Ein deutscher Frühling wider dem Partriarchat

von Ahmad Mansour

Ein deutscher Frühling wider dem Partriarchat

Mein Name ist Ahmad Mansour, ich bin Diplom- Psychologe, lebe seit sieben Jahren in Deutschland und arbeite als Gruppenleiter bei Heroes. Für mich ist Heroes nicht nur ein Arbeitsplatz, sondern ein persönlicher Entwicklungsprozess. In diesem Raum habe ich gelernt meine Einstellungen in Frage zu stellen, reflektiert zu denken und bestimmte Ängste zu beseitigen. Dort habe ich gelernt, Gleichberechtigung zum Lebensziel zu machen.

Helden im Namen der Ehre
Heroes ist ein Projekt gegen die Unterdrückung im Namen der Ehre und für Gleichberechtigung. Jedes Jahr werden junge Frauen mitten in Deutschland aufgrund ihres Lebensstils von Familienmitgliedern ermordet. Tausende von Frauen werden zwangsverheiratet, drangsaliert und es wird ihnen verwährt am öffentlichen Leben teilzunehmen. Mädchen wird verboten am Sportunterricht teilzunehmen oder einen Freund zu haben, sich zu entfalten und Erfahrungen zu sammeln. Das basiert auf sogenannten Ehrenvorstellungen und patriarchalischen Strukturen, die in einer Demokratie nichts zu suchen haben. Eben jene Problematik hat sich Heroes zur Aufgabe gemacht. Gemeinsam mit Jugendlichen/ jungen Erwachsenen aus den Ehrenkulturen anzusprechen und essentielle Themen zu enttabuisieren mit dem Ziel patriarchale Strukturen zu durchbrechen.

Wir haben 25 Jugendliche als Multiplikatoren und Vorbilder ausgebildet. Unsere Heroes sind junge Männer zwischen 16 und 23 Jahren aus Ehrenkulturen, die wir ausbilden, damit sie zu unterschiedlichen Themen wie Demokratie, Gleichberechtigung, Menschenrechte, Selbstbestimmung und Unterdrückung in Schulen, Jugendtreffs und Freizeitklubs Workshops durchführen können.

Die jungen Männer werden in ihrer Freizeit von den GruppenleiterInnen trainiert, damit sie als Rollenvorbilder andere Jugendliche zur Auseinandersetzung mit diesen Themen motivieren und gewinnen können. Dieser Prozess dauert ca. ein halbes Jahr. Danach gehen sie nach außen in Schulen und bieten Workshops an. Zweck dieser Workshops ist es, so viele Jugendliche wie möglich zu erreichen und ihnen zu zeigen, dass es türkische und arabische Jugendliche gibt, die genauso aussehen wie sie, die gleiche Kleidung tragen und die gleiche Herkunft haben und trotzdem aktiv für Gleichberechtigung und gegen die Unterdrückung eintreten. Oft wird den SchülerInnen zum ersten Mal klar, welche Konsequenzen auf der emotionalen Entwicklungsebene ihre Einstellungen haben könnten. Ihnen wird häufig zum ersten Mal eine Reflexionsmöglichkeit angeboten ohne das Thema als Kulturkampf zwischen dem Westen und dem Osten zu stilisieren.

Den Erfolg von Heroes und die Anerkennung, die wir in den letzten vier Jahren für die Arbeit erhielten, haben uns Mut gemacht. Mut um weiterzumachen und die Zukunft unserer Gesellschaft mitzugestalten. Wir glauben daran, dass wir gemeinsam gegen die Unterdrückung im Namen der Ehre kämpfen können und die Menschen in unserer Gesellschaft zum Nachdenken bringen. Unsere Heroes sind einzigartig – weil sie für die Gleichberechtigung in Ehrenkulturen kämpfen. Denn wo gibt es schon deutsche (männliche) Jugendliche, die ihre Freizeit “opfern”, um für Frauenrechte einzustehen?

So haben wir auch im letzten Jahr hunderte Schülerinnen und Schüler besucht, um mit ihnen über Demokratie, Ehre und Frauenrechte zu diskutieren. Wir haben ihnen durch unseren Einsatz gezeigt, dass es auch anders geht, dass die Menschenrechte überall gelten und dass Ehre keineswegs die Unterdrückung der Frauen bedeutet. Wir haben Tabus gebrochen!

Kampf für Gleichberechtigung = Kulturkampf? – Über Instrumentalisierungsversuche
Der Kampf für Gleichberechtigung wird oft als Kulturkampf gesehen: Ost gegen West, muslimische MitbürgerInnen gegen die Mehrheitsgesellschaft. Diese Einstellung und gesellschaftliche Atmosphäre erschwert unsere Arbeit sehr. Oft werde ich als Verräter gesehen. Als eine Person, die gegen den Islam agiert und Herkunft sowie Werte aufgegeben hat, um sich der deutschen Kultur “anzupassen“. Solche Meinungen zeigen wie oberflächig die Diskussion über Gleichberechtigung in diesem Land verläuft.

Ich bin vehement dagegen, den Kampf für Gleichberechtigung als Kulturkampf zu sehen. Diese Angelegenheit betrifft jeden Menschen in diesem Land, das sind deutsche Frauen, die zwangsverheiratet werden, genau wie es deutsche Frauen sind, die den Ehrenmorden zum Opfer fallen oder zur Prostitution gezwungen werden und für die gleiche Arbeit weniger Lohn bekommen. An dieser Stelle wird der oder die eine ungläubig (hinter)fragen: “Wie? Heutezutage wird hier keine deutsche Frau zwangsverheiratet!” Und das obwohl es meist Frauen betrifft, die in Deutschland geboren wurden, aufwachsen und die deutsche Staatsangehörigkeit besitzen. Nur wenn wir dieses Problem als eine Angelegenheit betrachten, die uns alle betrifft, können wir gemeinsam nach Lösungen suchen und den Kampf gegen das Patriachat jenseits der Religion und Kultur führen.

Wo sind die BündnispartnerInnen? – Über Chancen und (Heraus)Forderungen
Um dieses Ziel zu erreichen, brauchen wir auch muslimische und/ oder migrantische PartnerInnen, die bereit sind, ihre Tradition, Kultur und zu hinterfragen. Genauso brauchen wir PartnerInnen aus der Mehrheitsgesellschaft, die Gleichberechtigung nicht nur als ein Problem der muslimischen Community betrachten und ihre Werte, Gesetze und gesellschaftlichen Strukturen ernsthaft in Frage stellen. Ein “wir” das eben nicht allein die Mehrheitsgesellschaft umfasst, sondern inklusiv ist.

Leider mangelt es an PartnerInnen – auch in der muslimischen Community. Gleichwohl sich die meisten muslimischen VertreterInnen öffentlich gegen Zwangheirat und Ehrenmord geäußert haben. Dennoch fällt es ihnen schwer diese Problematik zum Thema zu machen. Sie schreiben, dass es sich hierbei um alte, fast ausgestorbene traditionelle Praktiken handle und dass diese nichts mit dem Islam zu tun haben. Sie sind (aber) nicht bereit sich ernsthaft mit den Ursachen für Ungleichheit zwischen den Geschlechtern auseinanderzusetzen etwa mit Erziehungsmethoden, Familienstrukturen und den interpretierten religiösen Inhalten, welche die Unterdrückung von Frauen dulden und fordern.

So gehen Bündnisse, die für diesen Kampf unverzichtbar sind, schlicht verloren, weil viele in ihren Einstellung so verfestigt sind, dass jede Kritik bezüglich Frauenrechte als Kritik an der eigenen Identität wahrgenommen wird. Es wird versucht, die Problematik von Ehrenmorden oder Zwangsheiratungen durch Probleme in der Mehrheitsgesellschaft wie Familiendrama oder Zwangsprostitution zu verharmlosen.

Deshalb sage ich ganz klar: wir brauchen eine neue Führung in der migrantischen und muslimischen Community! Solche wie unsere Heroes, die den Mut zeigen, um sich schwierigen Fragen zu stellen und bereit sind den arabischen Frühling auf familiären Ebenen gegen das Patriarchat zu kämpfen.

 

Ahmad Mansour, lebt seit 7 Jahren in Deutschland. Er hat in Tel Aviv Psychologie, Soziologie und Anthropologie studiert sowie an der Humboldt Universität das Studium als Diplom- Psychologe abgeschlossen. Seit Ende 2007 arbeitet Ahmad Mansour als Gruppenleiter bei Heroes e.V. – Gegen die Unterdrückung im Namen der Ehre und für Gleichberechtigung. Ferner ist er seit 2010 wissenschaftlicher Mitarbeiter des Projekts Astiu – „Auseinandersetzung mit Islamismus und Ultranationalismus“. Ahmad Mansour beschäftigt sich mit Themen wie Antisemitismus und Erziehungsmethoden bei muslimischen Familien und psychosozialen Problemen bei Menschen mit Migrationshintergrund.