von Elahe Haschemi Yekani
Männer-Trouble und privilegierte Krisen
Es ist interessant zu beobachten, dass der Diskurs um die Probleme junger Männer, die in der Tat ernst genommen werden müssen, sehr schnell auf fehlende männliche Vorbilder, Instabilität der Geschlechterrollen und Verunsicherung in Zeiten neoliberaler Marktregimes rekurriert. Dabei zeigt Sebastian Scheele in dieser Debatte ganz richtig, dass es wenig bringt, diese Konfliktfelder, erstens, zu personalisieren und ausschließlich unter der Rubrik Befindlichkeiten zu diskutieren und, zweitens, dass viele der auch im Männermanifest der Grünen Männer geäußerten Vorstellungen keineswegs neu sind. Es muss also durchaus wundern, warum immer wieder oder immer noch die Debatten um die „Bedrohung“ von herkömmlichen Vorstellungen von Männlichkeit – gerne werden „die Feministinnen“ hierfür als Schuldige herangezogen – so viel mediale Aufmerksamkeit auf sich ziehen können.
Statt also Männer und Männlichkeit als bedrohtes Gut zu charakterisieren, gilt es zu erkennen, dass engstirnige Konzeptionen von Männlichkeit nicht nur Frauen das Leben schwer machen; auch Männer sind hiervon betroffen. Es ist nicht „das Gerede um Gender“, das Männern das Leben erschwert, es ist eher noch viel zu wenig Einsicht in das Gemachte von Geschlecht vorhanden in diesen Diskussionen. Männlichkeit ist nicht einfach schon da und viel zu oft mischen sich Vorstellungen jener, die auf ein „urmännliches“ Verhalten abzielen, mit denen, die von Geschlechterdemokratie reden. Das ist gerade dann der Fall, wenn auf beiden Seiten Männlichkeit als Gegebenes (im Singular) begriffen wird.
Jungenarbeit darf nicht nur darauf basieren, Angebote speziell auf „Jungen“ zuzuschneiden oder positive Rollenbilder anzubieten, sondern muss auch die Konstruktion von Männlichkeitsidealen im Blick haben und diese sind ja keineswegs ahistorisch oder unwandelbar. Von Rollen haben sich die Gender Studies dabei schon länger verabschiedet, suggerieren diese doch stabile Geschlechter, für die wir nur noch „rollengerechte“ Angebote schmieden müssen. Es geht in dieser Debatte einerseits vieles durcheinander: Jungen, Geschlecht, Männer und Feminismus. Andererseits ist sie noch immer nicht komplex genug, weil sie Überschneidungen von Geschlecht mit anderen strukturellen Benachteiligungen nicht genügend berücksichtigt. Die Verunsicherung aber scheint allerorten groß und viele fürchten gar das Ende der Welt, wenn ihnen das „natürliche“ Geschlecht abhanden kommt. Dabei bedeutet ein Verständnis von Geschlecht als konstruierter Kategorie eben ganz dezidiert nicht, dass Geschlecht (auch in seinen körperlichen Manifestationen) nicht real sei. Wir können uns unser Geschlecht nicht einfach wie unsere Kleider aussuchen und das ist auch der Grund, warum viele Heranwachsende aller Geschlechter genau in diesem Prozess sehr unterschiedliche Erfahrungen machen. Geschlecht ist aber eben nicht schon per se mit Bedeutung ausgestattet, sondern vielmehr wird ihm in (durchaus umkämpften) gesellschaftlichen Aushandlungsprozessen Bedeutung zugewiesen.
Schließlich sollte es doch darum gehen, eine Erweiterung von Handlungsoptionen für Jungen und Mädchen anzubieten und nicht darum, die Männlichkeit von Jungen zu retten, nur weil die Erwachsenen in ihren Identitäten verunsichert sind. Diese Erfahrungen haben mit unseren immer noch engstirnigen und für viele Menschen auch gewaltvollen Einengungen durch ein Zweigeschlechtermodell zu tun. Männlichkeit „gehört“ aber nicht nur Männern, wie Judith Halberstam schon 1998 überzeugend in dem Buch Female Masculinities argumentiert hat. Wir sind nicht einfach Geschlechter, wir machen diese und bestimmen damit auch, was Männlichkeiten und Weiblichkeiten bedeuten können. Nun einfach mehr positive männliche Rollenbilder zu fordern, hilft nur wenig und hier ist Sven Glawion zuzustimmen, wenn er das Männermanifest als zu zaghaft und aus der Zeit gefallen kritisiert. Wir müssen lernen, ein breiteres Spektrum unterschiedlicher Männlichkeiten sichtbar und lebbar zu machen. Die Grünen Feministen argumentieren in diesem Kontext daher ganz richtig, dass dies nicht ohne Rückbezug auf den Feminismus geht. Schließlich steht viel auf dem Spiel: Bildung und Gesundheit, die mehr und mehr an vermeintlich weibliche Attribute und soft skills wie Fürsorge und Verantwortung für sich und andere geknüpft werden.
Aber auch hier müssen wir in die skandalisierenden Diskussionen eingreifen, bei denen „die armen Jungen Bildungsverlierer sind“, die schnell anti-feministische Züge tragen können und die eben auch nicht interdependent genug auf Fragen von ethnischer Herkunft und klassenbedingter Bildungsferne eingehen. Wessen Krisen werden hier eigentlich privilegiert? Wer sind also diese Jungen und haben ihre Probleme ausschließlich mit Männlichkeit zu tun? Es wäre begrüßenswert, wenn diese Art der Mehrdimensionalität noch stärker Einzug in die Diskussionen der Grünen Männer finden würde. Und ist es nicht sonderbar, wenn sich auch eine gut situierte bürgerliche Männlichkeit auf einmal bedroht sieht und im Zweifelsfall dann im Namen der armen „Jungen mit Migrationshintergrund“ spricht, um mehr Raum für Männer und ihre Probleme einzufordern? Es sind ja gerade jene Männer, die inzwischen flexiblere Konzeptionen von Männlichkeit leben – also durchaus Fürsorge für sich und andere übernehmen können und wollen – die erfolgreich in neoliberalen Marktstrukturen funktionieren können, während jene, die den vermeintlich männlicheren Vorstellungen anhängen, sich damit schnell ins soziale Abseits katapultieren. Das Problem liegt also nicht nur darin, bestimmte Bedeutungszuweisungen zu irritieren, sondern auch für eine Kritik an der neoliberalen kapitalistischen Kooptation dieser Flexibilisierung offen zu sein. Jungen muss nicht nur nahegebracht werden, dass Männer auch für sich und andere sorgen können, sondern auch, dass es ein breites Spektrum von Männlichkeiten geben kann. Wir müssen aufhören, bestimmte männliche Krisen zu privilegieren und damit anfangen, Konzeptionen von Männlichkeiten (im Plural) lebbar zu machen.
Dr. des Elahe Haschemi Yekani ist Anglistin und arbeitet als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Anglistik/Amerikanistik an der Humboldt-Universität zu Berlin. Ihre Arbeits- und Forschungsschwerpunkte sind Gender und Queer Studies sowie Postkoloniale Theorie.