von Gesine Agena
Anfang 2013 twitterten tausende Frauen unter dem Hashtag #aufschrei über persönliche Geschichten und Erlebnisse mit Sexismus, bis hin zu Gewalterfahrungen. Die Abwertung von Frauen aufgrund ihres Geschlechts – Sexismus – findet in Deutschland alltäglich statt. So alltäglich, dass es schon fast als Normalität erscheint. Die #aufschrei-Debatte hat wieder ganz deutlich gezeigt, wie viele Frauen davon betroffen sind und ihr Verdienst war es, dass diese Übergriffe endlich wieder ins Bewusstsein kamen und darüber diskutiert wurde.
Im Jahr 2013 fand zum ersten Mal One Billion Rising statt. 2014 gingen zum zweiten Mal Menschen aus aller Welt am 14. Februar auf die Straße, um unter dem Motto „strike, dance, rise“ gegen Gewalt an Frauen zu protestieren. Denn jede dritte Frau in der EU wird Opfer von physischer und/oder sexualisierter Gewalt. Mit der Aktion One Billion Rising solidarisieren sich Menschen mit allen Frauen und Mädchen, die von Gewalt betroffen sind, weltweit.
Nicht nur die erschreckend hohe Anzahl der Gewaltdelikte gegen Frauen ist das Problem. Hinzu kommt, dass Frauen auch noch die Schuld an der Gewalt gegeben wird. Mit Slutwalks demonstrieren Frauen gegen Vergewaltigungsmythen, die lauten „wer sich so anzieht, muss sich nicht wundern“ oder „wer nachts durch den Park geht, hat selbst Schuld“. Gleichzeitig wird vehement eingefordert, was eigentlich selbstverständlich sein sollte: Mit den Parolen „Nein heißt Nein“ und „Alles außer Ja heißt Nein“, verteidigen Frauen ihr Recht auf sexuelle Selbstbestimmung.
Vor einigen Monaten beschloss das Bezirksparlament von Berlin Friedrichshain-Kreuzberg, keine sexistische Werbung mehr auf bezirkseigenen Werbeflächen zuzulassen. Die Initiative PinkStinks macht mit politischen und kreativen Aktionen auf die Abwertung von Frauen und Mädchen und einseitige Rollenklischees in der Werbung aufmerksam.
Ende 2013 hat das Bundesamt für Arzneimittel und Medizinprodukte, das dem Gesundheitsministerium untersteht, die rezeptfreie Abgabe der „Pille danach“ empfohlen. Doch Gesundheitsminister Gröhe weigerte sich, diese Empfehlung umzusetzen. Als der CDU-Abgeordnete Jens Spahn verkündete, diese Verhütungsmittel seien „keine Smarties, das ist ein Medikament mit Risiken und Nebenwirkungen“, gab es einen Shitstorm von FeministInnen auf Twitter, die sich zurecht in ihrer Selbstbestimmung und ihrem Urteilsvermögen diskreditiert sahen.
Was diese Beispiele gemeinsam haben? Sie alle zeigen, dass der Satz „Mein Körper gehört mir!“ noch lange nicht Realität ist und Frauen ihrem Ärger darüber zunehmend Luft verschaffen. Sie wehren sich dagegen, wegen ihres Aussehens oder ihres Frau-seins ein bestimmtes Klischee oder eine bestimmte Verhaltensweise übergestülpt zu bekommen. Viele Frauen haben keine Lust auf den Schlankheitswahn und prangern Sendungen wie Germanys Next Top Model an, so wie Laura Pape, die eine Petition startete und Pro7 dazu aufforderte, über Magersucht aufzuklären.
„Mein Körper gehört mir“, hinter diesem Satz steht die Forderung von Frauen, selbstbestimmt leben zu können. Sie wollen nicht, dass andere darüber bestimmen, ob sie diskriminiert werden oder ob sie im Notfall nach dem Sex verhüten dürfen. Und sie wollen schon gar nicht unter Gewalt leiden und erleben, wie sie danach selbst zu Mit-Verantwortlichen gemacht werden. Frauen reklamieren ihren Körper für sich und wollen, dass Schluss damit ist, dass sie ständig degradiert werden.
Was Politik tun kann
„Mein Körper gehört mir“ – das heißt, dass ich frei entscheiden kann, was ich damit mache. Um diesen Satz Realität werden zu lassen, kann Politik einiges regeln, aber nicht alles. Wir können und wollen keine sexistischen Sprüche verbieten oder persönliches Verhalten bis ins Kleinste regeln. Aber Politik hat einige Möglichkeiten.
Frauen die Selbstbestimmung über ihren eigenen Körper zu ermöglichen, dazu gehört zum Beispiel der rezeptfreie Zugang zur „Pille danach“. Für Minister Gröhe wäre das eine einfache, umsetzbare Maßnahme. Von einem Gesundheitsminister erwarte ich keine Moralpredigten, sondern die Ermöglichung von Selbstbestimmung.
Was ich von Herrn Gröhe auch einfordere, ist, das Recht der Frauen auf selbstbestimmte Geburt zu sichern, in dem er zügig Konzepte vorlegt, wie die Situation der Hebammen entspannt und ihre Arbeit langfristig gesichert werden kann. Denn ohne deren Arbeit, wird das Recht der Frauen, Ort und Art der Geburt zu wählen, nicht nur geschwächt, sondern de facto abgeschafft.
Selbstbestimmung über den eigenen Körper politisch zu ermöglichen, dazu gehört auch, alles zu tun, um Frauen, die von Gewalt betroffen sind, zu helfen. Die gesicherte Finanzierung von Frauenhäusern gehört dazu, ebenso wie die Stärkung und der Ausbau von Beratungsangeboten.
Und auch der Wunsch von vielen Frauen, nicht an jeder Ecke mit sexistischer Werbung konfrontiert zu werden, kann politisch zumindest teilweise umgesetzt werden. Das zeigen Kommunen wie Bremen oder Berlin Friedrichshain-Kreuzberg. Dort wird sexistische Werbung nicht verboten, aber Werbeflächen, die der Kommune gehören, werden hier nicht mehr für sexistische Werbung zur Verfügung gestellt.
Diese Beispiele zeigen: Politik kann einiges tun, um die Forderung „Mein Körper gehört mir“ umzusetzen.
„Mein Körper gehört mir – auch in der Prostitution“
„Mein Körper gehört mir“ – dazu gehört auch die Entscheidung von Frauen zu respektieren, in der Prostitution zu arbeiten. Unabhängig davon, ob jemand Prostitution als moralisch verwerflich einstuft oder nicht: Der Tatsache, dass es Prostitution gibt, und dass Frauen sich entscheiden in diesem Bereich zu arbeiten, kann man nicht begegnen, indem man diese Frauen stigmatisiert, kriminalisiert oder sie zu fremdbestimmten Opfern macht und ihnen die Entscheidungsfähigkeit abspricht.
Wenn wir wollen, dass Frauen sagen können „Mein Körper gehört mir“, dann müssen wir ihnen auch das Recht zugestehen, sich dazu zu entscheiden, Sexarbeiterin zu werden. Es geht nicht darum zu leugnen, dass die psychischen und physischen Belastungen in diesem Berufsfeld hoch sind und das Umfeld oft von Gewalt geprägt ist. Aber genau deshalb sollten wir die Rechte dieser Frauen, und auch ihr Recht auf sexuelle Selbstbestimmung, stärken. Sie brauchen Beratung, Aufklärung und Unterstützung, um ihre Rechte wahrnehmen zu können – keine Bevormundung.
Die Gründe, warum Frauen in der Prostitution arbeiten, sind vielfältig, ebenso wie die Bedingungen unter denen sie arbeiten. Dabei spielen die finanzielle Unabhängigkeit, gute Bildung und Aufklärung eine wichtige Rolle. Aber solange Frauen sich entscheiden, in der Prostitution zu arbeiten, sollten wir ihnen das nicht verbieten, sondern ihre Recht stärken und ihre Arbeitsbedingungen so sicher wie möglich gestalten.
Politik hat nicht die Aufgabe moralisierend zu entscheiden, was Frauen tun sollen oder nicht. Sie sollte Frauen die Selbstbestimmung über ihren Körper ermöglichen und ihre Rechte stärken.
Das gilt für alle Bereiche: Für ein Leben frei von Gewalt und Sexismus. Für die Entscheidung, die „Pille danach“ zu nehmen oder nicht. Und eben auch für die Entscheidung, als Prostituierte zu arbeiten.
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Gesine Agena (26) ist seit Oktober 2013 Mitglied im Bundesvorstand und frauenpolitische Sprecherin von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN. Von 2009 bis 2011 war sie Sprecherin der GRÜNEN JUGEND. Seit Juni 2014 betreibt sie zusammen mit anderen grünen Feministinnen das Blog www.grün-ist-lila.de.