von Henny Engels
In und mit Bündnissen aller Art habe ich Zeit meines beruflichen Lebens gearbeitet; diese Erfahrungen kommen mir bei meiner Arbeit als Geschäftsführerin des Deutschen Frauenrates (DF) zugute. Der DF ist als Zusammenschluss von mehr als 50 Frauenverbänden und Frauengruppen gemischter Verbände eher ein auf Dauer angelegter Bund als ein loses Bündnis. Voraussetzung für den Erfolg ist in beiden Fällen die gelebte Überzeugung aller Beteiligten, dass sie gemeinsam mit den anderen mehr erreichen werden als alleine. Das schließt ein, bei gemeinsamen Aktivitäten hin und wieder auf die Schärfung des eigenen Profils zu verzichten. Zugleich müssen allerdings alle Beteiligten einander zugestehen, dass die Profile der Einzelnen im Ergebnis sichtbar bleiben.
„Noch wenige Jahre zuvor wäre ein solcher Beschluss nicht möglich gewesen“
Hinzu kommt die Bereitschaft, sich im Zusammenspiel mit den anderen selbst zu verändern. Ein Beispiel: Über Jahre diskutierte der Frauenrat darüber, ob Frauen, die zugunsten der Familie auf Erwerbsarbeit und damit auf eine eigenständige Existenzsicherung verzichten, Unterstützung aus Steuermitteln erhalten sollen. Dem gegenüber stand die Meinung, dass vielmehr Rahmenbedingungen zu schaffen seien, die es Frauen wie Männern ermöglichen, Familien- und Erwerbsarbeit zu vereinbaren. Am Ende der Diskussion 2008 war eine deutliche Mehrheit überzeugt, dass es nur um Vereinbarkeit gehen kann, dass „der Verzicht auf eine Erwerbsarbeit zur eigenständigen Existenzsicherung im Vertrauen darauf, dass stattdessen staatliche Förderung des nicht erwerbstätigen Elternteils über die Elternzeit hinaus einsetzt, (.) nicht akzeptabel“ sei. Noch wenige Jahre zuvor wäre ein solcher Beschluss nicht möglich gewesen. Jahrelange Diskussion und Begegnung hatten zu einer Veränderung in einer für einige Mitgliedsverbände grundlegenden Frage geführt.
Besonders so breit und divers angelegte Bündnisse wie der DF brauchen vereinbarte Spielregeln, die den Beteiligten die Sicherheit geben, dass sie nicht per Mehrheitsbeschluss gezwungen werden Positionen zu vertreten, die ihren Grundsätzen zuwider laufen. Eben jene Vereinbarung wurde auch in der Satzung geregelt. Zum einen durch die Möglichkeit, dass ein Mitgliedsverband eine zu beschließende Position zur Grundsatzfrage erhebt; in diesem Fall muss ein Beschluss einstimmig erfolgen. Zum anderen durch die Möglichkeit, ein abweichendes Votum eines Mitgliedsverbandes zu formulieren, das immer zusammen mit dem Beschluss veröffentlicht werden muss. Das erklärt, warum der Deutsche Frauenrat sich beispielsweise niemals zur Neuregelung des § 218 äußern konnte. Diese Regelungen bedeuten also in gewissem Sinne eine Einschränkung der Handlungsmöglichkeiten – sie sind aber zugleich Garant für das dauerhafte Bestehen. Im Falle des DF immerhin seit fast 60 Jahren, ohne dass dabei viele verloren gegangen wären.
Eine Besonderheit des Frauenrates ist, dass er seit Jahrzehnten institutionell vom Bundesfrauenministerium gefördert wird. Mit großem Stolz haben wir in den letzten Jahren immer wieder darauf verwiesen, dass der DF dadurch nicht in seiner Eigenständigkeit beschnitten wird. Das Zusammenspiel eines Ministeriums, das in Teilen dieselben Ziele wie wir verfolgt und zugleich sein Gegenüber ist, erfordert eine besondere Sensibilität im Umgang mit Nähe und Distanz, um die notwendige Balance zu halten. Erst recht in Zeiten knapper Ressourcen.
Der DF geht auch seinerseits Bündnisse ein. Er ist Mitglied fester Zusammenschlüsse wie der European Women’s Lobby und Initiator oder Mitglied zeitlich befristeter Bündnisse. So starteten wir im Vorfeld der Männerfußball-Weltmeisterschaft in Deutschland die Kampagne „Abpfiff“ und lud andere Organisationen zur Mitarbeit ein, um die öffentliche Aufmerksamkeit auf den Menschenhandel zum Zwecke sexueller Ausbeutung zu lenken. Dazu wurden konkrete politische Forderungen erhoben. Auch wenn die gesetzlichen Regelungen nach wie vor unzureichend sind, hat das Thema auch nach Ende der Kampagne mehr Aufmerksamkeit als zuvor.
„„Abpfiff“ und weitere Bündnisse, beispielsweise zum Equal Pay Day, haben eins deutlich gemacht“
Für einen Zusammenschluss wie den DF ist von großer Bedeutung, dass entweder nur der Zusammenschluss oder aber einzelne der Mitgliedsverbände in einem solchen übergreifenden Bündnis mitarbeiten. Im Falle einer gleichzeitigen Mitgliedschaft des Zusammenschlusses und einer oder mehrerer der Mitgliedsorganisationen ist unklar, für wen der Zusammenschluss spricht. Zudem besteht die Gefahr, dass der Zusammenschluss und die Mitgliedsorganisationen gegeneinander ausgespielt werden. Allerdings auch eine Chance. So zeigt sich die Mitgliedschaft des DF im Forum Menschenrechte in vieler Hinsicht bereichernd. Denn klar ist, zu den Menschenrechten gehören auch Frauenrechte. Umgekehrt fordert auch auf das Forum uns bei unser Arbeit immer wieder heraus, den menschenrechtlichen Aspekt zu beachten.
Und die Männer?
Bei „Abpfiff“ titelte die Frankfurter Rundschau einen Aufsehen erregenden Artikel mit „Das Schweigen der Männer“ – Reaktion darauf, dass die Bitte um Unterstützung durch den Deutschen Fußballbund (DFB) unbeantwortet geblieben war. Zur Ehrenrettung des DFB muss gesagt werden, dass dessen Präsident Theo Zwanziger später einer der Schirmherren der Kampagne wurde. Von einem Schweigen der Männer kann seit einiger Zeit ohnehin nicht mehr die Rede sein. Nicht nur machen Männergruppen wie der Väteraufbruch von sich reden – das Bundesforum Männer (s. hier) sucht aktiv die Kooperation mit dem Deutschen Frauenrat. Nun ist nicht zu leugnen, dass Frauenverbände und –gruppen in manchen Fragen ohne männliche Verbündete an ihre Grenzen stoßen. Aber: Diese Kooperationen brauchen erst recht faire und transparente Spielregeln. Vor allem bedarf es einer klaren Sprache: Es gibt eine geschlechtshierarchische Arbeitsteilung – sowohl im Erwerbsleben als auch im zivilgesellschaftlichen Engagement. Nicht zu bestreiten ist auch, dass trotz aller Bekenntnisse zur gerechten Arbeitsteilung in der Familie der deutlich größere Teil der Arbeit den Frauen zugewiesen wird. Ebenfalls erwiesen ist, dass Frauen trotz besserer Schul-, Studien- und Berufsabschlüsse deutlich geringere Karrierechancen haben und demzufolge weniger Entgelt bekommen als sie verdienen. Wenn Bündnisse von Frauen- und Männerorganisationen erfolgreich miteinander Ziele verfolgen wollen, müssen Tatsachen klar benannt werden. Faule Kompromisse, die dies verschweigen, beschönigen oder neutral als „Unterschiede“ verharmlosen, führen dazu, dass solche Bündnisse auf Dauer nicht tragfähig sind. Den beteiligten Männern muss klar sein, dass Frauen sie in ihrem Kampf um ein erweitertes männliches Rollenbild begleiten und auch unterstützen können – ihn führen werden sie weder können noch wollen. Sind diese Voraussetzungen akzeptiert, ist es zur Klärung etlicher Fragen mehr als sinnvoll, befristete Bündnisse zwischen Männer- und Frauenorganisationen zu schließen. Vor dem Hintergrund der in weiten Teilen Frauen verletzenden Geschlechtergeschichte ist hierbei noch mehr als bei geschlechtshomogenen Bündnissen geboten, respektvoll und in gewisser Weise vorsichtig miteinander umzugehen.
Henny Engels, Buchhändlerin, Sozialarbeiterin und Politologin, seit 2001 Geschäftsführerin des Deutschen Frauenrates.