von Jan Schnorrenberg
Wer programmiert feministisch?
In Zeiten der Wikipedia und einem Aufbrechen traditioneller Wissensstrukturen scheint Wissen frei zu sein. Dies ist jedoch nur bedingt richtig: Auch Internettechnologien produzieren Wissensmonopole. Der Harvard Professor Lawrence Lessig verglich schon 1999 in seinem Werk „Code and Other Laws of Cyberspace“ Programmcode mit dem geschriebenen Gesetz. Denn „der Programmcode“, also das Grundgerüst digitaler Kommunikationstechnologien, kann regulierend, also ausschließend wirken – wenn er etwa nicht zugänglich ist oder das Wissen darüber, ihn lesen und verstehen zu können ungleich verteilt wird. So entstehen Technologien, die zwar jede*r nutzt, aber deren Funktionsweisen nur für wenige Menschen verständlich sind, geschweige denn weiterentwickelt werden können. Dies macht eine für unsere digitale Gesellschaft zentrale Frage auf: Wer schreibt in einer durchdigitalisierten Welt die „Gesetze“? Wer sind die Architekten (sic!) des Internets? Und wer wird innerhalb dieser Diskurse diskriminiert?
Die Fragen nach Wissen und Macht sind daher auch für digitale Räume mit der gleichen Nachdrücklichkeit zu stellen wie sie notwendigerweise auch in „analogen“ Räumen gestellt werden müssen. Welche Gruppen maßgeblichen Einfluss auf die Architektur der Wissensgesellschaft ausüben können, ist nicht einfach nur eine Frage von technischen Voraussetzungen und Kompetenzen. Wenn schon in MINT-Fächern und im IT-Bereich , also gerade den Gebieten die für die Ausgestaltung digitaler Gesellschaften immer mehr Relevanz erhalten, vorwiegend Männer beschäftigt werden und von informellen Strukturen profitieren, ist die Geschlechterfrage zu stellen. Das Netz ist männlich. Gerade dort werden Wissen und Einflussmöglichkeiten über patriarchale Machtverhältnisse reguliert, mit der Folge, dass das emanzipatorische Potenzial von Internettechnologien und das mit ihnen untrennbar verknüpften Projekt „Wissensgesellschaft“ massiv geschwächt wird. Und damit ist es ein traditionelles Problem der feministischen Bewegungen, welche ebenfalls schon lange gegen männliche Wissensmonopole und den (in)formellen Barrieren die zu deren Regulation beitragen, streiten.
Der Streitwert liegt in den Prioritäten von Grün und Orange
Besonders die Piratenpartei ist angetreten um den Weg in eine digitale Wissensgesellschaft politisch zu ebnen, und zu diesem Thema hat die Partei umfangreiche Errungenschaften aus der bereits bestehenden Netzinfrastruktur aufgegriffen – mit dem Ziel, sie in Politik und Gesellschaft besser zu verankern. Lessig wird dort eifrig (indirekt) rezipiert. Seiner Analyse gemäß sind viele politischen Ansatzpunkte der Piraten technokratischer Natur. Sie unterstreichen dabei eine Prioritätensetzung, die auf gleiche technologische Ausgangspositionen gesellschaftlicher Akteur*innen setzt. Nicht thematisiert wird hingegen die Rolle informeller Strukturen um den technischen Institutionen herum und daher auch nicht, wie diese zu Gunsten von mehr Chancengerechtigkeit angegangen werden könnten. Zugegeben: Diese Debatten werden bei den Piraten geführt. Nur finden sich Diskussionspapiere und Beschlüsse in diesem Bereich kaum. Dies mag daran liegen, dass die mit den digitalen Räumen entstandene Netzkultur erst langsam von technokratischen Fehlannahme runter kommt, das Geschlecht würde im Cyberspace nicht existieren können. Unter diesen Bedingungen wundert nicht, dass das Verhältnis von Geschlecht und Code grob außer Acht gelassen wurde, obwohl gerade hier Grundsteine für gleichberechtigte Teilnahme an Gesellschaft, Politik und Demokratie gelegt werden. Was anderseits unentwegt betonte Herzensangelegenheiten der Piraten sind.
Auf grüner Seite ist die Netzpolitik vor allem in den letzten Jahren stärker in den Fokus gerückt worden. Programmatisch fällt, gemäß der Geschichte als feministischer Partei, der Empowerment-Aspekt mehr ins Auge. Es wird nachdrücklicher die Frage nach der Partizipationsmöglichkeit marginalisierter Minderheiten an der digitalen Welt nachdrücklicher gestellt – und mit Verweis auf Barrierefreiheit auch kritische auf digitale Partizipationsmöglichkeiten wie Liquid Feedback geblickt. Auch die Grünen wissen, wohin sie mit der Wissensgesellschaft wollen – unter anderem fallen oft die Schlagworte Transparenz, Open Government und Open Access, in vielerlei Hinsicht nicht ungleich der Positionen der Piratenpartei. Die durch die Piraten intensivierte offensive Konfrontation mit netzpolitischen Fragen und der fortschreitenden Digitalisierung des Alltags hat den Programmprozess der Grünen entscheidend beeinflussen können – wenngleich, und hier möchte ich aus eigener Erfahrung sprechen, die Aufmerksamkeit die der Netzpolitik gegenüber gebracht wird bei den Grünen und der Grünen Jugend durchaus noch Raum nach Oben hat. Dies ist auch einer der Gründe, wieso zwar viel über Geschlechter, aber wenig über den Code und damit die Architektur unserer Wissensgesellschaft gesprochen wird – Im Lichte dessen, dass die Fraktionen allerdings Anträge wie zur Förderung von MINT-Fächern als Ganzes und besonders für Frauen stellen, ist hier auch parlamentarisches Potenzial zu sehen.
Eine Wissensgesellschaft kann es nur für alle geben!
Grüne und Piraten haben bezüglich ihrer Ziele viele Gemeinsamkeiten. Beide stehen hinter dem Projekt der „Wissensgesellschaft“. Beide erkennen die Chancen digitaler Kommunikationstechnologien und wollen deren emanzipatorischen Potenziale nutzen um Hierarchien und Wissensgefälle vor und hinter dem Bildschirm abzubauen und um die Demokratie als Ganzes zu stärken. Fest steht: Eine wahre Wissensgesellschaft kann sich nur mit diesem Label schmücken, wenn sie Zugänge zu Wissen demokratisch, inklusiv und gleichberechtigt anbieten kann und nicht nur von einer privilegierten Gruppe gestaltet wird. Dazu gehört nicht einfach nur offene Software, sondern auch eine geschlechtergerechte Verteilung von Wissen und Kompetenzen. Beide Parteien haben Potenzial, diesem Missstand gesellschaftlich und politisch zu begegnen – idealerweise durch ein konstruktives Konkurrieren miteinander. Genug Angriffspunkte sind schließlich da.
Frauen- und Genderpolitik hatte immer den Anspruch, die Gesellschaft als Ganzes gerechter zu gestalten. Gerade feministisch engagierte Gruppen und Parteien müssen im 21. Jahrhundert das Internet als Teil der Gesellschaft und daher auch als Ort begreifen, wo engagierte Frauen- und Genderpolitik für Gleichberechtigung streiten muss. Sollten Feminist*innen deshalb programmieren lernen? Hilfreich wäre es. Solange nur eine kleine Gruppe von Männern die Kompetenzen haben unsere digitalen Alltagswelten zu verstehen und weiterzuentwickeln ist keine Gleichberechtigung erreicht. Daran wird sich künftig engagierte Frauen-, Gender- und Netzpolitik messen müssen. Von allen Parteien.
–
Jan Schnorrenberg, 21 Jahre alt, studiert in Berlin Europäische Ethnologie, Geschichte und Kulturwissenschaft. Sein Interessenschwerpunkt liegt in der Medienethnologie. Er ist seit 2010 bei der GRÜNEN JUGEND aktiv und koordiniert dort seit 2011 das Fachforum Netzpolitik & Kultur des Bundesverbandes.