Widerstand durch Selbstermächtigung

von Frigga Haug

Das Cyborg-Manifest bleibt aktuell, denn die Entwicklung der Gen- und Informationstechnologie schreitet rasant voran. 1984, im Geburtsjahr des Manifests, galt es, Bilanz zu ziehen. In negativer Utopie fochten die einen gegen die Entwicklung von Technoscience, welche die Herrschaft des Menschen über die Natur bis zum bitteren Ende angetreten zu haben schien. Utopistisch frohlockten die anderen, die glaubten, dass sich die Menschen der Natur in einem Ausmaß bemeistert hätten, dass die Utopie sehr langen, gesunden Lebens Wirklichkeit werden könne. Zwischen diesen Positionen lavierte die Frauenbewegung, die technologische Bemeisterung als männlich verdammend die einen, die zugleich zunehmend esoterisch eine vom technologischen Fortschritt ganz unberührte edle Weiblichkeit bis hin zur Besetzung des Göttlichen für sich reklamierten. Die anderen erwarteten von der Technologie eine Befreiung durch Entkopplung der Frauen von der biologischen Fortpflanzung.

Donna Haraway griff ein mit dem Aufruf, die „Gentechnologie sozialistisch-feministisch zu unterwandern“ (1995, 165). Es geht ihr nicht darum, in Technikgläubigkeit alle Care-Arbeit an Roboter zu überantworten, sondern darum, in der „Informatik der Herrschaft“ das der kapitalistischen Inbetriebnahme geschuldete Ausmaß und die darin steckende Gewalt gegen Frauen offensiv zu beantworten. Sie nimmt den feministischen Zorn gegen männliche Herrschaft auf: „‘Genetic Engineering‘ […] ist ein Science-Fiction-Ausdruck, der den Triumph phallozentrischer Begierde suggeriert, den Triumph, die Welt neu zu erschaffen ohne die Vermittlung fleischlicher Frauenkörper. Er deutet auf das Ende zwischenmenschlicher Sexualität, auf die Herrschaft masturbatorischer Rationalität in ihrer entwurzelten, permanent pornographischen Form.“ (168) Gegen die Experten in Naturwissenschaft und Ärztestand ruft sie zu eigener Qualifizierung auf, um überhaupt in den „gesellschaftlichen Wissenschafts- und Technologieverhältnissen“ (167) sich bewegen zu können, und eine „eigene biotechnologische Politik zu entwickeln“ (169).

Haraway ermutigt, die Einmischung von Frauen in neue Wissensarten, in Arbeit, Sexualität und Reproduktion als Herausforderung anzunehmen und das Einreißen von Grenzen zwischen Natürlichem und Technischen/Künstlichen als Erleichterung zu leben, weil in den alten Grenzen Herrschaft befestigt sei. Dabei geht es ihr nicht darum, alle Grenzen zwischen Mensch-Maschine, Natur und Kultur, Geist und Körper und viele andere, die als gewohnte Dualismen Tradition haben in der westlichen Kultur, einzureißen und dies als Politik zu empfehlen. Sie beobachtet vielmehr, dass in der Entwicklung der Bio- und Technowissenschaften diese Grenzen mehr und mehr verschwimmen und schlägt den sozialistischen Feministinnen vor, sich dringend kompetent zu machen, und mit Vergnügen zu zeigen, wie beim Niederreißen der Grenzen Dimensionen kenntlich werden, die zum Herrschaftsgebäude kapitalistischer Gesellschaften und ihrer Reproduktion gebraucht werden, und vor allem, sich an der neuen Grenzziehung zu beteiligen.

So würde sie am Robotereinsatz in der Pflege der Zusammenbruch der Vorstellung von der liebevollen umsonst arbeitenden mütterlichen Schwesterfigut heiter stimmen, weil diese zum Funktionieren der Reproduktion von Kapitalismus unentbehrlich war. Und bei der In-vitro-Fertilisation das Schicksal des Jungfrauenkultes, mit dem Frauen in vielen Kulturen bis zum Ehrenmord gefesselt sind. Sie plädiert in jedem Fall dafür, in den Umbrüchen die Restaurierung von Herrschaft zu unterbrechen. Dabei geht ihre Bejahung der Fortschritte in der Gentechnologie mit den Möglichkeiten genetisch beförderter Heilungsprozesse einher mit einer scharfen Kritik etwa an der Nutzung von Unterschichtsfrauen in Puerto Rico als Experimentierfelder für neue Medikamente. Sie fordert dazu auf, kapitalistische Politik offenzulegen. Zu ihr gehören in allererster Linie Mega-Profite der Konzerne und die staatlichen Institutionen, die dies absichern. Feministinnen sollten eigene Listen erstellen, auf denen die Probleme der Gentechnologie unter Berücksichtigung von Geschlecht, Rasse und Klasse aufgeführt und öffentlich diskutiert werden wie Arbeits- und Ernährungsprobleme, Armut, Gesundheit, wirtschaftliche Macht.

Politisch geht es auch darum, die stützenden Strukturen anzugreifen: das trotz aller Künstlichkeit gefestigte heterosexuelle Schema und die Indienstnahme von Träumen vom Ende aller „Ursprungsmängel“, fehlerlose Kinder „als Spezialanfertigung“ (168). „Medizin, Geschlecht und multinationales Kapital verschmelzen zu einem einzigen Alptraum“ (169). Die Gegenwehr hat zugleich den Kampf um Bedeutungen und Metaphern zu führen, wie die biologische Welt zu denken ist, wie den um Forschungsstrukturen, die ein Puffer gegen die Marktanforderungen sein können. Insofern sind Bündnisse sozialistischer Feministinnen mit allen fortschrittlichen Organisationen und Gruppen notwendig.

 

Dies ist der erste Artikel des zweiten Themas „Roboter: Zur Un_Ersetzbarkeit von Care-Arbeiter_innen“ der Debatte „Monströse Versprechen: Technologien zwischen Risiko und emanzipativem Potential“.


©frigggahaug.inkrit.de - Alle Rechte vorbehalten
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Frigga Haug, Dr.phil.habil.; Herausgeberin deutschsprachige Fassungen von D. Haraways Texten; bis 2001 Prof. für Soziologie, Hamburger Universität für Wirtschaft u. Politik. Gastprof. in Kopenhagen, Innsbruck, Klagenfurt, Sydney, Toronto, Durham (USA).-Politisches Engagement: Antiatombewegung, SDS, Frauenbewegung; Erwachsenenbildung bei Gewerkschaften u. Kirche. Mitbegründerin der Berliner Volksuni. Mitglied der Partei DIE LINKE, Vorsitzende des InkriT, Berliner Institut für Kritische Theorie. Mithg. des Historisch-kritischen Wörterbuchs des Marxismus; der Zeitschrift Das Argument; im wiss.Beirat von attac und RLS, u.d. Instituts für eine solidarische Moderne.

Hinweis: Haug, Frigga. „Haraways Herausforderungen an unsere Denkweisen“, erscheint in Argument 315, Mensch-Natur-Verhältnisse (II), Februar 2016 (Argument-Verlag)