozess (KOK e.V.). Warum also wird nicht erst konsequent umgesetzt, was Expert_innen und Sexarbeiter_innen fordern? Warum gibt es kein bedingungsloses Bleiberecht (unabhängig von Prozessaussagen und Kooperation), kaum psychotherapeutische und finanzielle Hilfe, keine Arbeitserlaubnis sowie Aus- und Weiterbildungsangebote für Opfer von Menschenhandel – keine insgesamt menschenwürdige Flüchtlings- und Migrationspolitik? Wo bleibt der Ruf nach einem bedingungslosen Grundeinkommen, das all die Reden von Freiwilligkeit mal vom Kopf auf die Füße stellen würde? – Das scheint dann doch alles wieder zu weit zu gehen.

Feminismus, Lektion I: Zuhören!

Wenn vom „Schutz von Frauen“ die Rede ist, so scheint es, meint das vor allem den vermeintlichen Schutz vor sich selbst und vor den eigenen, – wir kennen es alle – nicht immer besten Entscheidungen. Es ist ein Schutzanspruch, der Frauen zu Opfern macht. Der EMMA-Appell hat dieses Modell auf die Spitze getrieben, wenn Sexarbeiter_innen, die Kritik üben, unterstellt wird, sich den eigenen freien Willen nur einzubilden, nicht zurechnungsfähig, traumatisiert, unterdrückt, Opfer von Kindesmissbrauch etc. zu sein. Solche Behauptungen sind respektlos und entmündigend; sie markieren Frauen als irrationale Wesen – ein historisch nicht wirklich neues Instrument um sie zum Schweigen zu bringen.

Die Fragen bleiben: Wollen die, um deren Schutz es geht, das überhaupt? Welche Regulierung wird gebraucht? Wo sind Korrekturen nötig? Auf alle gibt es eine einfache Antwort: Zuhören.

Nora Fritzsche ist Politikwissenschaftlerin und ehemalige Praktikantin des Gunda-Werner-Instituts. Nach Studienstationen in Frankfurt am Main und Aalborg schreibt sie gerade ihre Masterarbeit an der FU Berlin. Sie ist Mitbegründerin des Twitter-Watchblogs @feminsist. http://twitter.com/feminsist


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