von Dieter Janecek
Grüne Nerds und das Gefasel von Post-Gender
Gibt es auch grüne Nerds? Diese ausschließlich bei den Piraten vermuteten bleichgesichtigen männlichen Computerfreaks, die sich nach gängiger Vorstellung auch während der Biergartenzeit lieber mit Club Mate in dunkleln Zimmern einsperren um ihrer Spielsucht zu frönen, als den Sonnenstrahlen zu frohlocken?
Das Internet ist längst lebensweltliche Realität, die Vielfalt der Milieus auch
Klar gibt es die und es nicht mal wenige. Sie sind Teil der Vielfalt dieser und anderer Parteien, die ja alle danach streben, zumindest in Ansätzen die Gesellschaft abzubilden. Ein paar Nerdinnen gibt es auch, aber die sind rar gesät. Aber was solls? Die Ausbreitung des Internets hinein in die Lebenswelten demnächst sämtlicher Altersschichten ist so rasant, dass wir 2012 schon darüber zu gähnen beginnen, was uns Ende 2011 per Medien-Hype als Internetrevolution und kultureller (= digitaler) Wandel verkauft wurde. Das Universum Internet ist viel zu groß, um von einzelnen Bewegungen repräsentiert zu werden. Spätestens 2013 werden Parteien, die ihr Hipstertum darauf begründen, möglichst viel zu twittern, bereits so spannend sein wie das neuerliche Comeback von Roland Kaiser.
Endloses Technikgeschwurbel schreckt Frauen (und Männer) ab
Wenn das Internet uns also lebensweltlich so überwölbt wie es von außen den Anschein hat, muss doch schleunigst die Frage geklärt werden, inwieweit Parität und Teilhabe der Geschlechter sich in dieser Entwicklung relevant widerspiegeln oder nicht. Männliche Dominanz? Die Wikipedia-Community z.B. ist tendenziell frauenfeindlich. Schon fühlt man sich dort genötigt, eigene Frauencamps für den besseren Umgang miteinander zu organisieren, aber das allein ändert nichts am mangelnden Genderverständnis insgesamt in manchen technizistisch geprägten Diskursräumen. Wo Männer in der Vergangenheit unter sich waren, sind sie erfahrungsgemäß nicht erpicht, dies für die Zukunft zu ändern. Und so drehen wir uns im Kreis. Insbesondere die Diskussionen der Netzpolitik, die vorrangig im technisch-juristischen Rahmen stattfinden, sind für viele Frauen scheinbar eher unattraktiv. Geht mir übrigens genauso. Leistungsschutzrecht, Urheberrecht, ACTA, PIPA, etcetera – alles schön und gut und wichtig, aber das kann es doch nicht allein gewesen sein? Wenn es um das soziale und kreative Potenzial des Internets geht, sind Frauen mit Begeisterung vorne dran wie der hohe Frauenanteil in der Blogosphäre und den sozialen Netzwerken zeigt. Hinzu kommt: Rund um die Netzpolitik (wie auch anderswo) ist Sprache sehr entscheidend. Man kann Fragestellungen so formulieren, dass sie Frauen interessieren – oder abschrecken. „Frauen“ meint dabei „den weiblichen Durchschnitt“ – Ausnahmen gibt es immer.
Das System Piraten ist und bleibt ein männliches
Und die Piraten? Die waren vordergründig ein spannendes Experiment mit wichtigen Impulsen insbesondere in Richtung (digitaler) Demokratie und mehr Beteiligung. Aber wenn der Hype vorüber ist, was bleibt? Vorrangig ein Scheitern. Die Schwerfälligkeit ihrer Entscheidungsstrukturen ist geradezu grotesk, vor allem wenn man dem die Möglichkeiten der Entscheidungsfindung und Vernetzung übers Internet entgegenstellt. Die fast ausschließlich männlichen Trolle bekommen sie nicht in den Griff, sie dominieren den Alltag und das Erscheinungsbild. Und sorry, wer im 21. Jahrhundert Wahllisten mit 80-90% Männern dem Volk anbietet, ist entweder reaktionär, evtl. bei der FDP oder halt eine Landesorganisation der Piratenpartei. Genderpolitik der Piraten? Maximal Gedöns oder Hobby einzelner, solange Posten und Macht bei denen verteilt wird, die Penisse haben. Stundenlanges sinnfreies „Kandidatengrillen“ und Shitstorm“kultur“ sind weitere Attribute männlichen Gehabes, in der möglichst viele (Männer) zu Wort kommen (müssen) mit möglichst geringem inhaltlichen Ertrag. Sollte sich demnächst eine Partei der Gebirgsschützen gründen und von transsexuellen Eichhörnchen faseln, wie gehen wir dann mit ihnen um? Postgender steht in männlich dominierten Strukturen für verdecktes Patriarchat. Bei den Piraten mit Piratinnen wie Julia Schramm und Marina Weisband inklusive, aber was bringts?
Dann wäre da als positive Errungenschaft der Piraten immerhin noch Liquid Feedback: Prinzipiell interessant für mehr Beteiligung von Frauen und Männern, wenn es denn niederschwellig und praktikabel organisiert wäre, so dass nicht nur eine kleine Elite mit ausreichend Freizeit das System dominiert. Als Ergänzung, nicht als Ersatz zur real-life Demokratie. Wird Frauen (und viele Männer) aber nur dann interessieren, wenn sie nicht totgequatscht werden oder wie bei Online-Spielen 24/7 online sein müssen, um in die TOP 10 aufzusteigen.
Nur wer die Machtfrage stellt, steht glaubwürdig für Genderpolitik
Am Ende zählen die Fakten, die reale Verteilung der Macht: Die Grünen, aber auch weite Teile der SPD und der Linken, stehen mit der Quote für gelebte Geschlechtergerechtigkeit und damit für die Moderne. Die Errungenschaften in Sachen Geschlechtergerechtigkeit gilt es offensiv zu verteidigen: von Männern wie Frauen. 50%+ Frauenanteil in Funktionen und Mandaten zählt am Ende eben doch, weil es die Gesellschaft verändert hat und weiter verändern wird. Ohne Quote kein Fortschritt. Nichts ist perfekt, aber die Richtung stimmt. Die stimmt als Folge jahrelanger Diskussionen mittlerweile in Ansätzen selbst bei der CSU, nicht aber bei den Freibeutern.
Und wenn es dann noch gelänge die Netzpolitik in den Parteien, inklusive der Grünen, mit ihren ProtagonistInnen endlich weiblicher zu machen, dann wären wir wieder einen Schritt weiter.
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Dieter Janecek ist Landesvorsitzender des bayrischen Landesverbands Bündnis 90/Die Grünen. Seine politischen Schwerpunkte sind der Einsatz für ökologische Modernisierung und der Kampf für Bürger- und Freiheitsrechte. Er hat das Grüne Männer-Manifest unterschrieben und bloggt auf http://blog.dieter-janecek.de/.