White bond – Welche Frage stellt sich vor der Bündnisfrage?

von Eske Wollrad

Bevor wir uns fragen, welche Bündnisse wir eingehen möchten, sollten wir sorgfältig unsere Mitgliedschaften in schon existierenden Bündnissen überprüfen. Für solche, die mehrfach privilegiert sind, stellt das eine besondere Herausforderung dar, denn oftmals ist das Bewusstsein über solche Mitgliedschaften gar nicht vorhanden. Ich habe viel gelernt von Frauen of Color, die von der White bond sprechen – dem Weißen Bündnis, dem Weiße von Geburt an angehören und in dem sie systematisch trainiert werden, Lügen für wahr zu halten. Es gibt auch andere Bündnisse: Mitglied im Club der TAB-Menschen (temporarily able-bodied) zu sein, bedeutet, sich wohl zu fühlen in Räumen, die nach dem Prinzip des Ausschlusses geschaffen wurden. Die verschiedenen Clubs überreichen ihren Mitgliedern einen federleichten Rucksack, in dem sich viel Nützliches befindet: Pässe, Eintrittskarten, Wegweiser, Empfehlungsschreiben, Blanko-Schecks und Code-Bücher – nichts davon ist zur Weitergabe bestimmt.

Diese Rucksäcke haben einen großen Einfluss auf konkrete Bündnisarbeit. Ein Beispiel: Als vor einiger Zeit ein Bündnis zwischen Schwarzen und Weißen Frauen scheiterte und die Schwarzen Frauen die Zusammenarbeit beendeten, begründeten sie ihre Entscheidung damit, dass es uns Weißen Frauen an Substanz mangelte. Was sie damit – denke ich – meinten, war unsere mangelhafte Auseinandersetzung mit unseren Rucksäcken – unseren Privilegien. Unsere Verhaltensweisen dokumentierten, wie sehr wir in der White bond verankert waren. Hinzu kommt, dass wir nicht ehrlich waren bezüglich unserer jeweiligen Beweggründe, bei dem Bündnis mitzumachen. Zuweilen ging es weniger um konkrete antirassistische Arbeit, sondern um das persönliche berufliche Fortkommen oder darum, „irgendwas“ mit Schwarzen Aktivistinnen zu machen. Keine von uns Weißen hat sich vor Beginn der Zusammenarbeit gefragt, was sie dazu qualifiziert.

Bei all den Aspekten dieser Online-Debatte zu Möglichkeiten, Chancen und Grenzen von Bündnispolitik ist m.E. die Frage der Bündnisfähigkeit die entscheidende. Dabei geht es weniger um die Gestaltung von Verhandlungsprozessen und ob es uns gelingt, andere ausreden zu lassen, sondern um die Frage, was wir zu bieten haben – mit anderen Worten: welches Feminismusverständnis unserer Arbeit zugrunde liegt. Wie bündnisfähig ist eine Geschlechterpolitik, wenn sie bislang problemlos auf Bündnisse verzichten konnte? Wie bündnisfähig ist ein Feminismus, der Bündnisse dann befürwortet, wenn diese den vor sich hindümpelnden Kahn der Geschlechterpolitik wieder flott machen? Was ist das für ein Feminismus, der nicht in einer Bündniskultur verankert ist? Ist die emanzipative Geschlechterpolitik in vielen Bereichen vielleicht auch deshalb rückläufig oder stagniert, weil sie oftmals autoreferentiell (und damit gar nicht emanzipativ) ausgerichtet war bzw. ist?

Die afrikanisch-amerikanische Juristin Ida Lewis schrieb schon vor vielen Jahren: „Bei der Frauenbefreiungsbewegung geht es im Grunde um einen Familienstreit zwischen Weißen Frauen und Weißen Männern. Und es ist grundsätzlich nicht gut, sich in Familienzwistigkeiten einzumischen. Wenn sich die Wogen geglättet haben, werden doch immer Außenseiter_innen aufs Korn genommen.“ Das ist ein Erbe eines Rucksack-Feminismus, der die Dominanzfamilie nie verlassen wollte.

Es wäre schon ein guter Anfang gemacht, wenn sich die Erkenntnis durchsetzte, dass frauenpolitische Ansätze nicht „divers“ geworden sind, sondern es – abgesehen von einigen Weißen westlichen Mittelschichtsfeminismen – schon immer waren. Wenn Gender nur interdependent gedacht werden kann, folgt daraus, dass sich Geschlechterpolitik über Bündnisarbeit erst konstituiert.

Meines Erachtens sind Bündnisse dann fruchtbar, wenn sie sich an postkolonial-feministischer Theoriebildung orientieren, die die Erkenntnisse feministischer Disabilityforschung aufnimmt (das ist bislang nicht immer der Fall). Bündnisfähigkeit bedeutete dann, eigene Einsichten als vorläufig und anfechtbar zu verstehen und offen zu sein für die kritischen Interventionen von Geanderten, deren Theorieproduktion bislang genichtet wurde.

Damit wäre einer Geschlechterpolitik der Weg geebnet, die zu sich selbst kommt, indem sie lernt zu stottern.

 

Dr. Eske Wollrad, Referentin für Gerechtigkeit und gesellschaftliche Verantwortung beim Bundesverband Evangelische Frauen in Deutschland e.V.; Arbeitsschwerpunkte sind Rassismuskritik, die Critical Whiteness Studies und Disability Forschung