Wie wird Geschlechterdialog in der Geschlechterpolitik möglich?

von Ilse Lenz

Wie wird Geschlechterdialog in der Geschlechterpolitik möglich?

Der Streit in der Geschlechterpolitik lohnt sich, wenn
• individuelle Möglichkeiten für Frauen und Männer, für Jungen und Mädchen erweitert werden können,
• strukturelle Lösungen dafür entwickelt werden können
• und die Bündnisse für Gleichheit zunehmen.

Wichtig ist, das sich heute alle Seiten auf Gleichheit berufen und nicht nur auf das biologische Geschlecht: Gleichheit soll für Männer wie Frauen gelten (was eigentlich selbstverständlich ist). Darin stimmen die FeministInnen, die Männerbewegungen und die Mehrheit der Männerrechtler überein, auch wenn umstritten ist, was unter Gleichheit verstanden wird.

Ansonsten unterscheiden sich die Beteiligten sehr danach, wie sie das Geschlecht und Geschlechterbündnisse einschätzen. Unter Männern sehe ich drei Richtungen: Die queere oder konstruktivistische Strömung hinterfragt die duale Einordnung von Menschen in zwei einander entgegengesetzte Geschlechter und will mehr persönliche Freiräume erreichen. Sie hat sich auf die Kritik von Geschlechterbildern und –normen konzentriert und bisher weniger Ansätze für neue Strukturen vorgeschlagen. In dieser Richtung werden schon lange Geschlechterbündnisse zwischen unterschiedlichen Frauen und Männern angegangen und praktiziert.

Für die zweite, die strukturkritische Richtung kann das Grüne Männermanifest stehen. Die Autoren zeigen aus männlicher Sicht auf, wie und wo Männer durch Geschlechterungleichheit benachteiligt werden. Sie fordern konkrete Reformen und Schritte in wichtigen Bereichen, um Verbesserungen für Männer und Frauen zu erreichen. Ich sehe darin keine männliche Identitätspolitik, wie das in der Debatte manchmal behauptet wird, sondern Reformpolitik, die auf neue Strukturen und Modelle setzt. Geschlechterbündnisse werden von diesen Männern und vielen Frauen erhofft und auch gerade in der Grünen Partei schon lange umgesetzt.

Ich finde beide Perspektiven wichtig und sie können sich gegenseitig befruchten. Es leuchtet mir nicht ein, dass die queeren Ansätze hipper oder moderner sind als die strukturkritischen, wie das hier in einigen Beiträgen anklingt. In beiden Richtungen werden die Menschen nicht einseitig auf ihr Geschlecht festgelegt und es wird nach gemeinsamen Vorteilen für möglichst viele Menschen der Gleichheitspolitik gesucht.
Die dritte Richtung sind die Männerrechtler, die auch in sich unterschiedlich und nicht über einen Kamm zu scheren sind. Sie vertreten eine klare Identitätspolitik, nach der Männer sich als Männer zusammenschließen und nur ihre Interessen vertreten. Diese Identitätspolitik greift Problemlagen auf wie das Sorgerecht oder die Ungleichheit nach Geschlecht und Migration in der Bildung, die wichtig für die Gleichheitspolitik sind. Interessenpolitik für ein Geschlecht läuft aber auf eine Logik heraus, in der der Zugewinn für die Männer eine Einschränkung für Frauen heißen muss, oder, wie ein Beitrag in diesem Forum meint, „ich denke, es sollte in einigen Gebieten darum gehen, eine deutliche Einschränkung der Handlungsoptionen von Mädchen zu erreichen bei gleichzeitiger deutlicher Erweiterung der Handlungsoptionen von Jungen“. Warum müssen „die Mädchen“ eingeschränkt werden, wenn „die Jungen“ mehr Möglichkeiten haben sollen? Wo liegt der Vorteil für Jungen, wenn Mädchen (mit denen sie meist zusammenleben werden) weniger machen können? Sollen das dann die jungen Migrantinnen sein, bei denen das sowieso schon passiert, oder doch lieber die Mädchen der Mittelklasse als mögliche Konkurrentinnen? Wer darf dann wohl darüber bestimmen? Damit ist man bei einem Nullsummenspiel im Rahmen des Geschlechterkampfes angekommen, wo das Problem durch Wegnehmen und Mehrgeben gelöst wird. Über Strukturfragen wie ein gut finanziertes Schulsystem mit flexiblen Übergängen und individueller Förderung, in dem alle SchülerInnen, auch und gerade die Migrantenjungen gute Chancen haben, braucht man dann nicht mehr nachzudenken.

Beim maskulinistischen Teil der Männerechtler wird der Männerbund zusammengehalten durch Annahmen von einem männerhassenden Feminismus (mehr dazu unten), die wenig mit der Frauenbewegung zu tun haben, aber zur Abgrenzung und Mobilisierung eingesetzt werden. Um ein bisschen an dieser Grenze zu arbeiten: Die Männerhass-These geht an fast allen Schriften der Frauenbewegung vorbei. Angesichts dieser Werke, die inzwischen Bibliotheken umfassen, zitieren Maskulisten regelmässig ein einziges inzwischen mehr als vierzig Jahre altes Manifest aus den USA, das inhaltlich nirgends übernommen wurde, sowie einige Sätze der US-Radikalfeministin Mary Daly.

Einige Sätze aus der Gründungszeit der Neuen deutschen Frauenbewegung 1968: „Wir (wollen) über ein utopisches mann-frau verhältnis arbeiten […] “, „Um nach möglichen formen des zusammenlebens zu suchen, muss man den punkt finden, an dem eine verständigung zwischen mann und frau möglich ist, die nicht zu frustrationen, seelischen grausamkeiten, terror, unterdrückung der einen oder anderen seite führt.“ „Wir streben lebensbedingungen an, die das konkurrenzverhältnis zwischen mann und frau aufheben….“ Ich finde da viel Sehnsucht nach neuen Verhältnissen mit Männern, aber keinen Männerhass.
In der Folge haben Feministinnen in Bürgerbewegungen und Parteien und zuhause intensiv mit Männern diskutiert, sich ausgetauscht und gestritten. Die Geschlechterkonflikte sind dadurch offenbar geworden und dabei haben ganz unterschiedliche Frauen und Männer mitgemischt. Die Auseinandersetzungen wurden von Hoffnungen und deren Enttäuschungen, von Attraktionen und Zurückweisungen und von vielen Ambivalenzen geprägt. Daraus einen grundlegenden Männerhass oder einen Opferfeminismus zu machen, ist uninformiert oder einseitig. Die jüngeren queeren Menschen können lockerer damit umgehen. Indem sie das Geschlecht ironisch brechen, weder Mannsein noch Frausein hochjubeln, haben sie mehr Distanz und Spielräume.
Schließlich konnten Feministinnen in demokratischen Verfahren, in denen sie als Minderheit in der Politik eine Mehrheit von Männern überzeugen konnten, einige gleichheitliche Anliegen durchbringen. Aus dieser Beteiligung in der Politik machen Maskulinisten eine Femokratie, in der der Feminismus herrsche. Bereits die Beteiligung von Frauen wird in dieser Logik als Benachteiligung von Männern ausgelegt. Das entspricht der Vorstellung vom Geschlechterkampf als Interessenpolitik jeweils eines Geschlechts und als Nullsummenspiel − statt eines Dialogs zur Verwirklichung von Gleichheit für alle.
Dennoch sind die Konflikte, die Konfrontationen und Starrheiten noch Teil des Gepäcks. Ein Streit-Wert wäre, sie anzusprechen und damit im guten Sinne aufzuräumen, sie zu bearbeiten, zu verstehen und aus den verschiedenen Positionen neue Ideen zu gewinnen.

Im Grunde geht es darum, die Folgewirkungen der großen Gleichheitsbewegungen ab 1970 wie der Frauen-, der Arbeiter-, der Antirassismus- und der Bildungsbewegungen aufzuarbeiten und neu anzusetzen. Wie ist die neue Gleichheit zu finden, wenn die alte Ungleichheit nicht mehr selbstverständlich ist? Der Streit tobt besonders heftig in Bereichen, in denen die vorige Geschlechterungleichheit zugunsten von Frauen etwas verschoben oder verändert wurde, in denen aber neue Vorbilder und Modelle für Gleichheit fehlen. Dazu gehören der Wehrdienst, das Sorgerecht bei ledigen Mütter/Vätern und die Bildungschancen von Jungen. Aber deswegen dürfen andere fortbestehende Ungleichheiten nicht vergessen werden wie die Lohndiskrepanz, die fehlende Anerkennung der Sorgearbeit und die Ausgrenzung der Frauen aus wirtschaftlichen Führungspositionen.

Der Wehrdienst war lange ein Privileg der männlichen Bürger: Das Männerwahlrecht wurde vor allem damit begründet. Frauen hatten demgegenüber die Aufgabe, Kinder für die Nation zu gebären. Nachdem sie nun in der Bundeswehr wie in vielen anderen Armeen zugelassen sind, sind diese Geschlechternormen rasch zerfallen. Die Frauenbewegung hatte sich mehrheitlich für ein Rückführung oder Abschaffung der Armeen ausgesprochen, während Alice Schwarzer „Frauen in die Bundeswehr!„ forderte. Zur „Jungenfrage in der Bildung“ haben sich Sabine Hark, Elahe Haschemi Yekani und Andreas Krass schon geäußert.
Die Sorgerechtsfrage schließlich leitet sich aus der Diskriminierung von ledigen Müttern und Kindern im Familienrecht des Kaiserreichs von 1900 her. Das nichteheliche Kind galt danach als nicht verwandt mit seinem Vater: Es hatte Anspruch auf Unterhalt, nicht aber auf Erbe. Im Grunde wurden damit die Männer des Bürgertums vor Ansprüchen aus Liebesbeziehungen mit Frauen aus der Unterschicht geschützt. Die ledige Mutter wurde lange dem Jugendamt unterstellt und erhielt erst 1969 das Sorgerecht für ihre Kinder, was ihr auch in der Folge weiter zugeschrieben wurde. Die vorige Diskriminierung der Mütter entfiel und die Stellung der ledigen Väter wird allmählich neu definiert. Viele Väter haben sich dafür engagiert und die Frauenbewegung hat auch schon früh dazu aufgefordert. Doch sind Geschlechterkampfmodelle, wie sie aus Teilen der Väterrechtsbewegung kommen, wenig weiterführend. Die gerichtliche Überprüfung der Verweigerung des Sorgerechts ist erforderlich, aber allein kein Zukunftsmodell. Denn es geht darum, die Solidarität des neuen Elternpaares untereinander und mit dem Kind zu stärken, gerade im Sinne des Kindeswohls. Modelle einer neuen Solidarität wären etwa registrierte Partnerschaften für Eltern mit wechselseitigen Verpflichtungen, wobei Väter verstärkt die Chancen erhielten, (jenseits von ein paar Monaten Elternzeit) mit dem Kind zu leben und für es zu sorgen.

Um diese neue Gleichheit zwischen den Frauen und Männern zu entwickeln, sind wechselseitige Anerkennung, geschlechter- und herrschaftskritisches Denken und Bündnisse zu den Kernfragen wichtig. Wenn dazu auch neue Männerbilder und die Anerkennung von Männern gehören – etwa in dem Sinne, dass das Dauerrauschen von harten Muskeln und Eiern, der männlichen hohen Triebsteuerung und geringen Empathiefähigkeit in den Medien endlich von vielfältigen und sensiblen Männerbildern abgelöst würde − bin ich gerne dabei.

Ilse Lenz ist Soziologin und Professorin für Soziologie an der Ruhr-Universität Bochum. Veröffentlichungen zum Thema:
• Die Neue Frauenbewegung in Deutschland. Abschied vom kleinen Unterschied. Eine Quellensammlung. Wiesbaden 2008, 2. Aufl. 2010.
• Kurzfassung: Die Neue Frauenbewegung in Deutschland. Abschied vom kleinen Unterschied. Ausgewählte Quellen. Wiesbaden 2009.
• Cherchez les Hommes. Männer und die Neuen Frauenbewegungen. In: Bührmann, Andrea et al. (Hg.) (2006): Gesellschaftstheorie und die Heterogenität empirischer Sozialforschung. Münster, S. 123-141.


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