von Sebastian Scheele
Männerbewegte, denkt strukturell! Kurzschlüsse und Überbrückungskabel in der Debatte um Männerpolitik.
Was Männerpolitik ist und welche Ziele sie verfolgen sollte, wird zur Zeit kontrovers diskutiert. Alleine in den letzten Monaten haben einige Stellungnahmen die Debatte um produktive Aspekte bereichert: Das Grüne Männermanifest Nicht länger Machos sein müssen, die Studie zu Männerrechtlern von Thomas Gesterkamp für die FES, die Positionierung des in Gründung befindlichen Bundesforum Männer gegen männerrechtlerische Positionen. Oft – und insbesondere in der Presse – sind die Lageanalysen jedoch wenig überzeugend, und es herrscht ein Innovations-Gestus des „Hoppla, jetzt kommen endlich wir!“ vor, der sich seit Jahrzehnten wiederholt. Deshalb möchte ich hier auf einige Eckpunkte verweisen, hinter die die Debatte nicht zurückfallen sollte.
Gesellschaft als Ehedramolett?
Geschlechterpolitik hat seit jeher mit einer Personalisierung ihrer Anliegen zu kämpfen. Sie wird als „Gedöns“ wahrgenommen, ihre Akteur_innen werden so marginalisiert und abgewertet. Auch diejenigen, denen an einer Aufwertung des auf Männer fokussierten Teils dieses Politikfelds gelegen ist, tragen oft zu diesem kontraproduktiven Privatismus bei: Wenn versucht wird Gesellschaft mit den Begriffen der Individualpsychologie zu verstehen oder den Mitteln der Paartherapie zu verändern, können vergeschlechtlichte Institutionen, Normen, Strukturen gar nicht mehr in den Blick kommen. In der Folge werden Geschlechterverhältnisse (meist im Singular) gleichgesetzt mit dem Verhältnis zwischen „den Männern“ und „den Frauen“, oder gleich mit heterosexuellen Beziehungsmustern. Das ist genauso wenig überzeugend wie Kapitalismus als Herrschaft gieriger Heuschrecken oder Rassismus als Frage von Intentionen zu behandeln.
Ein solcher Privatismus ist es auch, Geschlechterpolitik nur im Horizont von Persönlichkeitswachstum und Bewusstseinsbildung zu denken. Dabei kommt all das zu kurz, was über das Interpersonale und Identitätsfragen hinaus geht. Entsprechend wird die politische Debatte oft personalisiert: Mit einem Kurzschluss vom Geschlecht der Debattierenden auf ihre politischen Überzeugungen und umgekehrt. Wer in diese Homogenisierungen nicht hineinpasst, wird pathologisiert, beispielsweise zum selbsthassenden „Frauenversteher“, der die eigenen Bedürfnisse verleugnet. Diese psychologisierende Abwertung ist nicht nur wenig originell oder überzeugend, sondern erhöht auch nicht die Diskussionsbereitschaft der Mitdiskutierenden. Wer eine politische Auseinandersetzung anstrebt, sollte auch die Bereitschaft zu politischer Auseinandersetzung mitbringen.
Männerbewegte, denkt strukturell!
Wer über persönliche Erfahrungen sprechen möchte – gern. Jedoch sollten sie auch als solche gekennzeichnet sein, und nicht als universalisierende Gegenwartsdiagnosen. Dass sich in der „Männerbewegung“ größtenteils weiße, nicht-behinderte Mittelklassen-Heten artikulieren, ist schon oft angemerkt worden, hat aber nur selten zu einer selbstreflexiven Positionierung und einem Verzicht auf Verallgemeinerungen geführt.
Wer von Geschlechterpolitik sprechen möchte – ebenfalls gern, jedoch bitte mit einem Horizont, der die dafür relevanten Wissensbestände wahrnimmt. Dies ist nicht einfach die Forderung, die nötigen Hausaufgaben zu machen (auch das, soviel Ungeduld über die immer gleichen Argumentationen sei hier erlaubt), sondern auch der ermutigende Hinweis, dass nicht jedes Mal das Rad neu erfunden werden muss. In den Gender Studies findet sich ein reiches konzeptionelles Instrumentarium von Begriffen wie Geschlechternormen, gender als sozialer Institution, Geschlechterverhältnisse, Intersektionalität etc., die zum Verständnis der Realität wesentlich weiter reichen als die immer wieder herangezogenen „Geschlechterrollen“, die verallgemeinernde Aufrechnung von Benachteiligungen oder gar essentialistische Setzungen. Inhaltlich findet sich dort so viel ausdifferenziertes Wissen in den verschiedensten Disziplinen und Themenbereichen, dass eine Übersicht hier unmöglich ist. Daran kann für die jeweiligen Arbeitsgebiete angeknüpft werden. Es geht darum, mithilfe dieser Wissensbestände eine Politik zu entwickeln, die dem strukturellen Charakter von Geschlechterverhältnissen gerecht wird. Das ist zwar herausfordernd, aber auch dafür kann auf Erfahrungen zurückgegriffen werden: War nicht genau das der Anspruch der Strategie Gender Mainstreaming – Gleichstellung als Querschnittsaufgabe?
Den geschlechterpolitischen Rahmen wahrnehmen
Männerpolitik ist nun im Koalitionsvertrag erwähnt und hat ein eigenes Referat im BMFSFJ erhalten. Für eine fundierte Einschätzung dieser „Erfolge“ müssen die geschlechterpolitischen Entwicklungen der letzten Jahre wahrgenommen werden. Auf Bundesebene ist da vor allem die ambitionierte Implementierung von Gender Mainstreaming zu nennen – und ihre schrittweise Demontage (siehe Lewalter et al). In diesem Rahmen gab es längst die Beschäftigung mit der Lage von Männern und Jungen – fachlich differenziert in den unterschiedlichen Politikfeldern (und oft begleitet von uninformierter männerbewegter Polemik). Es ist eine unrealistische Erwartung an ein einzelnes neues Referat, den Abbau der systematischen Gender Mainstreaming-Strukturen der letzten Jahre aufzufangen. Wie sollen dort Maßnahmen z.B. zu den immer wieder beklagten Themen von „Bildungsverlierern“ oder Männergesundheit umgesetzt werden, wo diese doch in der Zuständigkeit von Bildungsministerium oder Gesundheitsministerium liegen? Ohne den Rahmen einer Strategie, die auch die anderen Ministerien zu gleichstellungsorientiertem Arbeiten verpflichtet, steht Geschlechterpolitik wieder genauso marginalisiert da wie im letzten Jahrtausend vor rot-grün. Dieser Rückschritt ist die eigentliche tragische Entwicklung der letzten Jahre, vor der frühzeitig gewarnt worden ist (GMEI-Brief 2006, CEDAW-Auschuss der UN).
Unabhängig von aller – auch feministischer – Kritik an Gender Mainstreaming und von der Frage, ob nun wieder auf dieses Pferd gesetzt werden sollte, gilt: Für die realistische Einschätzung der politischen Spielräume ist es zentral, die geschlechterpolitischen Debatten, Errungenschaften und Niederlagen der letzten Jahre zu kennen. Punktuelle Neueinrichtungen erscheinen dann auf jeden Fall weniger als bahnbrechende Auftakte. Völlig obsolet werden selbstverständlich die Angstfantasien vom feministischen Umerziehungsstaat.
Die Erkenntnisse der Gender Studies und anderer kritischer Wissenschaften können uns helfen, präzise Problemfelder zu benennen; die Erfahrungen der Gleichstellungspolitik können wir auswerten, um produktiv eine politische Strategie zu entwickeln. Dazu gehört auf jeden Fall, Politisches nicht zu Zwischenmenschlichem klein zu reden. Vielmehr gilt es, strukturelle Fragen politisch zu diskutieren, um der – umfassend verstandenen – Gleichstellung näher zu kommen.
Sebastian Scheele ist Soziologe und hat bis Ende 2009 im GenderKompetenzZentrum in der wissenschaftlichen Politikberatung zu Gleichstellungspolitik gearbeitet. Jüngst erschien seine „Studie zur Männergesundheitsförderung „Geschlecht, Gesundheit, Gouvernementalität“.