von Antje Schrupp
Aktuell scheint Schwedens Prostitutionsgesetz auch ein Vorbild für Deutschland. Doch gesetzliche Verschärfungen, gar ein Verbot von Prostitution würde vor allem den Sexarbeiterinnen schaden. Auch wenn nur Freier direkt bestraft werden sollen, würde eine Illegalisierung zwangsläufig auch die betroffenen Frauen rechtloser machen, sie hätten es dann schwerer, sich abzusichern, sich zu wehren, soziale Hilfestrukturen in Anspruch zu nehmen, sich generell zu organisieren.
Vor allem aber hätten sie es schwerer, Kunden zu finden. Bei Prostitution handelt es sich schließlich in erster Linie um ein ökonomisches Phänomen: Frauen (und junge Männer) bieten Sexdienste an, weil es für sie eine Möglichkeit ist, Geld zu verdienen. Sie wählen diese Tätigkeit, weil es angesichts ihrer konkreten Lebenssituation die am wenigsten schlechteste ist – weil sie zum Beispiel kaum andere Möglichkeiten haben, für sich oder ihre Kinder an Geld zu kommen. Man kann ruhig davon ausgehen, dass sie sehr wohl in der Lage sind, ihre Situation und ihre Optionen realistisch einzuschätzen.
Dass die meisten Sexarbeiterinnen ihre Arbeit in diesem Sinne „freiwillig“ tun, kann jedoch andererseits kein Argument dafür sein, das Phänomen Prostitution als völlig okay einzustufen. Auch wer ein gesetzliches Verbot ablehnt, muss deshalb noch nicht Sexarbeit gut oder normal finden. Leider sind an dieser Stelle neoliberale Begründungsmuster inzwischen weit in linke und feministische Denkweisen vorgedrungen: Hauptsache freiwillig, dann ist alles erlaubt, so scheinen viele zu glauben. Aber natürlich ist nicht alles, was freiwillig geschieht, auch okay.
Sicher ist es prinzipiell möglich, Sex als Ware, als Dienstleistung zu verstehen. Das Modell „Sex als Dienstleistung“ reproduziert jedoch eine traditionelle patriarchale Vorstellung, nämlich dass Sex nicht etwas sei, das zwei (oder mehr) Menschen aufgrund von gegenseitigem Begehren miteinander tun, sondern etwas, das einer (in aller Regel ein Mann) mit einem anderen (in aller Regel eine Frau oder ein jüngerer Mann) tut. Diese Auffassung von Sex war Jahrhunderte lang vorherrschend und ist erst in jüngster Zeit – unter anderem auch vom Feminismus – hinterfragt worden.
Aber wenn die Bereitstellung eines Körpers zur Befriedigung der sexuellen Wünsche eines erwachsenen Mannes „freiwillig“ im Rahmen eines geregelten Konsumverhältnisses geschieht, dann scheint plötzlich wieder alles paletti zu sein? Dass „Consent“, also die formale Zustimmung aller Beteiligten, eine ausreichende Legitimation für sexuelle Handlungen sei, scheint inzwischen Common Sense. Die Frau muss nicht selber Lust auf Sex haben, es reicht, wenn sie nicht vernehmbar protestiert – genau das ist ja auch die Logik in Vergewaltigungsprozessen.
Dass Männer ein natürliches Recht auf Sex mit einer Frau (oder gegebenenfalls auch einem Mann) hätten, glauben inzwischen viele. Männer hätten „Fickrechte“, habe ich im Zuge der Debatte mehrfach gehört. Und wenn sie Frauen nicht mehr wie früher zum Sex zwingen dürfen, dann muss eben der Markt einspringen. Manche sehen in Sexarbeit sogar eine Spezialform von „Care“, vergleichen sie also mit der Fürsorge für kranke oder pflegebedürftige Menschen. Aber ist der Wunsch nach Sex wirklich vergleichbar mit dem Bedürfnis nach Nahrung und Körperpflege?
Ich finde nicht. Zumal es allzu oft auch gar nicht der Wunsch nach überhaupt irgendeiner Form von Sex ist, der Männer zum Kauf von sexuellen Diensten bewegt, sondern der Anspruch, Sexualität exakt so ausleben zu können, wie es den eigenen Wünschen und Vorstellungen entspricht. Eine Pro-Sexarbeits-Aktivistin sagte mir mal, es sei doch kein Wunder, wenn Männer professionelle Sexarbeiterinnen aufsuchen würden, angesichts der Trägheit und Phantasielosigkeit vieler Ehefrauen im Bett. Und in Freierforen wird ganz ungeniert darüber diskutiert, dass „normale“ Frauen zu dick, zu alt oder zu hässlich sind, außerdem stellen sie ungebührliche Ansprüche. Sie lassen sich nur ungern in den Arsch ficken oder fesseln, und am Ende wollen sie dann nicht nur Sex, sondern auch noch Zuwendung und Aufmerksamkeit. Da ist der Weg ins Bordell doch wohl gutes Mannesrecht!
Prostitution ist letzten Endes die institutionalisierte Idee vom Recht auf sexuellen Egoismus. Ihre Existenz garantiert, dass Männer „Fickrechte“ in Anspruch nehmen können, ohne sich über ihre sexuelle Wünsche mit anderen auseinandersetzen zu müssen. Prostitution bestärkt so eine Vorstellung von Männlichkeit, die auch sonst für die Gesellschaft schädlich ist.
Die Frage nach dem gegenseitigen Begehren als Voraussetzung für legitimen Sex gehört deshalb aus meiner Sicht ins Zentrum der Debatte. Warum haben Freier überhaupt Lust, mit einer Person Sex zu haben, die oder der das nur für Geld macht? Warum ist es ihnen so egal, ob sie von den Frauen oder jungen Männern, mit denen sie Sex haben, selber auch begehrt werden? Und: Wie wirkt sich diese Geringschätzung des (weiblichen) Begehrens über den Aspekt der Sexualität hinaus auf das Verhältnis der Geschlechter aus?
Das ist der „StreitWert“, um den es hier geht. Darüber sollten wir streiten – und nicht über die Verschärfung von Gesetzen.
»Ist eine Gesellschaft ohne Sexarbeit denkbar/wünschenswert?«
Prostitution ist ein kulturelles und ökonomisches Phänomen, kein naturgegebenes. Deshalb ist eine Gesellschaft ohne Sexarbeit selbstverständlich denkbar. Prostitution ist aber so eng mit dem Geschlechterverhältnis verwoben, dass die Frage losgelöst davon wenig Sinn ergibt. Solange männliche Dominanz herrscht, wird es auch Prostitution geben, denn sie dient dazu, diese Dominanz zu bestärken. Die Frage, wie es in einer Gesellschaft ohne männliche Dominanz wäre, ist spekulativ. Ich vermute, es gäbe dann keinen Bedarf mehr an Prostitution, weil Männer keine Lust mehr auf Sex hätten, ohne dass die anderen Beteiligten selber auch Lust darauf haben. Vielleicht gäbe es aber auch Sexarbeit, die tatsächlich nur den reinen Sex verkaufen würde und kein Zeichen mehr für die Verfügbarkeit weiblicher Körper wäre. Dann wäre das für mich völlig okay. Nur: Solange männliche Dominanz gesellschaftliche Realität ist, stellt sich diese Frage überhaupt nicht.
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Dr. Antje Schrupp ist Journalistin und Politikwissenschaftlerin und lebt in Frankfurt am Main. Sie beschäftigt sich besonders mit weiblicher politischer Ideengeschichte und bloggt unter www.antjeschrupp.com