Wider den weißen Feminismus oder warum die Marginalisierten den Ton angeben müssen. Ein Manifest

von Emine Aslan

In den letzten Monaten wurde im Zuge der Ereignisse in der Silvesternacht vielfach die  rassistische Instrumentalisierung von Feminismus kritisiert. Die Wortwahl legt nahe, dass ‚der‘ Feminismus in seinem Kern frei von Rassismen sei. Dies jedoch unterschlägt sowohl die vielen unterschiedlichen Feminismen als auch den Rassismus, die diesen innewohnen. Es unterschlägt die zahlreichen Widerstände von Frauen* of Color gegen imperiale und eurozentristische Frauenbewegungen.

#ausnahmslos. Eine politische Intervention.

Angesichts der medial so präsenten rassistischen Interpretationen der sexuellen Übergriffe, die Deutschland als postsexistische Gesellschaft romantisierten, waren die lauten Gegenstimmen extrem wichtig. Mit #ausnahmslos intervenierten wir in einen sehr normalisierten rassistischen Diskurs, in dem ein sexistisches und rassistisches Titelblatt nach dem anderen pseudo-feministische Diskussionen führte. Weit über die deutsche Debatte hinaus reichte diese rassistische Instrumentalisierung, genauso international und kräftig war aber auch die feministische Intervention.

Zu den Erstunterzeichner*innen des #ausnahmslos Statements zählten Feminist*innen aus der ganzen Welt. Akademiker*innen, Aktivist*innen, Arbeiter*innen. Menschen, die im Detail unterschiedliche Feminismen praktizieren, an unterschiedlichen Fronten kämpfen, aber sich hier für den kleinsten gemeinsamen Nenner miteinander solidarisierten: Feminismus darf nicht für Rassismus instrumentalisiert werden. Sexualisierte Gewalt muss ausnahmslos, unabhängig vom Täterprofil, verfolgt werden.

Feministische Praxis kann auf unterschiedlichen Ebenen erfolgen. Individuell, durch unsere alltäglichen Handlungen, die unsere Identitäten sowie die Beziehungen zu Communities herstellen. Oder aber durch kollektive Handlungen in Gruppen, Netzwerken und Bewegungen, die auf feministische Visionen sozialer Veränderungen hinzielen. Auch die theoretische, pädagogische Ebene, auf der Feminist*innen an Wissensproduktionen beteiligt sind, zählt hierzu.[1]

Zum Beispiel Clara Zetkin

Wenn wir auf die deutschen Frauenbewegungen der Vorkriegszeit blicken, stoßen wir unter anderem auf Persönlichkeiten wie Clara Zetkin oder Rosa Luxemburg. Frauen, die kommunistische, anti-kapitalistische Visionen verfolgten und sich in der Arbeiterbewegung organisierten. Die Inhalte der Frauenbewegung damals wurden also von Frauen* mitbestimmt, die der damaligen Arbeiterschicht in Deutschland angehörten. Sie sahen die Verbindungen zwischen Sexismus, Rassismus und Kapitalismus und thematisierten sie entsprechend.

Als eine deklassierte Angehörige der Gesellschaft initiierte Clara Zetkin nicht nur den internationalen Frauentag mit – ein feministisches Erbe, das bis heute gerne angetreten wird –, sondern sie war auch an dem internationalen Arbeiterkongress beteiligt und organisierte 1915 die internationale Konferenz sozialistischer Frauen gegen den Krieg. Aufgrund ihrer Antikriegshaltung wurde sie mehrfach verhaftet.

Wenn Feminist*innen in Deutschland heute also auf das Erbe von Clara Zetkin und Rosa Luxemburg zurückblicken, dürfen die internationalen Solidaritäten dieser Frauenbewegung nicht ausgeklammert werden. Der radikale Charakter dieser Frauenbewegung in Anbetracht der gesellschaftlichen und rechtlichen Stellung von Frauen* muss den gedanklichen Transfer in die heutigen Kontexte schaffen.

Heute jedoch finden wir im Mainstream einen eher bürgerlich weißen Feminismus vor, der einer kapitalistischen Logik verhaftet bleibt. Das fällt hinter feministische Errungenschaften zurück, denn die Ausblendung von marginalisierten und stigmatisierten Subjekten wird einfach reproduziert. Feministische Theorien gehören in ihrer Tradition deklassierten und unterdrückten Frauen und sollten eben von diesen gefüllt werden. Leider bestimmen  heutzutage aber meistens bürgerliche, akademische Positionen den Kurs.

Feminismus, aber für wen?

Feministische Problemanalysen und Praktiken dürfen sich nicht auf Lebensrealitäten bürgerlicher weißer Cis-Frauen beschränken.

Ein Feminismus, dessen lauteste Forderung die gleiche Bezahlung von Männern und Frauen und der berufliche Aufstieg von Frauen in Managerpositionen ist, bezeugt eben nicht, dass Gleichberechtigung und Frauenrechte in Deutschland „so weit entwickelt“ sind, sondern vor allem, dass weiße bürgerliche Interessen den Kern feministischer Diskurse ausmachen. Frauen*, die sich auf der Leiter der Privilegien weiter unten wiederfinden, sehen sich in solch einem Feminismus kaum repräsentiert. Auf diesen Feminismus haben etwa Reinigungskräfte und andere Arbeiter*innen keinen Zugriff mehr. Zu jenen gehören dann auch oft migrantische und/oder muslimische Frauen. Der feministische/frauenrechtliche Fokus auf die Karriere  basiert auf kapitalistischen, profit- und wettberwerbsorientierten Werten.

Für Schwarze Frauen*, Für Frauen* of Color, muslimische Frauen*, Arbeiter*innen ist es auch kein Trost, dass sie mittlerweile nicht mehr allein von weißen Cis-Männern unterdrückt werden, sondern gegebenenfalls auch von weißen Chefinnen. Während die weiße bürgerliche Frau* also dem Konzept des ‚leaning in‘ folgt, steht sie dabei auf den Schultern von Arbeiter*innen, migrantischen, geflüchteten, und/oder muslimischen Frauen*. Während der Feminismus der einen Frau* also darauf ausgerichtet ist, gleichberechtigt bezahlt zu werden, hat die andere Frau* aufgrund ihres Hijabs schlechte Karten, überhaupt einen Job zu bekommen. Oder wird in ihrem Job als Arbeiter*in ausgebeutet.

Somit steht unter anderem das Kopftuchverbot in gewissen Berufen in einem direkten feministischen Interesse eines intersektionellen Feminismus. Die berufliche beziehungsweise ökonomische Beteiligung dieser Frauen* darf nicht „ausschließlich“ als anti-rassistischer Kampf eingeordnet werden.

Wenn wir also über progressive und radikale Feminismen nachdenken (immerhin hat diese Radikalität erst das Frauenwahlrecht ermöglicht), dürfen wir in diesen Kämpfen nicht stagnieren. Während sich eine politische Intervention im gesellschaftlichen Mainstream durchaus auf dem kleinsten gemeinsamen Nenner treffen kann, darf der tragende feministische Diskurs sich nicht darauf ausruhen.

Damals, wie heute muss die rechtliche und gesellschaftliche Deklassierung und Stigmatisierung der marginalisiertesten Frauen tragend für feministische Theorien und Praktiken sein. Etwa die fortdauernde rechtliche Sonderbehandlung von Frauen* mit Hijab, die strukturelle Isolation und Diskriminierung von geflüchteten Frauen*, die Lebensrealitäten behinderter Frauen, Arbeiter*innen oder Transfrauen.

Eine weiße nicht-muslimische Feministin muss beispielsweise nicht die Plattformen muslimischer Frauen* of Color einnehmen, sollte aber in ihrem Feminismus unterschiedliche emanzipative Ansätze mitdenken. Anstatt Hijabis in Alice Schwarzer Manier und vermeintlicher Islamkritik weiterhin gesellschaftlich und ökonomisch zu isolieren, sollten gerade die Emanzipationen von stigmatisierten Frauen weitreichend Gehör in feministischen und gesellschaftlichen Debatten finden.

Anstatt sexualisierte Gewalt für Abschiebungspolitik zu instrumentalisieren, sollten die Menschenrechte geflüchteter Frauen essentieller Bestandteil feministischer Kämpfe sein. Sie sollten auf Plattformen und Netzwerken weißer Feminist*innen mitgedacht werden.

Feministische Kritik an der Staatsbürgerschaft

Unterschiedliche Feminismen, unterschiedliche emanzipative Kämpfe bedingt durch Mehrfachdiskriminierungen und vielfältige Lebensentwürfe sind also keineswegs als Hindernis feministischer Bündnisse zu verstehen. Doch auch in solchen Bündnispolitiken nehmen Frauen* unterschiedliche Positionen ein.

Wir sollten weniger über einen ‚inklusiven‘ Feminismus als vielmehr einen intersektionellen Feminismus reden, der sich der Zusammenhänge von Rassismus, Sexismus und Kapitalismus bewusst ist. Einem Feminismus, der die eigenen weißen bürgerlichen Interessen nicht der Emanzipation anderer Frauen* vorzieht.

Solidaritäten dürfen nicht nur dann funktionieren, wenn Schwarze Frauen* und Frauen* of Color auf dem kleinsten gemeinsamen Nenner für gemeinsame Interessen mit weißen Feminist*innen gemeinsam auftreten. Solidaritäten müssen vor allem mit den am meisten marginalisierten Frauen* eingegangen werden.

Die emanzipativen Kämpfe von Schwarzen Frauen*, Frauen* of Color, geflüchteter Frauen*,  oder von  Arbeiter*innen  dürfen nicht einfach in den Mainstream Feminismus inkludiert werden, sondern müssen im Zentrum dieser Arbeit stehen. Aber davon scheinen wir noch entfernt zu sein, wenn rassistische und diskriminierende Gesetze und Gerichtsbeschlüsse Hijabis die gesellschaftliche und politische Partizipation verwehren und dies zu keinem feministischen Aufschrei führt.

Stattdessen dominieren Alice Schwarzer Feminist*innen den Diskurs und unsere weißen Allies/Unterstützer*innen scheinen zu glauben, dass es genug an Solidaritäten ist, wenn Frauen of Color* ihre Plattformen mit ihnen teilen, um gegen sexualisierte Gewalt laut zu werden.

Progressive feministische Praktiken aber verlangen, an unterschiedlichen Fronten zu arbeiten, in vielen unterschiedlichen Formen von Kollektivität.

Chandra Talpade Mohanty spricht in ihrem Buch „Feminsm without Borders“ davon, dass vor allem im 21. Jahrhundert Dekolonisierung auf allen Ebenen zu einem fundamentalen Bestandteil eines radikal-feministischen Projektes wird.  Für den hiesigen Kontext und der aktuellen Asylpolitik bedeutet das die feministische Kritik an Staatsangehörigkeiten. Gerade die politische und rechtliche Abschottung und Unterdrückung geflüchteter Frauen* ist als eine Krise unserer Feminismen zu betrachten.

[1] vgl. Mohanty, Chandra Talpade 2003: Feminism without Borders. Decolonizing theory, practicing solidarity.