von Katrin Rönicke
In Berlin ist die Piratenpartei mit neun Prozent in das Abgeordnetenhaus eingezogen. Von den 15 aufgestellten Kandidaten ist nur eine weiblich. Susanne Graf wird es einigermaßen schwer haben, als einzige Frau unter 14 Männern. Sie ist mit 19 Jahren zugleich die Jüngste auf der Liste, was ihre Position nicht unbedingt stärkt. In den Überlegungen, wie man sie und zugleich die Stärke der Frauen innerhalb dieser Partei, sei es quantitativ oder qualitativ, aufwerten kann, spielen Bündnisse eine entscheidende Rolle.
Vernetzung für Mobilisierung
Bündnisse waren und sind seit jeher eine der stärksten Instrumente gezielter und auch erfolgreicher Frauen- und Geschlechterpolitik. Wo Frauen sich verbünden, werden sie stark, sichtbar und hörbarer. Das zeigt zum Beispiel der Erfolg bloggender Frauen und von Netz-Aktivistinnen der vergangenen Jahre. Zur re:publica 2009 meldete ich mich als Vertreterin für das feministische Weblog Mädchenmannschaft mit dem Angebot eines Workshops über feministische Netzkultur an. Während viele Männer zu sehr vielen, und stark differenzierten Themen Einzelvorträge und Workshops abhielten, sollten die Frauen in einen Workshop mit dem Titel „Wenn Frauen bloggen“ gesteckt werden – so auch ich, was ich verhindern konnte. Vor Ort bot sich dann ein ernüchterndes Bild: Die Konferenz, die eine Vernetzung der deutschen und teilweise internationalen Web-Sphäre darstellen sollte, war stark männlich dominiert. Auf Nachfragen und Kritik antworteten die VeranstalterInnen, es hätten sich eben keine Frauen gemeldet und angeboten.
Als direkte Reaktion auf diese Erfahrung wurde ein Bündnis gegründet: Die Girls on Web Society versammelt seither hunderte bloggende Frauen. Sie tauschen sich in einer Facebook-Gruppe aus, vermitteln sich gegenseitig, je nach Thema, zu Veranstaltungen und mobilisieren jährlich zur re:publica. Auf der Diesjährigen war der Frauenanteil bedeutend höher, als noch vor zwei Jahren. Ein Bündnis war es, das die Wahrnehmung und Sichtbarkeit von Frauen bedeutend erhöht hat. Doch das ist erst der Anfang.
Old Girls‘ Network
Der Journalistinnenbund (JB) arbeitet seit 1987 mit genau dem gleichen Ziel: Frauen vernetzen, Bündnisse bilden und damit Einzelkämpferinnen stärken. Dazu bietet der JB ein Mentoring-Programm an, organisiert regelmäßige regionale Vernetzungstreffen und gibt seinen Mitgliedern die Möglichkeit, auf Mailinglisten regional und bundesweit miteinander zu kommunizieren. Die Medienlandschaft ist bunt und vielfältig. Medienunternehmen und Redaktionen sind nicht selten nach wie vor männlich dominiert. Durch die Vernetzung wird nicht nur die Position der Frauen gestärkt, sondern auch die Berichterstattung gendersensibler – zumindest ist das eines der Hauptziele des DJB. Dafür lobigt er jährlich einen Preis aus – ein weiterer Beitrag für mehr Sichtbarkeit. Bündnisse können also sehr direkt helfen. „Old Girls‘ Networks“ als Gegenentwurf zu den informellen „Old Boys‘ Networks“ sind eine Chance und ein erster Schritt.
Stereotype und doppelte Vergesellschaftung
Nicht selten aber scheitern Frauen trotzdem immer noch, wenn es um eine Wahrnehmung auf Augenhöhe geht. Die gesellschaftlichen Strukturen hinter ihnen, die Stereotype in den Köpfen aller Beteiligten – all das hat sich in den vergangenen 30 Jahren zwar bewegt, aber nicht grundlegend geändert. Das Thema „Doppelte Vergesellschaftung von Frauen“, also die Inanspruchnahme der Frau durch a) Arbeit und b) Haushalt/Familie, hat sich längst nicht erledigt. Es sind weiterhin die Frauen, die sich zu einem wesentlich größeren Anteil um die Care-Arbeit kümmern. Kinder, Haushalt, Küche, Wäsche, Eltern pflegen. In der Theorie stimmt der ‚moderne Mann‘ bereitwillig in Geschlechterdemokratie ein. In der Praxis hinkt er hinterher. Dadurch hat er nach wie vor mehr Zeit für Überstunden und damit größere Karrierechancen. Deswegen verdient er nach wie vor 23 Prozent mehr. Die gesellschaftliche Rollen-Aufteilung zwischen Mann und Frau ist gerade im Umbruch. Sie wurde noch lange nicht durchbrochen.
Die Stereotype sind die zweite große Hürde. Das sind unbewusste Erwartungen und Verhaltensweisen, die einer bestimmten Gruppe zugeordnet werden und die nur aufgrund von vermeintlicher Erfahrung oder durch eine in unserer Sozialisation immer wieder wiederholte Weltsicht entstanden sind. Rational begründbar sind sie oft nicht. Trotzdem sind sie schwer auszumerzen. In der Medienlandschaft zeigen sie sich, wenn bestimmte Begriffe ständig zusammen gedacht werden, etwa „Politik und Männer“, „Mode und Frauen“ oder „Frauen und Gedöns“. Friedfertigkeit, Genügsamkeit und Zurückhaltung gelten als typisch weiblich und sind im Verhalten von Frauen deutlich häufiger zu finden als bei Männern. In einer US-Studie konnte gezeigt werden, dass Frauen zudem Wettbewerb scheuen – Konkurrenz-Verhalten wird in Diskussionen nicht selten als „Stutenbissigkeit“ ausgelegt. Solche neuronalen Verknüpfungen sind nur mit viel Mühe umzusortieren. Es ist Gewohnheit und Faulheit, die uns im Wege stehen.
Viele Vorbilder ändern die Wahrnehmung
Bündnisse können helfen, Stereotype auszuhebeln, indem sie das Bewusstsein der Frauen darauf lenken, was die eigenen Stärken sind. Indem sie Best Practices an die Oberfläche bringen. Mit Vorbildern vernetzen. Eine einzelne Frau im Männer-Reigen reicht nicht – sie würde als „Ausnahme“ klassifiziert. Viele müssen es sein. Diese Regel führt zurück zur Situation der einzelnen Piratin im Berliner Abgeordnetenhaus. Sie ist alleine. Sie ist die Ausnahme schlechthin. Es wird für sie wichtig sein, Frauenbündnisse zu schließen: Mit anderen Piratinnen, aber auch über Parteigrenzen hinaus. Denn die Vorbilder und Best Practices wird sie bei den Piraten nicht finden. Ein Blick in parteigrüne Strukturen könnte helfen. Doch an dieser Stelle wird ein wunder Punkt von Bündnissen sichtbar: Jedes einzelne Mitglied muss sich zu einem notwendigen Grad mit ihnen identifizieren können. Das wiederum hängt vom Ziel und den Zwecken des Bündnisses ab. Es ist leicht für eine Gruppe deutscher Bloggerinnen, sich mit dem Ziel der Sichtbarkeit zu vernetzen. Eine thematische Vielfalt ist dabei möglich. Was aber könnte das Ziel eines Bündnisses sein, das sich mit der weiblichen Minderheit in der Piratenpartei vernetzt? Je offener es formuliert wird, desto größer sind die Chancen, dass es Erfolg haben wird. Politische Präsenz von Frauen in allen Parteien sollte ein Ziel sein, dem sich viele anschließen können sollten. Ob dies nun in einem Mentoring-Programm einer erfahrenen grünen Abgeordneten für Susanne Graf aufgeht, ist überaus fraglich. Denn die politischen Identitäten sind vermutlich recht verschieden.
Ein Bündnis für mehr politische Präsenz von Frauen in allen Parteien wird sich mit vielen Fragen und Themen befassen, eines der obersten ist die Frauenquote. In der Piraten-Partei lehnen gerade die Frauen diese vehement ab. Ein vorprogrammierter Streitpunkt. Verschiedenheit in solchen Detailfragen muss ausgehalten werden können. Offenheit für eine Vielzahl von Konzepten ist stets eine der Grundqualitäten von Bündnissen, egal welcher Art. Je breiter das Bündnis, desto offener müssen die Individuen sein. Das zeigt auch der Intergenerationen-Dialog von Feministinnen, wie er im Frühjahr zwischen den feministischen Zeitschriften Emma, Missy Magazine und der Initiative Frau Lila stattfand. Es wurde hinterher viel kritisiert, dass brisante Themen, wie die Einstellung zu Islam und Kopftuch, oder die Sichtweise auf Pornografie, nicht behandelt worden seien. Doch Bündnisse dienen oft einem anderen Zweck, als dem Austragen der kritischsten Kämpfe innerhalb der Gruppe: Sie wollen das Gemeinsame betonen und damit die einzelnen Parteien in ihnen stärken. Sei es der Dialog der Feminismen, sei es die Stärkung der Frauen in egal welcher Partei, sei es die Repräsentanz von Frauen in der Blogosphäre oder die Selbstbehauptung der Frauen in den Medien. Bündnisse betonen die Chance. Sie suchen den gemeinsamen Nenner. Bis zu dem Punkt, an dem sich die teilhabenden Individuen nicht zu sehr verbiegen müssen, ist das ein Gewinn für sie alle. Oftmals jedoch gibt es einen solchen Punkt. Ihn nicht zu ignorieren, sondern ihn wachsam wahrzunehmen und ein Bündnis daraufhin auch zu kündigen, ist die vielleicht schwerste, aber eine unausweichliche Kunst.
Katrin Rönicke lebt in Berlin und schreibt seit sechs Jahren vor allem in Internet-Medien und Blogs, wie der Mädchenmannschaft und der feministischen Fraueninitiative Frau Lila, sowie als Kolumnistin bei Der Freitag. Sie ist Mitglied des Frauenrats der Heinrich Böll Stiftung und studiert am Institut für Sozialwissenschaften in Berlin.