von Sven Glawion
Immergleiches, Wohlstandsprobleme und Gemeinplätze – wir brauchen eine gelassene und differenzierte Debatte um Männlichkeiten.
Feministische Theorie, emanzipatorische Politik und Männer- und Männlichkeitsforschung haben viel zur Verbesserung von Chancengleichheit und Geschlechterdemokratie zu bieten. Die Begleitmusik von Antifeministen sowie von „Grünen Feministen“ ist hingegen aus der Zeit gefallen.
Das Männermanifest der „Grünen Feministen“ – so die Selbstbezeichnung – wird in Online-Diskussionsforen auch als „Memmenmanifest“ bezeichnet. Die lauter werdende Väterbewegung provoziert sehr unterschiedliche politische Reaktionen. Kommentator/-innen wittern einen erstarkenden Antifeminismus, neue Feminismen oder männliche Nestbeschmutzer. Viel Lärm um nichts?
Wohlbekanntes und Immergleiches
Manche aktuelle Beiträge zur Lage der Nation, zum Beispiel einige der zahlreichen Artikel zu Jungen als Bildungsverlierer, erwecken tatsächlich den Eindruck, Feministinnen regierten die Republik und führten Jungen und Männer in die Knechtschaft. Gruppen mit einer Affinität zum Antifeminismus oder zur Männerbündelei – der Soziologe Michael Meuser spricht hier vom „Maskulinismus“ und von differenzorientierten „Mythopoeten“ – melden sich zu Wort. Dabei handelt es sich allerdings nicht um Massenbewegungen. Politisch einflussreicher sind die Väterrechtler, die oft gegen Feministinnen auftreten. Jenseits solcher Gruppierungen artikuliert sich in Internet-Foren und Verständigungsliteratur ein dumpfes und undifferenziertes Unbehagen mit der Gleichberechtigung, was von den Medien gerne bedient wird. Dass Talkshows und Boulevardpresse statt der Expertise von Männerforschern lieber polarisierende Emotionsausbrüche präsentieren, mag ärgerlich sein, hängt aber mit der Logik des Marktes zusammen.
Diesen diffusen und leicht paranoiden Ausfällen gegen feministisches Denken und emanzipatorischer Politik kann jedoch, so denke ich, mit Gelassenheit entgegengetreten werden, da sich hier letztendlich nur Wohlbekanntes und Immergleiches artikuliert. Von Otto Weiningers Ausführungen in „Geschlecht und Charakter“ über C.G. Jungs Artikel „Die Frau in Europa“ bis zu sexistischen Ausfällen selbst in linken Medien begleitete der Antifeminismus die Erste und Zweite Frauenbewegung und manche erkennen in dem aktuellen Gewimmel von Neokonservativen, populistischen Soziobiologen und Väterrechtlern das berechenbare antifeministische Pendant zu einer dritten feministischen Welle. Selbst Frauen mischen hier mit, was sich nicht zuletzt 2006 an der – kurzlebigen (!) – Kontroverse um Eva Hermans „Eva-Prinzip“ zeigte. Was diese Perspektiven durch die Jahrzehnte verbindet, ist oft der Gedanke einer Entfremdung, nach der sich sowohl Frauen als auch Männer durch feministische Egalitätsvorstellungen und Gleichberechtigung der Geschlechter von sich selbst entfernten. Männer und Frauen hätten demnach qua Natur unterschiedliche Fähigkeiten und Grenzen, bei einer Relativierung dieser vermeintlichen Konstanten drohe ein Geschlechterkampf, der den Mann psychisch kastriere.
Solche Fantasmen haben nicht nur eine Tendenz zum antidemokratischen Denken, sondern bieten kaum pragmatische Antworten für junge Menschen, die mit den Realitäten einer flexibilisierten Arbeitswelt konfrontiert sind. Sie haben außerdem nichts mit einem ausdifferenzierten, wandelbaren und politisch oft sehr konkreten Feminismus (von dem eher im Plural zu sprechen ist) zu tun, sondern basieren vielmehr auf Zerrbildern und Projektionen sowie auf verallgemeinerten Erfahrungen. Dass Männer gelegentlich schlechte Erfahrungen mit Frauen machen, ist (so wie der umgekehrte Fall) Alltag. Doch das rechtfertigt keinen Pauschalangriff gegen Feminismus und Gleichberechtigung. Es gibt auch keinen kausalen Zusammenhang zwischen eventueller rechtlicher Reformbedürftigkeit aus Väterperspektive und der Sehnsucht nach dem Patriarchat.
In einer pluralistischen Gesellschaft darf es aber auch Schmollecken für die Männer geben, die sich von Chefinnen, gesunder Ernährung und dem Handarbeitsunterricht ihrer Söhne in ihrem Innersten bedroht fühlen. Politisch gilt es jedoch, Demokratie zu gestalten und soziale Gerechtigkeit zu verwirklichen. Dafür hat die Vielfalt des Feminismus viel zu bieten – und zwar für alle.
Jammern auf hohem Niveau
Wie dürftig jedoch die diesbezüglichen Angebote der „Grünen Feministen“ ausfallen, ist irritierend. Ihr Manifest ähnelt in seinem Pathos und seiner Betroffenheitsrhetorik einem Flugblatt aus vergangenen Zeiten, inhaltlich wirkt es eher wie eine Vorbereitung für schwarz-grüne Koalitionsverträge. Die Kritik am Modell des männlichen Hauptverdieners, die Forderung nach einer geschlechtersensiblen Pädagogik, das Bedürfnis nach neuen Zeit- und Jobmodellen, welche die Vereinbarkeit von Familie und Beruf fördern – das alles sind sinnvolle Überlegungen, die allerdings nicht neu sind. So fallen die „Grünen Feministen“ weit hinter die aktuellen feministischen Theorien und Interventionen, die Männer- und Männlichkeitsforschung sowie hinter die Realitäten vieler Männer zurück.
Wenn die Autoren des Manifestes zum Beispiel die „Klimakrise, Finanz- und Wirtschaftskrise, Hunger- und Gerechtigkeitskrise“ als „männlich“ bezeichnen, dann artikulieren sie – da helfen auch die inkonsequent gesetzten Anführungszeichen nichts – eine simple und dualistische Vorstellung von männlichen Tätern und weiblichen Opfern, die in der feministischen Theorie weitestgehend ausgedient hat. Inkongruent wird diese dramatische Selbstanklage außerdem durch den Verweis, dass Männer doch auch ein bisschen Opfer seien. So sehen die Autoren – tief beleidigt – in dem vermeintlichen Fakt, dass Männer hier „nur selten eine Rolle“ spielten, einen „Makel“ (O-Ton) feministischer Diskurse. Männlichkeit ist demnach also etwas Grundböses, Feministinnen haben aber auch etwas Schuld – das ist wohl eher ein schwacher Beitrag für die sozialen, wirtschaftlichen und ökologischen Herausforderungen unserer Zeit.
Obwohl die „Grünen Feministen“ kritisieren, dass unsere Gesellschaft von einem „tief sitzenden Geist der geschlechtlichen Polarität durchflutet“ sei, gelingt es ihnen nicht einmal, männliche Identitäten als etwas Vielfältiges zu begreifen. So muss das Klischee des Machos herhalten, damit der vermeintlich bessere Mann etwas hat, wovon er sich abgrenzen kann. Das wirkt moralinsauer und missionarisch und wird Männer, die weder unter ihrem Job noch unter dem Windelwechseln leiden und in beidem keinen Widerspruch erkennen können, wahrscheinlich eher befremden. Auffällig einseitig sind auch die Forderungen, mit denen die „Grünen Feministen“ die destruktive Orientierung an Wachstum und Profit bekämpfen wollen, denn sie spiegeln überwiegend die Lebenswelten des Mittelstands. Schade eigentlich, dass Grüne daran erinnert werden müssen, dass nicht alle Männer an ihrer Karriere, sondern viele an deren Gegenteil leiden.
Gemeinplätze und Ausblendungen
Die Debatte um Jungen als Bildungsverlierer wird von verschiedensten männerpolitischen Strömungen aufgegriffen, so auch von den Autoren des Männermanifestes. Ihr Beitrag kommt ohne antifeministische Anspielungen aus, bleibt aber leider auch bei den üblichen Gemeinplätzen.
Es ist sicher wünschenswert, dass sich mehr junge Männer für einen sozialen Beruf entscheiden, trotzdem ist Mann-Sein noch keine Qualifikation und sind reine Frauenteams nicht defizitär. Der Psychologe Tim Rohrmann schreibt dazu: „Die Forderung nach mehr Männern in Kindertagesstätten reicht nicht aus. Es muss nach den besonderen Qualitäten gefragt werden, die diese Männer in ihre Arbeit und in die Beziehungen zu Jungen und Mädchen einbringen sollen“. Bei den „Grünen Feministen“ heißt das „geschlechtersensible Männer in klassischen Frauenberufen“ und bleibt schwammig.
Erzieher, die alle Jungen zum Fußball verdonnern, sich über Schwule lustig machen und Frauen die Bohrmaschine aus der Hand nehmen, sind nämlich keine Mangelware. Das scheinen die Autoren des Manifestes auch so zu sehen, gerade deshalb wäre es schön gewesen, wenn sie sich hier deutlicher von den Männern abgegrenzt hätten, die Erzieherinnen und Lehrerinnen als Bedrohung für ihre Söhne ansehen. Schließlich geht es doch um eine Erweiterung von Handlungsoptionen für Jungen und Mädchen und nicht darum, die Männlichkeit von Jungen zu retten, nur weil die Erwachsenen in ihren Identitäten verunsichert sind.
So positiv es ist, dass das Programm „Neue Wege für Jungs“ im Männermanifest Aufmerksamkeit bekommt, so problematisch ist es, dass auch hier die soziale Ungerechtigkeit des deutschen Bildungssystems aus dem Blick gerät. Entschieden zu skandalisieren, dass der mehrheitsdeutsche Lehrersohn die x-fach höheren Chancen hat, ein Abitur zu erwerben, als die Arbeitertochter mit Migrationshintergrund – das wäre auch Grüne Politik!
Antifeministen versus „Grüne Feministen“ – lohnt sich hier also eine Debatte? Sicher, aber mehr Gelassenheit, Differenzierung und Kontextualisierung wäre wünschenswert. Statt bei allerlei Wohlstandsleiden zu verharren, wären konkrete Ziele wünschenswert, die nicht nur die bürgerlichen Jungen und Männer umsorgen, sondern Chancengleichheit für alle schaffen. Feministische Theorie und Männer- und Männlichkeitsforschung können hier hilfreich sein.
Sven Glawion, geboren 1974, ist Germanist und Gender-Wissenschaftler. Er unterrichtet an einer evangelischen Fachschule für soziale Berufe und lehrt und publiziert zur deutschen Literatur sowie zur Männer- und Männlichkeitsforschung.