Klartext – Es geht ums Ganze und um Alles!

von Kübra Gümüsay

Klartext – Es geht ums Ganze und um Alles!

// Erst hörte ich jemanden auf mich schimpfen. So spürte ich erstmals den Hass. Dann erfuhr ich von Diskriminierung. Später entdeckte ich Rassismus. Deshalb schrieb und schrieb und schrieb ich davon. Und schließlich sah ich das Leid der Anderen. Jetzt schreib ich erst jetzt. //

Wir leben in einer sexistischen Gesellschaft. Das wissen wir vielleicht jetzt, das wussten wir aber nicht immer. Bei der Geburt informiert uns niemand darüber, auch in der Schule klärt man uns nicht darüber auf und eigentlich kann man hier in Deutschland auch studieren, arbeiten und alt werden, ohne den Sexismus jemals bewusst wahrzunehmen. Es sind deshalb häufig persönliche Erfahrungen, die die Sinne schärfen, das Bewusstsein wecken und uns zu Aktivistinnen machen. Eine Freundin, die erzählt; eine Geschichte, die wir hören.

Vergewaltigung. Missbrauch. Magersucht. Depression.
Von unserem eigenen persönlich subjektiven Erlebnis ausgehend, werden wir aktiv. Wir prangern diese Probleme an. Berechtigterweise. Doch es gibt mehr hiervon abseits unseres Erlebnishorizonts.

Wir leben nämlich außerdem auch in einer Klassengesellschaft. In einer rassistischen Gesellschaft. Einer diskriminierenden Gesellschaft. Wir haben Feinde, wir haben die „Anderen“. Andersaussehende, Normabweichende, Fremde, Behinderte, Arme und Ungebildete.

Die Diskriminierungsmechanismen, denen diese Gruppen ausgesetzt sind, gleichen sich – häufig sind sie gar die exakt gleichen. Deshalb ist Diskriminierung nicht nur unser, sondern das Problem aller:

Sexismus ist nicht nur Thema von Frauen.

Rassismus ist nicht nur Thema von Schwarzen.

Homophobie ist nicht nur Thema von Homosexuellen.

Islamophobie ist nicht nur Thema von Muslimen.

Antisemitismus ist nicht nur

Xenophobie ist nicht nur ein Thema der „Fremden.“

Vor allem darf Diskriminierung nicht ein Problem der Betroffenen sein. Deshalb sind Bündnisse w

ein Thema von Juden.ichtig. So können die Aktivisten nicht nur als schwache Betroffene, als Einzelkämpfer für ihre eigene Sache, sondern als souveräne Kritiker auftreten.

Bevor ich mich mit Feminismus (bzw. zunächst Sexismus) beschäftigte, beschäftigte ich mich mit Islamophobie und Rassismus – erschrocken und überrascht war ich über die fast identischen Diskriminierungs- und Ausschlussmechanismen. Die feministische Community im Netz – namentlich die Mädchenmannschaft – empfing mich mit offenen Armen. Ich lernte viel durch die Diskussionen um Sexismus, den Umgang damit und die Reaktionen darauf. Ich lernte selbstbewusst und selbstverständlich zu kritisieren, ohne mich im Nettsein und im immer-brav-Erklären zu verlieren, weil man ja irgendwie doch gefallen möchte. Weil man es ja irgendwie doch verstehen kann, wenn der Mensch sexistisch oder rassistisch ist. Nein, ich lernte konsequent zu sein und klar zu benennen, was falsch läuft. Aber auch offen zu benennen, wo man selbst Falsches tut.

Offen reflektierte die feministische Community ihren eigenen Status, ihre Privilegien: Die feministische Community besteht zu einem Großteil aus weißen gebildeten Akademikerinnen – damit haben sie nur einen beschränkten Einblick in die verschiedenen Schichten der Gesellschaft und laufen Gefahr vermehrt nur die Interessen dieser intellektuellen Szene zu vertreten.

Eine feministische Freundin in einem nordafrikanischen Land erzählte von einem ihrer homosexuellen Freunde. Er ist ungebildet, kann seine sexuelle Orientierung und die gesellschaftlichen Konsequenzen nicht einordnen, reflektieren und sich intellektuell zur Wehr setzen. „Das können Leute wie ich nicht“, sagte er zu ihr. „Das können nur Leute wie du für uns tun.“

Denn Aktivismus ist ein Luxus. Ist ein Privileg. Dass muss man wissen, bevor man sich mit lauter intellektuell dahinschwafelnden Menschen auf ein Elfenbeinturm begibt und die einzigen Probleme der Welt die eigenen glaubt.

Das lernte ich durch Bündnisse und das Netz, wo die Ideen und Gedanken im Vordergrund stehen, die Person im Hintergrund. So kam die Einsicht, dass wir im Grunde gegen eine andere Farbe des gleichen Problems kämpfen.

Bündnisse stärken und heben die Themen dahin, wohin sie gehören: Auf die gesamtgesellschaftliche Ebene. Sie tragen sie in die Mehrheitsgesellschaft.

Bündnisse sind gut und wichtig. Manchmal aber auch nicht.
//Womensphere Konferenz in Oxford. Es geht um Frauen in Führungspositionen, die sich gegenseitig fördern wollen, netzwerken und etwas bewegen. 500 britische Pfund kostet der Eintritt. Über Uni-Freunde bin ich kostenlos reingekommen. Hinterher denke ich: Hätte ich auch nur einen Pfennig gezahlt, hätte ich mir meinen Kopf wohl am Tisch kaputt gehauen. Heiner Thorborg, Personalberater und Gründer von Generation CEO, einem exklusiven Förder-Netzwerk von Frauen mit besonders großen Erfolgsaussichten und einer der Sponsoren der Konferenz, soll eine Rede halten. Maßgeschneiderter Anzug, perfekt gestylte Haare, ein bisschen gebräunt und ein unwiderstehlich freches James Dean-Lächeln im Gesicht steht er auf der Bühne mit breit ausgestellten Beinen. Dann sagt er den Satz, der alle Frauen im Saal zum Kichern bringt: „Wisst ihr, was ich an diesen Konferenzen liebe? (Pause, er grinst) Dass so viele Frauen da sind.“//

Bündnisse haben auch ihre Grenzen. Und zwar da, wo man zufällig das gleiche Ziel verfolgt, aber nicht die gleichen Probleme sieht.

 

Kübra Gümüsay schreibt regelmäßig Kolumnen in der „taz“ und betreibt den Blog „ein-fremdwoerterbuch.com“. 2011 führte das „Medium Magazin“ sie unter den Top-30-Journalisten unter 30. Die gebürtige Hamburgerin studierte Politikwissenschaften an der School of Oriental and African Studies in London und an der Universität Hamburg.