Die Prostitutionsdebatte – ein Streit um Sexualität

von Stefanie Lohaus

 

Seit September 2013 lässt sich in verschiedenen feministischen Zusammenhängen beobachten, wie sich dort FeministInnen* in BefürworterInnen* und GegnerInnen* des sogenannten „nordischen Modells“ spalten. Je länger debattiert und je mehr Argumente auf den Tisch kommen, desto deutlicher wird, dass es dabei in erster Linie gar nicht unbedingt um Menschenhandel zum Zweck der sexuellen Ausbeutung oder um die Reform des liberalen Prostitutionsgesetztes in Deutschland geht, sondern um verschiedene Sichtweisen in Bezug auf Sexualität.

Nicht nur aufgrund dieser versteckten Agenda kommen sowohl BefürworterInnen*, als auch GegnerInnen* des Sexkaufverbots immer an einen Punkt, an dem sie hochemotional werden – beim Thema Sex geht es schließlich auch um uns selbst. Ein weiterer Grund ist, dass es sich bei einem der derzeit verhandelten Vorschläge um ein Verbot handelt. Auch wenn keine einzige politische Partei in Deutschland dieses Verbot übernommen hat, so steht es doch als feministische Forderung im Raum. Ein Verbot ist absolut, es differenziert nicht. Und doch kann es wohl kaum feministisch genannt werden, wenn manche Frauen auf Kosten anderer lediglich ihre eigenen Moralvorstellungen durchsetzen. Deswegen ist immens wichtig, dass FeministInnen* anfangen, sich mit ihren unterschiedlichen Sichtweisen auf Sexualität auseinanderzusetzen.

Diese Forderung ist nicht neu, in einer Recherche zu den feministischen Debatten um Sexualität in den 1980ern habe ich einen Text der Philosophin Ann Ferguson gefunden, auf den meine Ausführungen aufbauen.[1]

Die radikalfeministische Position

FeministInnen*, die ein Sexkaufverbot fordern, sprechen aus einer Position heraus, die sich im Radikalfeminismus der 1970er Jahre entwickelt hat. Sie betonen, dass heterosexuelle sexuelle Beziehungen durch eine Ideologie sexueller Objektivierung gekennzeichnet sind. In ihr gelten Männer als handelnde Subjekte und Frauen als ihre Objekte, wodurch männliche Gewalt an Frauen legitimiert wird.

Die Auflösung dieser Subjekt-/Objektbeziehung würde erlangt, indem Frauen die Kontrolle über ihre eigene Sexualität erlangen: Indem sie die sexuellen Wünsche von Frauen stark machten, die sich – so die These – radikal von denen der Männer unterscheide: Sie zeichne sich durch den Wunsch nach emotionaler Intimität aus, die Sexualität der Männer hingegen durch den Wunsch nach Lustgewinn, die auch vor Gewalt nicht halt mache. Entsprechend fordern sie auf, sexuelle Praktiken, die Sex von Emotion entkoppeln, zurückzuweisen, da diese die implizite männliche sexuelle Gewalt normalisieren würde. Diese Analyse führt zu einer Vorstellung davon, wie „gute“, also feministische Sexualität aussehen soll: Sie soll von großer emotionaler Nähe geprägt sein.

Die libertär-feministische (sexpositive) Position

Im Gegensatz dazu möchte eine libertäre-feministische (oder auch in Anlehnung an die us-amerikanischen Diskurse „sexpositive“) Position, Verbote jenseits von eindeutiger sexualisierter Gewalt zurückzuweisen. Denn sie betont, dass sexuelle Beziehungen durch eine Ideologie religiöser, patriarchaler und bürgerlicher Normen eingeschränkt werden, die sich strukturell auf alle Mitglieder der Gesellschaft auswirkt. Durch aktives Praktizieren abweichender Sexualitäten könne man demnach das eigene sexuelle Sittenverständnis ausweiten und neu justieren. Die einschränkende Prägung unserer Sexualität nähre sich vor allem durch Stigmatisierung sexueller Minderheiten und ein rigides heteronormatives Regelsystem. FeministInnen* sollten daher jede rechtliche Einschränkung und moralische Verurteilung bekämpfen, die sexuelle Minderheiten stigmatisiert und die sexuelle Freiheit beschneiden. Das bedeutet, dass im Endeffekt nur sie für ihre eigene Sexualität verantwortlich sind – dabei ist alles zulässig, was auf einem Konsens der Beteiligten in Bezug auf den sexuellen Akt beruht. Eine feministisch „gute“ Sexualität wäre demnach eine, die den größtmöglichen Lustgewinn für die am Sex beteiligten Personen bereitstellt.

Beide Positionen haben Stärken und Schwächen

Anhand dieses vereinfachten Vergleiches lassen sich Stärken und Schwächen der beiden Positionen gut erkennen. Die radikalfeministische Annahme, dass Männer „uns Frauen“ unsere emotionale weibliche Sexualität gestohlen haben, ist vereinfachend und essentialistisch: Nur in der jüngeren westlichen Geschichte wurde eine „emotionale weibliche Sexualität“ konstruiert, und auch das nur als Sexualität „respektabler Frauen“, gegen die eine männliche Sexualität des physischen Lustgewinns in Stellung gebracht wurde. Und selbst in westlichen Kulturen galt – und gilt – diese Form von „respektabler weiblicher Sexualität“ nie für alle Frauen, sondern nur für bestimmte Gruppen, die sich zum Beispiel nach Herkunft, Ethnie und Klasse abgrenzen lassen. Auch bleibt diese Position in der heteronormativen Matrix von Mann und Frau verhaftet: Machstrukturen in nicht-heterosexuellen Beziehungen werden komplett ausgeblendet.

Die Forderung nach der „richtigen weiblichen Sexualität“ ist also eine Forderung, die anderes weibliches Begehren ausschließt. Frauen, deren Sexualität nicht ausschließlich von diesem Bedürfnis nach dieser Art von Sexualität gekennzeichnet ist, werden sich in dieser Position nicht wiederfinden. Auch sind die Forderung des Radikalfeminismus anfällig für Allianzen mit antifeministischen Fraktionen, die aus anderen Gründen an einer Einschränkung der sexuellen Selbstbestimmung der Frau interessiert sind.

Auf Seite des sexpositiven-libertären Feminismus muss vor allem kritisiert werden, dass er in letzter Konsequenz die Idee von Konsens absolut setzt: Jede konsensuelle sexuelle Aktivität kann als unproblematische Lösung akzeptiert werden. Die individuelle Aushandlung eines Konsens hebelt die ungleichen Machtverhältnisse, in deren Rahmen sexuelle Aktivitäten stattfinden, jedoch nicht aus. Und diese ungleichen Machtverhältnisse können sich auch auf die Beziehungen auswirken und den Konsens unterlaufen. Soll heißen: Der Grad der Konsensfähigkeit ist abhängig von der ökonomischen, sozialen Stellung der beteiligten Personen. Wer Konsens fordert, ohne die realen Machtstrukturen im Blick zu haben, bevorteilt aber nur diejenigen, die sowieso privilegiert sind.

Als Ferguson ihre Positionen entwarf, gab es noch keine queer-feministische, poststrukturalistische Sicht auf das Geschlechterverhältnis. Anhand dieser Ausführungen wird jedoch auch deutlich, warum sich Queer-Feministinnen in den Debatten um das Sexkaufverbot eher auf die Seite der SexarbeiterInnen* stellen, die eine Normalisierung von Sexarbeit fordern: Das Ziel der Entstigmatisierung von sexuellen Minderheiten, zu denen auch SexworkerInnen* zählen, ähnelt dem Ziel der Auflösung der heteronormativen Matrix.

Ökonomische Ungleichheit abbauen stärkt alle Frauen

Doch egal, ob Radikalfeministin oder „sexpositive“ Feministin: Wir müssen anerkennen, dass Sexualität sich derzeit gleichzeitig durch Machtstrukturen und durch ein Befreiungspotential auszeichnet. Um diesen Widersprüchlichkeiten Rechnung zu tragen, müssen wir unsere Idealvorstellungen von Sexualität in einem größeren Kontext sexueller Beziehungen und Machtstrukturen reflektieren. Es muss möglich sein, die Aspekte an Sexarbeit oder Pornographie zu kritisieren, die ungleiche Machtstrukturen in der Gesellschaft stützen, denn nur so kann letztendlich tatsächliche Konsensfähigkeit gewährleistet werden.

Es heißt aber auch: Gesetze, wie das liberale deutsche Prostitutionsgesetz reichen nicht aus, um die ungleichen Machstrukturen in der Gesellschaft und damit für SexarbeiterInnen* zu verbessern, sie können zu Missbrauch und Ausbeutung führen – dem muss Rechnung getragen werden.

Gleichzeitig trägt das schwedische Sexkaufverbot starke Züge einer bürgerlichen und radikalfeministischen Normvorstellung von Sex. Männer würden nun mal nach möglichst einfachem Lustgewinn streben und potentiell zu Prostituierten gehen, wenn es denn gesellschaftlich akzeptiert sei, so die Annahme, nach der das Sexkaufverbot gestrickt ist. Das ist zu einfach: Die Sexualwissenschaft hat starke Hinweise erbracht, dass Sexualität nicht so geschlechtsspezifisch verschieden funktioniert, und dass es innerhalb männlicher und weiblicher Sexualität verschiedenste kulturell abhängige Ausformungen und Prägungen gibt. Dazu kann auch Sexarbeit gehören, ihr Angebot und ihre Inanspruchnahme. Deswegen gilt aber auch: Es gibt gar nicht unendlich viele Männer, die Interesse an bezahltem Sex haben.

Trotz aller Unterschiede: Es müsste eigentlich Punkte geben, auf die alle, die sich mit Sexarbeit befassen, einigen können: der Abbau gesellschaftlicher Machstrukturen, von Frauenarmut, der Abhängigkeit der Frauen in Beziehungs- und Familiengeflechten, und der menschenunwürdigen Bedingungen unter denen Sinti und Roma leben, wären nur einige wenige Beispiele. Konkrete politische Forderungen wären etwa die Förderung ökonomischer Gleichstellung durch Mindestlöhne, Maßnahmen zur Verkleinerung des Gender Pay Gap, die Abschaffung von Mini-Jobs hierzulande, aber natürlich auch die Forderung nach ökonomischer Besserstellung von Menschen in Herkunftsländern von SexarbeitsmigrantInnen*. So können wir Sexarbeit von Menschen verhindern, die in der Prostitution unglücklich sind, aber nur schwer einen Ausweg finden – ganz ohne ein Verbot.

 

[1] http://www.jstor.org/discover/10.2307/3174240?searchUri=%2Faction%2FdoBasicSearch%3FQuery%3DSexuality%2 Bdebates%26amp%3Bacc%3Doff%26amp%3Bwc%3Don%26amp%3Bfc%3Doff&resultItemClick=true&Search=yes&searchText=Sexuality&searchText=debates&uid=3737864&uid=2134&uid=2&uid=70&uid=4&sid=21103963630611

Stefanie Lohaus, geb. 1978 in Dinslaken, lebt seit 2010 in Berlin. Bis 2006 Studium der Angewandten Kulturwissenschaften in Lüneburg mit Abschluss Magistra Artium. Journalistin, Publizistin, feministische Aktivistin, seit 2008 Herausgeberin und Redakteurin des feministischen Missy Magazines. Seit Mai 2014 ist sie Mitglied des Frauenrats der Heinrich-Böll-Stiftung. Derzeit schreibt sie gemeinsam mit ihrem Partner Tobias Scholz ein Sachbuch zum Thema gleichberechtigte Partnerschaft.