Ich möchte Teil einer sozialen Bewegung sein

von Stephan Höyng

Geschichte eines Konflikts
Als ich 1986 begann, mich mit dem Thema Männer zu befassen, verstanden in dieser kleinen, kaum so zu nennenden Männerbewegung eigentlich alle die Frauenbewegung und die Schwulenbewegung als Vordenker. Es wurde darum gestritten, ob die Herrschaftsverhältnisse durch Kapitalismus oder Partriarchat bestimmt waren. Die bewegten Männer befassten sich in Absetzung von Politfreaks mit Themen wie Sexualität und Partnerschaft, was ihnen oft als Bauchnabelperspektive vorgeworfen wurde. Gruppen wie das Göttinger Männerbüro suchten zu Beginn der neunziger Jahre vor dem Hintergrund von Robert Blys Buch „Eisenhans“ den verloren geglaubten Kern ihrer Männlichkeit zurückzugewinnen – und konnten dies ganz traditionell nur in Absetzung von Frauen und allem als weiblich wahrgenommenen. Mir schien damals, so mancher dieser Mythopoeten hatte sich zuweit mit feministischen Frauen und Forderungen identifiziert und musste nun dagegen steuern mit tief im Inneren erkundeter traditioneller Männlichkeit. Mit Dissens e.V. waren wir zunächst die einzigen, die Männer und Beruf thematisierten. Wir sprachen davon, dass Männer in dieser Gesellschaftsordnung einen hohen Nutzen haben, aber dafür auch einen individuell verschiedenen Preis zahlen. Schnack/Neutzling konnten 1990 diesen Preis in ihren Buch „Kleinen Helden in Not“ für Jungen benennen, und dies war grundlegend für eine parteiliche soziale Arbeit mit Jungen, die im Übrigen gut mit parteilicher Mädchenarbeit harmonierte.

Betroffenheit von einer gesellschaftlichen Veränderung
Die Frauenbewegung setzt sich sehr stark für die Gleichstellung von Frauen im Beruf ein. Es sind jedoch kaum Klagen von Männern zu hören, die sich sorgen, beruflich gegenüber Frauen zu verlieren.
Vor den Zeiten der Frauenbewegung entsprach es dem normalen Rollenbild, wenn Väter nach Trennungen kaum Kontakt zu ihren Kindern hielten, wenn sie darunter litten, sprachen sie nicht darüber. Es war eine Forderung der Frauenbewegung, dass Väter sich mehr um ihre Kinder kümmern sollten.
Heute möchten aktive Väter bei den zunehmenden Trennungen die Beziehung zu ihren Kindern erhalten. Mit Partnerinnen und Familiengerichten haben viele Männer verletzende persönliche Erfahrungen gemacht und Benachteiligung erfahren. Mitte der Neunziger führte ich die ersten Gespräche, in denen Männer für sich reklamierten, die eigentlich Benachteiligten im Geschlechterverhältnis zu sein.
Ich erkläre mir das so, dass diese Männer von ihren Erfahrungen so belastet sind, dass sie gar keine anderen Themen mehr wahrnehmen können. Sie verallgemeinern damit das eigene leidvoll erfahrene Thema so sehr, dass es in kein Verhältnis gesetzt werden kann zu anderen, der eigenen Erfahrung widersprechenden Geschlechterverhältnissen. Sie können eine soziale Bewegung wie die Frauenbewegung in ihren vielfältigen Wirkungen, die auch durch wirtschaftliche Entwicklungen bedingt sind, nicht einordnen.

Sie möchten Teil einer Bewegung sein
Inzwischen sind Väterrechtler zu Männerrechtlern und in den Medien zu Meinungsführern geworden. Männer nehmen für sich in Anspruch, die eigentlich Benachteiligten, die Opfer zu sein. Damit können sie das Gefühl gewinnen, gegen das Establishment zu kämpfen und Teil einer Bewegung zu sein, die sozialen Widerstand leistet. Das stärkt in der belastenden Lage das Selbstwertgefühl, führt aber auch zu Überhöhungen und Verallgemeinerungen.

Frauen und Feminismus als Gegner
Es fällt mir schwer nachzuvollziehen, warum nun ausgerechnet „der Feminismus“ als feste Instanz gesehen und zum Gegner, zum zu bekämpfenden Establishment wird. Sind die Frauen, die sich von ihren Partnern trennen, so häufig Feministinnen? Nur die wenigsten würden sich so bezeichnen. Frauen mit feministischem Bezug lassen sich inzwischen in einigen sozialpolitischen Verwaltungen an wichtigen Stellen finden, als das bestimmende Establishment kann ich sie weder für Familienpolitik noch für irgendein Politikfeld wahrnehmen. Männerrechtler überhöhen die Macht von Frauen. Sicher gibt es neben Frauen, die Männer in sozialen Bereichen fördern, auch Frauen, die Macht im familiären Bereich nicht gerne abgeben. Sicher gibt es Frauen, die nicht wahrhaben wollen, dass es noch andere im Geschlechterverhältnis Benachteiligte gibt. Doch wie kann man die Männer nicht sehen, die aktiver Vaterschaft im Weg stehen? Wer über das Politikfeld Familie schaut, Führungsmänner in Unternehmen, die wenig Zeit für Kinder lassen, sieht männliche Familienrichter, die meinen, Kinder gehörten immer zu ihren Müttern. Solche Männer vertreten ein patriarchales Verständnis von Männern und Frauen, das Familien in ihrer Entfaltung einschränkt. Es fehlt eine Analyse der Gesellschaftsordnung, die dann reformiert werden soll.
Da wird versucht, Äußerungen von Biologen zur Erziehung von Kindern als Bestätigung für die Benachteiligung von Jungen zu nutzen. Für den Bereich der Sozialwissenschaften können Männerrechtler wirklich zu recht sagen, dass man an feministischen Bezügen nicht mehr vorbei kommt. Aber die aktuell wichtigste Theorielinie infolge des Feminismus, der Dekonstruktivismus, ist keine vorherrschende Meinung, die gesellschaftliche Gestaltungsmacht hat. Sozialwissenschaft hat viel zu wenig Einfluss auf Politik und Wirtschaft und Medien.

Doch das Feindbild des machtvollen Feminismus wird von Männerrechtlern mit aller Kraft bekämpft. Wer Gruppen von Menschen pauschal abwertet, entzieht sich damit einer Vernetzung mit sozialen Bewegungen, kann sich mit anderen sozialen Diskursen nicht verbinden, ist nicht Teil einer sozialen Bewegung. Auch feministische Gruppen werteten in den Anfängen des Feminismus Männer pauschal ab. Aber schon längst geht es um das Gegenteil: Die Vielfalt von Menschen ist im Mittelpunkt feministischer Theorie und Praxis, und aufgrund ihres Geschlechts Ausgegrenzte und Abgewertete erfahren viel Solidarität solange sie sich nicht selber ausgrenzend verhalten.

Kampf um Gelder
Mit ihren Provokationen einen hohen Neuigkeitswert in den Medien zu haben, ist ein Vorteil der abwertenden Haltung von Männerrechtlern. Sie können dann zutreffend noch eine Benachteiligung ausmachen: ihre Projekte erhalten tatsächlich kaum öffentliche Gelder. Und dies ganz zu recht, denn Initiativen mit ausgrenzenden Menschenbildern sollten keine öffentlichen Finanzen erhalten. Ist der Kampf um Gelder ein Grund für die Gegnerschaft zu Mädchen und Frauenarbeit? Ich fürchte die mittelständischen Männer, die sich genauso betroffen sehen wie sozial randständigen Jungen, wenn sie aus einer Bildungskatastrophe eine Jungenkatastrophe und aus Sorgerechtsverweigerungen ein Feminat machen, unter dem angeblich alle Männer leiden. Dabei hätten Männer und Frauen mehr Chancen, mehr Geld für geschlechterbewusste soziale Arbeit zu fordern, wenn sie gemeinsam vorgingen.

Solidarische Haltung nicht aufgeben
Gleichstellung eröffnet mir eine Perspektive, mit der ich analytisch alle sozialen Vorgänge betrachten kann. Ich brauche anderen nicht ihr Leid abzusprechen, ich sehe vielmehr Verbindungen und Gemeinsamkeiten. Es gibt Erklärungen, die nicht den nächstliegenden zum Schuldigen erklären, sondern Verbindung zu anderen sozialen Bewegungen eröffnen. Geschlechterverhältnisse können eine weitere Perspektive auf Rassismus und Umweltzerstörung geben.
Die Geschlechterforschung ist trotz der Provokationen aufgefordert, die zuhauf dokumentierten Benachteiligungserfahrungen von Männern im familienrechtlichem Bereich zum Ausgangspunkt für eine Ergänzung ihrer Perspektiven zu nehmen. Es gibt bei Männern und Jungen Benachteiligung aufgrund ihres Geschlechts. Es ist ein feministischer Grundgedanke, Betroffenen mit wissenschaftlicher Forschung eine Stimme zu geben. Parteilichkeit auch für diese Jungen und Männer kann und darf aber nicht zurück zu den Generalisierungen führen, die in der Anfangszeit der Politisierung der Geschlechterverhältnisse auftauchten. Es geht nicht mehr um „die“ Jungen oder „die“ Männer. Soziologisch lassen sich bestimmte Gruppen zusammenfassen, die bestimmte Probleme und Benachteiligungen erleiden. Die kann und muss man aber auch präzise benennen. Um ihnen zu helfen, sollte man den Blick weiten und die Ressourcen der Männer einfordern, die in unserer Gesellschaft immer noch große Gewinne einfahren.

Prof. Dr. Stephan Höyng lebt mit seiner Familie in Berlin und unterrichtet dort Jungen- und Männerarbeit an der Katholischen Hochschule für Sozialwesen. Als Mitbegründer von Dissens e.V. befasst er sich seit über 20 Jahren mit dem Verhältnis verschiedener Männlichkeiten zu Erwerbsarbeit und fürsorglichem Verhalten. Er hat ein europäisches Forschungsprojekt zu Männlichkeiten in einer sich verändernden Arbeitswelt geleitet. Gegenwärtig befasst er sich mit Männern in der frühkindlichen Erziehung.