von Volker Handke
Anmerkungen zu einer Scheindebatte
Die Auseinandersetzungen im Zusammenhang mit der Niersteiner Erklärung und den sogenannten Männerechtlern als Debatte zu bezeichnen, überschätzt die breite gesellschaftliche Aufmerksamkeit der Geschlechterfrage. Es scheint sich eher um eine hitzige Diskussion unter ExpertInnen und prominenten Akteuren eines erstarrten Genres zu handeln.
Interessant sind gleichwohl die heftigen Reaktionen auf einen vermeintlichen Tabubruch. Denn der „rechte“ Vorwurf zählt immerhin zu den schärfsten Diskursfiguren. Entsprechend laut sind Wunsch und Forderung, sich zu distanzieren. Der Begriff Männerrechtler erfährt dabei übrigens eine neue Deutung, denn eigentlich bezeichnet er das besondere Engagement für juristische Aspekte der Männerfrage insbesondere bei Sorge-, Umgang- und Scheidungsrecht.
Doch worin besteht eigentlich der Tabubruch? Als Vorwurf wird ein konservatives Familienbild, die Veröffentlichung in politisch nichtopportunen Postillen, Biologismen und last but not least der Feminat-Vorwurf ins Feld geführt.
Gerade Letzteres scheint die heftigsten Reaktionen hervorgerufen zu haben.
Es tut gut, für die Analyse den Blick zu weiten und den breiteren Kontext zu betrachten innerhalb dessen die Auseinandersetzung geführt wird. Im Folgenden soll daher auf einige grundlegende und aktuelle Entwicklungen der Geschlechterverhältnisse und ihrer Deutung hingewiesen werden.
• Zunächst ist es unzweifelhaft, dass die Männerfrage zunehmend in den Blick gerät. Denn mit wachsender Anerkennung der konstruktiven Verfasstheit der Kategorie Geschlecht, mit dem Bekenntnis zum Gendermainstreaming und der damit einher gehenden Fokussierung auf die Geschlechterverhältnisse ist erstmals der Mann als Subjekt im Geschlechterdiskurs aufgetaucht. Damit wurde die Einforderung oder zumindest Berücksichtigung einer männlichen Perspektive und männlicher Interessen legitim. Im Übrigen hat die feministische Theorieentwicklung damit die diskursive Notwendigkeit eines männlichen Subjektes mit geschaffen und die entsprechende Öffnung der Geschlechterfrage vorangetrieben.
• Die feministische Sichtweise auf die Geschlechterfrage ist gekennzeichnet durch die Beschränkung oder zumindest Konzentration auf die Interessen von Frauen. Diese “Einseitigkeit“ oder gar “Parteilichkeit“ ist der Vorstellung von einer männlichen Norm geschuldet, welche das Allgemeine okkupiert, Frauen daraus ausgrenzt und zur Abweichung und Subalternen macht. Daraus erwächst in der Tat die Notwendigkeit, eine ausgeblendete Sichtweise hinzuzufügen. Dieser additive Ansatz stößt jedoch an Grenzen wenn es darum gehen soll, die Geschlechterfrage als konstante Frage in allen Planungs- und Gestaltungsaktivitäten zu integrieren, was mit ein Grund war, Gender Mainstreaming als Leitbild zu entwickeln.
• Männer und Männlichkeit sind bisher nur als patriarchale Bedrohungsfolien vorhanden. Gemäß dem Paradigma vom Patriarchat und seiner Herrschaft, profitieren Männer einerseits von den bestehenden Geschlechterverhältnissen und genießen eine partiarchale Dividende, andererseits sind sie als Geschlecht unsichtbar und nur als das normgebende Allgemeine vorhanden.
• Allerdings ist die, als durchgängig postulierte, patriarchale Dividende in der Lebenswirklichkeit von Männern nur bedingt zu beobachten und keineswegs durchgängig anzutreffen. Vielmehr halten die bestehenden Geschlechterverhältnisse für Männer handfeste Nachteile bereit. Quasi als kumulierte Wahrheitsinstanz dieser Behauptung, kann die geringere Lebenserwartung von Männern gelten. Doch selbst dieser mächtige empirische Befund kann nichts gegen die normative Wirkung der Partiarchatsthese ausrichten und daher ist es selbstverschuldet, wenn sich Männer lebensverkürzend verhalten. Diese Resistenz gegen die Adaption von empirischen Befunden, ist auch bei anderen Themen wie häusliche Gewalt, Krankheit, Arbeitslosigkeit, Suizid, Obdachlosigkeit etc. anzutreffen und ist in soweit als Wiederholungsmuster verständlich, als nicht sein kann, was nicht sein darf. Was allerdings bei der Lebenserwartung kumuliert, ist das Desiderat einer ganzen Reihe von Einzelursachen, die Folgen der tatsächlichen Lebenswirklichkeiten von Männern sind. Angefangen von der physisch wie psychisch prekären Männergesundheit über gering entlohnte, gefährliche und gesundheitsschädigende Erwerbsarbeit, Militär und Gewalterfahrung bis hin zur familiären Bindung, der Bildung und der Sexualität. Allein in diesen Feldern halten die bestehenden Geschlechterverhältnisse für Männer eher Benachteiligungen anstatt patriarchaler Dividenden bereit.
• Anhand der Deutung der Beziehung von Erwerbs- und Versorgungsarbeit lässt sich eine weitere normative Wirkung der Patriarchatsparadigma besichtigen. Die Neuregelung der Aufteilung von Erwerbs- und Versorgungsarbeit zählt eigentlich zum Kernbestandteil fortschrittlicher Geschlechterverhältnisse. Allerdings wird dabei davon ausgegangen, dass Frauen in die Erwerbsarbeit wollen und nicht können, während Männer sehr wohl in die Versorgungsarbeit könnten aber eben nicht wollen. Dabei ist es durchaus nachvollziehbar, wenn Frauen männliche Muster von Erwerbsarbeit nicht einfach übernehmen, und dass die Abgabe von Versorgungsverantwortung auch Machtverlust bedeutet.
• Dazu kommt der radikale Wandel der Männlichkeiten und ihrer Bilder. Männlichkeit ist zertrümmert worden in widersprüchliche Einzelteile. Traditionelle Angebote sind schädlich und entsprechen nicht mehr den heutigen Anforderungen und moderne sind erst skizzenhaft erkennbar und bieten erst langsam Orientierung. Dabei erfolgt gleichzeitig eine rüde, männerfeindliche Dekonstruktion von Männlichkeiten sowie eine pauschale Beschuldigung für die bestehenden Geschlechterverhältnisse verantwortlich und ihr Nutznießer zu sein.
Die wachsende Einsicht in die Notwendigkeit, Männern eine eigene geschlechtsspezifische Interessensvertretung einzuräumen, kann als Beginn einer post-feministischen Entwicklung gedeutet werden. Der frauenspezifische Blick des Feminismus wird ergänzt durch eine männerspezifische Perspektive. Das ist im Übrigen nur in soweit anti-feministisch, als der Alleinvertretungsanspruch der Frauen in der Geschlechterfrage aufgekündigt wird. Daraus erwächst zum einen die Chance von den Erfahrungen der Frauenbewegung zu profitieren und hinsichtlich der Schaffung von Definitionsmacht, Interessenvertretung, Körperlichkeit und direkte po-litische Aktionen sowie Institutionalisierung zu lernen. Andererseits werden die bisherigen Erkenntnisse der Geschlechterforschung sowie der Deutungen der Geschlechterverhältnisse ebenfalls um eine männliche Perspektive ergänzt und dabei gegebenenfalls korrigiert und weiterentwickelt werden.
Vor diesem Hintergrund erscheint es daher nur logisch, wenn mit wachsender Bedeutung einer explizit männlichen Sichtweise, ein verstärktes Ringen um inhaltliche Positionen beginnt. Wir werden also Zeuge einer politischen Assimilierung der Männerfrage und ihrer parteipolitischen Interpretation. Während das grüne Männermanifest zwar die wichtigsten männerpolitischen Handlungsfelder benennt und auch auf den konstruktiven Charakter von Männlichkeiten verweist, bekennt es sich zum Feminismus und kann daher nicht glaubwürdig und selbstbestimmt eine eigene unabhängige Position entwickeln. Im Gegensatz dazu distanziert sich die Niersteiner Erklärung deutlich vom Feminismus und macht ihn sogar ursächlich verantwortlich für eine generelle und durchgängige Benachteiligung von Männern. Diese Umdrehung der bisherigen Sichtweise hat wohl den heftigsten Widerspruch hervorgerufen. Nicht zu letzt, weil dies die bequeme Entledigung der eigenen Verantwortung ermöglicht.
Allerdings treten beide Positionierungen an, die sichtbar gewordene diskursive Leerstelle „Mann“ zu füllen. Die Provokation der sogenannten Männerrechtler funktioniert auch deshalb so gut, weil sie auf offensichtliche blinde Flecken im Geschlechterdiskurs verweist und diese Offensichtlichkeit macht die Entdeckung des benachteiligten Mann auch zu einem skandalisierbaren Thema für die Massenmedien.
Zusammengefasst handelt es sich also um eine Konjunktur der Positionsbestimmungen mit dem Ziel, bei der anstehenden post-feministischen Deutung der Geschlechterverhältnisse Einfluss zu gewinnen. Es locken Posten, Ressourcen, politisches Gehör und Gestaltungsmacht.
Dass die Geschlechterverhältnisse neue Deutungen erfahren, ist ein notweniger Entwicklungsschritt und auch überfällig. Dabei scheinen zwei Entwicklungslinien im Mittelpunkt zu stehen: Die systematische Berücksichtigung einer eigenen männlichen Perspektive und der Abschied von der Durchgängigkeit der weiblichen Diskriminierung und der männlichen Privilegierung. Daher wird stärker situativ und kontextabhängig auf geschlechtsspezifische Benachteiligungen sowie ungleiche Rollenzuweisungen zu achten sein. Der pauschale Hinweis auf die patriarchalen Machtverhältnisse wird dann als letzte Instanz nicht mehr ausreichen.
Eine zukünftige Herausforderung dürfte der intersektionale Ansatz darstellen. Dem zu Folge werden dem Geschlecht weitere Kategorien wie Ethnie, sexuelle Orientierung, religiöse Zugehörigkeit, u.a. zur Seite gestellt, um auf spezifische Benachteiligungen hinzuweisen. Dabei läuft der Mann mit seinen Männlichkeiten Gefahr, seine gerade neu entdeckte Identität als geschlechtliches Wesen wieder zu verlieren.
Spannend bleibt das Verhältnis zum Feminismus und seinen vielfältigen Strömungen. Als konstruktiv könnte sich ein vertiefter Austausch in Form von themenzentrierten Genderdialogen erweisen. Bisherige Erfahrungen zeigen jedoch, dass dies ein mühsames Unterfangen ist. Denn bei der Überprüfung der bisherigen Praxen wird von den bisherigen ProtagonistInnen die Einsicht in die Notwendigkeit der Veränderung abverlangt. Währendessen darf die bisherige Ignoranz und die offene Männerfeindlichkeit nicht zum Anlass genommen werden, die Notwendigkeit und die Legitimität einer feministischen Perspektive zu leugnen.
Ein hilfreicher Anfang wäre es vielleicht, sich zur gemeinsamen Verantwortung von Frauen und Männern für die bisherigen und die zukünftigen Geschlechterverhältnisse zu bekennen.
Volker Handke, geboren 1962 in Kiel, Vater zweier Kinder, handwerkliche Ausbildung in der Bauindustrie, Studium technischer Umweltschutz und wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Energietechnik an der TU-Berlin. Dort widmete er sich dem betrieblichen Umweltschutz, den erneuerbaren Energien und der Reform der Ingenieursausbildung. Seit 2000 ist er als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Zukunftsstudien und Technologiebewertung in der Nachhaltigkeitsforschung in den Bereichen „Energie, Klimaschutz und Luftreinhaltung“ sowie „Nachhaltiges Wirtschaften“ tätig. Seine jüngsten Arbeiten galten der nachhaltigen Ressourcenbewirtschaftung, dem Carpooling, der Elektromobilität und der Technikakzeptanz. Nebenbei engagiert er sich im Forum Männer in Theorie und Praxis der Geschlechterverhältnisse.