Wer fühlt sich eigentlich von wem herausgefordert? Und wo bleibt die Gerechtigkeit? Versuch einer Provokation…

von Astrid Rothe-Beinlich

Wer fühlt sich eigentlich von wem herausgefordert? Und wo bleibt die Gerechtigkeit? Versuch einer Provokation…

Auf jeden Fall ist der Streitwert rund um die Geschlechterdebatte – zumindest in einigen Kreisen – hoch im Kurs; in unterschiedlichsten Ausprägungen.
Auch hier vielfach nachlesbar: akademische Diskurse, die oft abstrakt erscheinen und so vermutlich schon wieder viele außen vor lassen.
Zudem: Wirklich neu ist das ja auch alles nicht…

Doch was heißt Geschlechtergerechtigkeit eigentlich im täglichen Leben? Was ist denn der Streit wert – sprich: Welche Konsequenzen folgen auf so viel Erkenntnis? Und wo bitte bleibt die Gerechtigkeit?

Ich möchte mit meinem Beitrag bewusst provokante Fragen aufwerfen, die über den bildungsbürgerlichen Tellerrand hinaus auf Antworten warten, wenn es uns ernsthaft darum geht, die geschlechterpolitischen Verhältnisse zum Tanzen zu bringen.

Seit Jahrzehnten bereits erhalten Frauen für gleichwertige Arbeiten fast ein Viertel weniger Lohn, gibt es nach wie vor kaum Frauen in Führungspositionen, kommt Frau in Aufsichtsräten nicht vor, kümmert sich selbstverständlich überwiegend Frau um Kind, Haushalt und Pflege – und wenn es der grüne Bundesvorsitzende oder der grüne Oberbürgermeister Palmer für ein paar Wochen übernehmen, ist das gleich Dutzende Artikel wert (Das Klischee ist tot. Es lebe das Klischee…). Doch der große gesellschaftspolitische und geschlechterübergreifende Aufschrei über so viel Ungerechtigkeit bleibt aus.

An mangelndem Wissen und fehlender Statistik kann es kaum liegen. Auch der grüne Bundestagsabgeordnete Kai Gehring hat in seinem Beitrag die Problemfelder durchaus treffend beschrieben. Aber: Was folgt denn nun daraus?

Kehren wir die Lebensrealität doch einmal gedanklich um.
Stellen wir uns doch einfach mal vor, was wäre, wenn Männer auf dem Arbeitsmarkt und im gesellschaftlichen Leben benachteiligt würden. Was würden denn die Männermanifestautoren, die dankenswerter Weise keine Machos mehr sein wollen, sagen oder tun, wenn sie plötzlich 25 Prozent weniger Lohn erhielten, beim Bewerbungsgespräch zum gehobenen Management schon deshalb scheitern, weil sie Mann und potenzieller verantwortungsvoller Vater sind oder auf die Frage antworten, warum Mädchen die Bildungsverliererinnen an den Grundschulen sind, weil es dort vor männlichen Bezugspersonen nur so wimmelt?

Oder machen wir es mal an Funktionen fest: was wäre auch innerparteilich passiert, wenn mit der grünen Regierungsbeteiligung im Bund selbstverständlich nur Frauen die Ministerinnenposten besetzt hätten (als Ausgleich hätte es dann auch viele männliche Staatssekretäre gegeben) und wenn in Baden Württemberg selbstverständlich ein reines Frauenteam den Bündnisgrünen zu ungeahnten Höhenflügen im anstehenden Landtagswahlkampf verhülfe?

Ausgehend von der „alten“ Maxime, dass alle Menschen – gleich ihrer Herkunft, Religion, sexuellen Orientierung oder ihres Geschlechts – tatsächlich gleiche Chancen haben sollen, ist es aus meiner Sicht höchste Zeit für eine radikale Gerechtigkeitsdebatte, um Diskriminierungen endlich zu beenden – auch und gerade in der Geschlechterpolitik.

Dazu gehört dann auch der Streit um geeignete Instrumente. Die Quote ist da ja ein „Lieblingsobjekt“ des Streits, für die zu streiten sich ganz gewiss lohnt, da zwar bestimmt nicht charmant – aber einzigartig wirkungsvoll.

Greifen wir doch einfach das Gedankenspiel von vorhin noch einmal auf. Was würden wohl unsere selbsterklärten Feministen antworten, wenn sie dem Vorwurf ausgesetzt wären, dass sie nur wegen der Quote auf ihrem Platz säßen, großzügig vergessend, dass Millionen von Männern auf der ganzen Welt ihre Position nur deshalb innehaben, weil sie ein Mann sind?

Trotzdem kommt fast niemand auf den Gedanken, ihnen genau das vorzuwerfen, auch wenn Thomas Sattelberger das Dilemma erst jüngst in einem Interview mit der Frankfurter Rundschau wie folgt auf den Punkt brachte:

„Wenn man 15 Jahre zu einem Thema immer Lippenbekenntnisse hört, sich aber nichts verändert hat, dann wäre auf jedem anderen Feld Ordnungspolitik angesagt. (…) Man kann doch nicht davon ausgehen, dass eine Quote von 87 Prozent Männern bei der Telekom in Deutschland die Talentverteilung korrekt widerspiegelt.“ Wie wahr…
Die Studie des DIW aus dem Juli 2010 lässt Zahlen sprechen. Seit 2006 liegt der Frauenanteil bei Führungskräften in der Privatwirtschaft bei gerade mal 27 Prozent, obgleich mehr als die Hälfte der Angestellten weiblich sind. Sobald die Führungsfrauen jedoch Kinder haben, sinkt deren Beteiligung rapide, da sich, so heißt es in der Studie „die in Führungspositionen üblichen langen Wochenarbeitszeiten sich kaum mit Hausarbeit und Kindererziehung in Einklang bringen lassen“ (sic: hörthört…., wo sind da die aktiven Väter…) und weiter: „Im Schnitt übernehmen Männer in Führungspositionen nur 20 Prozent der Hausarbeit in der Partnerschaft“. Ist das gerecht?

Oder kommt jetzt der Verdacht, Frau wäre eigentlich lieber ein Mann?

Mitnichten. Und natürlich bin auch ich heilfroh, heute jungen Menschen zu begegnen, die selbstbewusst und reflektiert – egal ob Frau oder Mann – der Meinung sind, da gäbe es keine Unterschiede mehr, auch die Rollenzuschreibungen wären Schnee von gestern, der Kampf um Emanzipation sei längst gekämpft und Gleichberechtigung würde doch längst allerorten gelebt.

Auch mit unseren Töchtern führe ich solche Debatten um Einschätzungen wie, sie hätten doch gleiche Chancen und seien bislang keinen Benachteiligungen ausgesetzt. Gern würde ich ihnen die Illusion bewahren aber die Realität sieht gerade jenseits alternativer oder bildungsbürgerlicher Milieus für viele Frauen anders aus – spätestens wenn sie sich für eigene Kinder entscheiden.

Ich war und bin den Verfassern des grünen Männermanifests dankbar für ihr Papier. Ein Papier per se ist allerdings noch keine Herausforderung. Vielmehr stellt sich die Frage, was nun an praktischem Handeln folgen muss und welche Rolle der Politik dabei zukommt. Dieser Auseinandersetzung stelle auch ich mich gern. Allerdings gilt es dann, früher anzusetzen – sprich auch zu schauen, wann und wie und geprägt durch was und wen wird der Junge zum Mann und das Mädchen zur Frau. Fakt ist doch, dass schon in jüngsten Jahren Stereotype Konjunktur haben… Da brauchen sich Frau oder Mann nur mal lauschend auf einen Spielplatz setzen…

Die Modebranche für unsere Kleinsten boomt in trendigen Farben: Rosa leuchtende Kleidchen und dazu die passenden Lillifeebücher für das kleine Mädchen und himmelblaue Jeans mit Ritterschwert schon für den männlichen Säugling, auch das Spielzeug gibt’s im Spielwarenladen nach Geschlecht sortiert in unterschiedlichen Regalen… Im Kindergarten raufen die Jungs und spielen die Mädchen in der Puppenecke, begleitet von wohlwollenden Kommentaren, solange niemand aus der Rolle fällt…Und: Das Leben ist noch viel bunter. Denn hier sind wir noch längst nicht bei der Frage, wie wir beispielsweise mit Menschen umgehen wollen, die sich keinem einzelnen Geschlecht zuordnen lassen wollen. Auch das gehört zur Anerkennung von Lebensrealitäten und wird viel zu oft verdrängt.

Geschlechtersensible Erziehung und Genderkompetenz sind noch lange nicht selbstverständlicher Bestandteil in der ErzieherInnen- oder LehrerInnenausbildung. Es gibt kaum männliche Erzieher (und da noch weniger mit Genderkompetenz), obwohl hier jede und jeder weiß, dass die fehlenden Aufstiegschancen und die schlechte, teilweise unverschämt niedrige Bezahlung Hauptgründe für die Berufswahl sind. Gleiches gilt für Grundschullehrer – erst das Gymnasium lockt dann auch den männlichen Pädagogen.

Besonders deutlich wird die ungleiche Anerkennung auch im Fußball. Ja, es gab 2010 ein deutsches Sommermärchen. Die U20-Auswahl der Frauen holte sich den Weltmeisterschafts-Titel und bekam als Anerkennung immerhin schon etwas mehr als das vielzitierte Kaffeegeschirr, während die drittplatzierte Männermannschaft bei der Fußball-Weltmeisterschaft geschmückt mit Heldentiteln und voll ausfinanziert aus Südafrika zurückkehrte.

Doch was folgt aus all dem, wenn dieser Beitrag sich nicht nur einreihen will in weitere Zustandsbeschreibungen – gespickt mit der ein oder anderen bewusst überzogenen Provokation?

Ich wünsche mir, dass sich Männer wie Frauen tatsächlich herausgefordert fühlen, der Ungleichheit zu begegnen und für Gerechtigkeit zu streiten. Doch dafür braucht es konkrete Angebote und eine Auseinandersetzung auf Augenhöhe, die anerkennt, dass die Forderung nach „der Hälfte der Macht“ nicht nur völlig legitim, sondern wesentliche Voraussetzung für das friedliche Miteinander der Geschlechter ist.

Astrid Rothe-Beinlich, Jahrgang 1973, lebt mit ihrer Tochter und ihrem Mann (drei Töchter) mit Hauptwohnsitz in Erfurt, wo 1987 ihr Engagement in der kirchlichen Umweltbewegung in der DDR begann. Nach mehreren politischen Stationen in Thüringen wurde sie 2006 zur Frauenpolittischen Sprecherin in den Bundesvorstand von Bündnis 90/Die Grünen gewählt. Seit 2009 ist sie Vize-Präsidentin des Thüringer Landtages und Parlamentarische Geschäftsführerin der Thüringer Landtagsfraktion von BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN.