Macht, Herrschaft und die männliche Nachfrage nach käuflicher Sexualität

von Udo Gerheim

 

Was ist Prostitution

Die heterosexuelle Prostitution ist eine geldbasierte soziale Beziehung. Die Handlungslogik wird bestimmt durch den Austausch sexueller Handlungen, die der Prostitutionskunde im Rahmen eines klar umgrenzten Zeitraums von einer weiblichen Sexarbeiterin käuflich erwirbt. Gekauft wird dabei nicht ›der‹ Körper oder ›die‹ Frau, sondern eine klar begrenzte sexuelle Dienstleistung, eine Inszenierung, fokussiert auf die sexuellen und sozialen Bedürfnisse des Freiers. Die Sexarbeiterin bringt darin, zum Zweck des Gelderwerbs, ihren Körper und ihre Körperöffnungen zum Einsatz. Durch diese (mündliche) Vereinbarung erhält der Freier ein aktives Zugriffsrecht auf den Körper und die Sexualität der Sexarbeiterin. In der Debatte um Prostitution wird dieses soziale Verhältnis zum einen als patriarchales Herrschafts- und Unterdrückungsverhältnis bzw. als sexuelle Gewalt und Ausbeutung klassifiziert. Zum anderen werden Freier in normalisierender Absicht als Kunden, Gäste oder Konsumenten einer sexuellen Dienstleistung klassifiziert, analog zur Nachfrage anderer körperbezogener Angebote wie Fußpflege, Massagen oder Kosmetikdienstleistungen.

Herrschafts-Strukturen

Strukturell betrachtet ist die Prostitution in ihrer eindeutigen, geschlechtsspezifischen und geschlechtshierarchischen Arbeitsteilung eine überhistorisch einmalige patriarchale Institution, die dem männlichen Kollektiv einen weitgehend unbeschränkten und institutionell garantierten Zugriff auf den weiblichen Körper und die weibliche Sexualität ermöglicht.

Mit der Entstehung der bürgerlich-patriarchalen Gesellschaft wird die Prostitution in der Regel über die männliche ‚Natur‘ und der Befriedigung überschüssiger männlicher Triebenergie legitimiert. Prostitution nimmt dabei eine ’notwendige‘ Kompensationsfunktion jenseits der ‚Befleckung‘ ehrbarer und ‚asexueller‘ bürgerlicher (Ehe-)Frauen ein: z.B. als (klassenübergreifender) sexueller Initiationsritus (‚Hörner abstoßen‘), als Sexmöglichkeit für unverheiratete Männer bzw. für Männer fern ihrer Ehefrauen (Seeleute, Soldaten, Wanderarbeiter, Studenten etc.) oder für sexuelle Ausschweifungen bürgerlicher Ehemänner. Diese grundlegende Struktur wirkt bis heute sowohl normalisierend, kompensierend und anziehend zum einen als organischer Bestandteil männlicher Lebenswelt und Sexualbiografie, zum zweiten zur Konfliktbearbeitung privater (sexueller) Probleme und zum dritten als geheimnisvoll-erotische Subkultur mit dem ’schlaraffenlandartigen‘ Versprechen einer omnipotenten sexuellen Wunscherfüllung.

Anzumerken ist noch, dass in der gesellschaftlichen Perspektive die Nachfrageseite in diesem sozialen Verhältnis weitgehend unsichtbar bleibt. Durch die Machttechnologie der doppelten Moral sowie der Spaltung des weiblichen Geschlechterraums in ‚Heilige‘ und ‚Huren‘ wurde ein Prostitutionsregime etabliert, dass es Männern erlaubte, Prostituierte einer erbarmungslosen Kriminalisierung, Diskriminierung und Stigmatisierung auszusetzen und gleichzeitig die Prostitution als notwendige gesellschaftliche Institution zur Befriedigung männlicher Bedürfnisse zu etablieren und zu nutzen.

Die Mikrophysik der Macht

Die Mikrophysik der Macht im konkreten Zusammentreffen zwischen einer Sexarbeiterin und einem Freier kann jedoch nicht eins zu eins aus den strukturellen Gegebenheiten abgeleitet werden. Dies hängt, neben der juristisch-ordnungspolitischen Rahmung, wesentlich von den Motiven, dem Selbstverständnis, dem Erfahrungsschatz und dem Frauenbild der Freier ab als auch von den Machtressourcen, die die Sexarbeiterinnen mobilisieren können. So unterscheiden sich beispielsweise Freier massiv in ihrem Denken, Fühlen und Handeln. Es kann vermutet werden – genaue Daten liegen leider nicht vor –, dass die große Mehrheit der Nachfrageseite die Sexarbeiterinnen neutral-freundlich, respektvoll oder bewundernd betrachtet und schlicht Sex, (körperliche) Nähe oder ein Gespräch sucht. Dazu kann bei ihnen, implizit oder explizit, ein mehr oder weniger ausgeprägter moralisch-ethischer Anspruch an eine gewaltfreie, konsensuale Nachfragepraxis und -kultur ausgemacht werden. Hiervon unterscheiden sich wesentlich solche Männer, die ein herablassendes oder verachtendes Bild von Sexarbeiterinnen internalisiert haben und die destruktiv-misogyne Bedürfnisse und Gewaltphantasien in der Prostitution ausleben wollen.

Die Sexarbeiterin demgegenüber kann den Kontakt zu einem Freier ablehnen oder den vereinbarten Kontrakt jederzeit legal aufkündigen und dem Freier das Zugriffsrecht auf ihrem Körper entziehen. Zudem liegt es in ihrer Macht die Begegnung zu lenken und zu bestimmen beispielsweise die (sexuelle) Interaktion einseitig, abweisend oder unambitioniert zu gestalten, es schnell zum Ende zu bringen oder intensiv auf die Kundenwünsche einzugehen. Dieses Machtpotenzial ist allerdings stark durch die allgemeine Lebens- und Arbeitssituation und die darin enthaltenen ökonomischen, sozialen und emotionalen Freiheitsgrade der Sexarbeiterin bestimmt (Selbstbewusstsein, Konkurrenzsituation, ökonomische Situation, Menschenkenntnis, Berufserfahrung, Aufenthaltsstatus, Selbstbestimmungsgrade in der Arbeit/Tätigkeit, Gesundheitszustand, Tätigkeitsmotiv etc.).

Die Machtfrage bzw. die Frage, ob Frauen in den jeweiligen Prostitutionssettings unterdrückt oder ausgebeutet werden, die oft im Zentrum der Prostitutionsdebatte steht, kann daher nur empirisch beantwortet werden und hier ist aktuell ein erheblicher Mangel an gesichertem Wissen festzustellen, obwohl viele eine sehr dezidierte Meinungen hierzu äußern.

Prostitution forever?

  • Wenn jegliche zwangsprostitutiven Verhältnisse konsequent ausgeschlossen wären,
  • wenn zweitens Gewalthandeln im Prostitutionsfeld konsequent geächtet und bekämpft werden würde – hier sind m.E. insbesondere die Freier in der Pflicht beispielsweise mit der Initiierung einer öffentlichen Kampagne „Freier gegen Freier-Gewalt – für einen respektvollen Umgang mit Sexarbeiterinnen“,
  • wenn drittens alle Menschen, die, aus welchen Gründen auch immer, freiwillig in der Sexarbeit arbeiten, darin aber zugleich eine Verletzung ihres körperlich-sexuellen Selbstbestimmungsrechts sehen, eine offene Wahl für oder gegen Sexarbeit hätten beispielsweise durch die Vergabe von Heroin auf Rezept, einen üppigen Mindestlohn oder ein bedingungsloses globales Grundeinkommen,
  • wenn viertens eine breite und kritische Diskussion über die gesellschaftliche Organisation von Sexualität geführt werden würde, die sowohl die problem- und konflitkbehaftete Seite der Prostitution und Prostitutionsnachfrage einschließt (normierende (geschlechtsspezifische) Sexualitätskonzepte, Monogamiegebot und polyamoröse Bedürfnisse, die normierende Kopplung von Sex und Liebe, Umgang mit Einsamkeit und kommunikativen Problemen eine Sexualpartner_in zu finden, die Unfähigkeit sexuelle Bedürfnisse zu artikulieren bzw. Verständnis und Offenheit hierfür zu finden etc.) als auch den Mut aufbringt, das lustvolle Moment, die Ausschweifung und das rauschhafte Potenzial der Prostitution als Inspiration und Anregung für das soziale Feld der Sexualität insgesamt zu diskutieren,

ist der marktförmige Sexualaustausch unter gegebenen kapitalistischen Verhältnissen denkbar – fragt sich nur für wen und was noch.

Die grundlegende Frage, wie sich die sexuellen, geschlechtlichen, sozialen und ökonomischen Verhältnisse in einer freien und solidarischen Welt, jenseits kapitalistischer Ausbeutungs- und Entfremdungslogik, transformieren und ausgestalten, steht noch mal auf einem ganz anderen Blatt.

Udo Gerheim hat lange zum Thema Sexarbeit/Prostitution geforscht und eine Studie zur männlichen Nachfrage nach käuflicher Sexualität verfasst. Aktuell arbeitet er als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universtität Oldenburg und ist politisch in antirassistischen Zusammenhängen aktiv.