Männerrechtler ernst nehmen und handeln

von Katrin Rönicke

Männer haben es sehr schwer. Und der Feminismus geht langsam zu weit. So könnte man knapp und kurz die Aussagen diverser Männer-Rechtsgruppen und -vereine zusammenfassen, die mehr und mehr ihre Perspektiven auf die Geschlechter-Konflikte in den öffentlichen Medien zu platzieren wissen. Auch im feministischen Blog maedchenmannschaft.net treten die Männerstimmen, die dem Feminismus Männerfeindlichkeit unterstellen, seit Anfang an immer wieder lauthals zutage. Als ich im Jahr 2008 anfing, dort mit zu schreiben und zu bloggen, wusste ich anfangs nicht ganz genau, wie ich mit diesen Menschen umgehen sollte. Als Studentin der Pädagogik und mit einem eher positiven Menschenbild ausgestattet, war und ist es mir prinzipiell stets ein Anliegen, zunächst alle Menschen und ihre Sorgen ernst zu nehmen. Auch wenn andere Blogger_innen das anders sehen, so hat sich für mich an dieser Grundüberzeugung bis heute nichts geändert: Die Männerrechtler sollten ernst genommen werden. Die von ihnen aufgeworfene Kritik am Feminismus ebenso. Sie sollte in die tägliche Arbeit von feministischen Politiker_innen und von Meinungsmacher_innen eingebunden werden – so gut das eben geht, ohne die eigenen Ziele zu verlassen. Ich finde es grundsätzlich mehr als schwierig, an andere die Erwartung zu richten ernst genommen zu werden, wenn ich selbst nicht ernst nehme. Wer die Probleme heutiger Jungen, die in der Tat auf den ersten Blick in unserem Bildungssystem strukturell benachteiligt werden, klein redet und wer nicht erkennt, dass es menschenrechtswidrig ist, wenn Vätern ohne triftige Gründe der Umgang mit ihren Kindern verwehrt wird – beides Hauptthemen heutiger Männerrechtler – der kann von anderen nicht erwarten, dass sie sich für die strukturelle Benachteiligung von Frauen in der heutigen Gesellschaft interessieren.
Das Grüne Männermanifest, das für viel Furore sorgte, geht daher absolut in die richtige Richtung. Es zeigt, dass es einen Feminismus geben kann, der nicht blind für die Belange von Männern ist.

Im Jahr 2000 veröffentlichten der Stern unter dem Aufmacher „Jungs – das schwache Geschlecht“ und zwei Jahre später der Spiegel mit dem Titel „Schlaue Mädchen, dumme Jungen“ als die ersten beiden großen Wochenzeitschriften Artikel mit der These, dass Jungen in der Schule von den Mädchen überholt würden. Diese These wird seither in den Medien stetig reproduziert, auch der Bundestag beschäftigte sich mit der „Verbesserung der Zukunftsperspektiven von Jungen“, wie eine kleine Anfrage der CDU-Fraktion im Jahre 2004 lautete. Und die seit 2009 amtierende Bundesfamilienministerin Kristina Schröder trat mit der Ankündigung an, endlich auch einmal eine gesonderte Jungen- und Männerpolitik machen zu wollen. Dabei gibt es gerade in Hinsicht auf die Bildungsbenachteiligung qua Geschlecht immer noch mehr offene Fragen als Antworten. Wie verstärkt das Schulsystem die missliche Lage der Geschlechter in der Schule? Wie verändern negative Verhaltens- und Leistungserwartungen das Selbstkonzept von Jungen und Mädchen? Wie kann ein Unterricht aussehen, der sich an den Interessen der Jungen orientiert, ohne aber die der Mädchen zu vernachlässigen und umgekehrt? Was könnte eine Reform des Schulsystems zur Veränderung der Lage von Jungen und Mädchen in den Schulen beitragen? Wie sollen Lehrer_innen in der Schule Geschlecht thematisieren, ohne es zu dramatisieren? Das sind die bildungspolitisch drängenden Fragen. Sie werden von den Journalisten und Autoren der medienwirksamen Panik-Artikel jedoch sehr selten gestellt. Und noch viel weniger beantwortet.

Stattdessen werden immer wieder die alten Rollen-Stereotype Jungen / Mädchen – Männer / Frauen ungefragt reproduziert. Jungen werden von den meist weiblichen Erzieher_innen zu sehr gebremst – heißt es da oft. Dass Mädchen und Jungen sich innerhalb ihrer eigenen Geschlechtsgruppen deutlich stärker in ihren Charaktereigenschaften und Verhaltensweisen unterscheiden als die Geschlechter sich unterscheiden, das wird bis heute von den meisten Journalisten und Politikern nicht berücksichtigt.
Auch Veranstaltungen wie der Männerkongress 2009 in Düsseldorf, die in ihrem Titel die Frage stellen, ob neue Männer sein müssen (oder nicht?) und wie Männer mit Gefühlen umgehen, zeigen nur, dass die Männer ratlos sind. Was für ein Bild von Männlichkeit soll man heute leben? Die starren Rollen sind teilweise aufgebrochen und wirken für viele nicht mehr lukrativ. Doch belohnt wird man als Mann doch immer noch, wenn man kämpferisch und rücksichtslos, aggressiv und hart ist – oder? Gibt es eine „testosterongesteuerte Natur“ des Mannes? Immer mehr Männer stellen diese hegemoniale Männlichkeit selbst in Frage. Sie wollen anders leben. Mehr Life, weniger Work zum Beispiel. Sie wollen ebenbürtige Frauen.

In der Wissenschaft nimmt die Frage nach der tatsächlichen Unterschiedlichkeit der Geschlechter Einzug. Die Gender Studies haben es sich auf die Fahne geschrieben, zu untersuchen, was konstruiert ist und was tatsächliche natürliche Unterschiede sind. Leider gelten Gender Studies bei vielen als typisches Fach von realitätsfernen Extremisten. Kaum ein Medium oder Politiker nimmt es wirklich ernst, was hier in harter wissenschaftlicher Auseinandersetzung herausgefunden wird. Zum Beispiel, dass viel stärker als bislang angenommen, die Sozialisation und nicht die Gene beeinflussen wie stark Kinder zu typischen Mädchen oder typischen Jungen werden. Die Studien dieser interdisziplinären Wissenschaft ernst zu nehmen und in der täglichen Politik zu berücksichtigen wäre ein erster wichtiger Schritt. Daraus folgen müssten eine neue Arbeitsteilung der Geschlechter in Politik, Wirtschaft, Familie und Sozialleben. Robert Habeck hat als prominenter Grüner Vater die Väterthematik in einer breiten Medienöffentlichkeit auf den Tisch gebracht. Walter Hollstein, der mit seinen Büchern „Geschlechterdemokratie“ und „was vom Manne übrig blieb“ . von Männerrechtlern und Feminist_innen gleichermaßen beachtet und respektiert, nimmt das Miteinander der Geschlechter in der Gesellschaft unter die Lupe – vor allem auch die Männer. Familienministerin Schröder liegt auch richtig mit ihrer grundsätzlichen Orientierung an den Belangen von modernen Männern. Das Problem ist leider, dass sie sonst für eine sehr konservative Politik steht. Progressive feministische Forderungen wie die nach einer Frauen-Quote in der Wirtschaft, sind ihr ein Graus. Auch sieht sie Frauen nach wie vor zuvorderst in der Mutter-Rolle denn in einer eigenständigen beruflichen Karriere. Doch sie und ihre Vorgängerin Ursula von der Leyen stehen dennoch für einen Paradigmenwechsel auch in konservativen Köpfen.

All diese Entwicklungen sind Anfänge. Anfänge, die auch dazu führen können, dass die ins Stocken geratene Frauenbewegung neuen Schwung aufnehmen kann. Denn seien wir ehrlich: Es ist immer noch mit sehr vielen Nachteilen verbunden, eine Frau zu sein – auch wenn darüber nicht mehr so viel geredet wird wie über arme Jungen. Und es ist gerade die fehlende Emanzipation der Männer, die uns einen nötigen Schub verpassen könnte. Vorausgesetzt, man schafft es die Debatte so zu führen, dass das eine nicht gegen das andere ausgespielt wird.

Katrin Rönicke ist Autorin des Freitag. Sie vertritt in der Redaktion der ‚Mädchenmannschaft‘ den sogenannten „Alphamädchen-Feminismus“. Eines ihrer Lieblingsthemen ist dabei die Rolle der Männer in der Geschlechterdemokratie. Katrin ist Stipendiatin der Heinrich-Böll-Stiftung und war jahrelang aktiv in der Grünen Jugend, zuletzt im Bundesvorstand.


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