Politik ohne Bündnisse? Bündnisse ohne Politik?

von Beate Müller-Gemmeke

Politik ohne Bündnisse? Bündnisse ohne Politik?

Es bleibt unvorstellbar. Das Eine verlangt das Andere und umgekehrt. Bündnisse gibt es auf den unterschiedlichsten Ebenen – gesellschaftlich, wirtschaftlich, politisch. Diese Bündnisse geben uns Politiker_innen Rückhalt und Feedback und sind wichtige Partnerschaften, um politische Ziele und Vorhaben in die Gesellschaft zu tragen (vgl. Monika Lazar). Auch für eine geschlechtergerechte Gesellschaft brauchen wir gute und starke Bündnisse, weil sie dazu beitragen, dass unser Handeln wirkt und nicht an den Menschen vorbeigeht. In Bündnissen treffe ich auch wichtige Multiplikator_innen. Sie haben vielfältige Möglichkeiten, Menschen für oft auch schwer zugängliche Themen zu sensibilisieren.

„Mir geht es aber auch darum, über das „Wir“ hinaus zu gehen“
Während der Arbeit in und mit Bündnissen wird das eigene Profil geschärft. Das „Wir“ ist für eine engagierte und gute politische Arbeit wichtig und trägt dazu bei, den eigenen Standpunkt und die eigenen Ziele zu konkretisieren. Mir geht es aber auch darum, über das „Wir“ hinaus zu gehen. Raum für Diskussionen sind für mich eine Selbstverständlichkeit – ungeachtet dessen, welche Ergebnisse dabei erreicht werden. Ich habe schon oft erlebt, dass vermeintliche „Gegner_innen“ eines Projekts zu kooperativen Bündnispartner­_innen oder konstruktiv-kritischen Beobachter_innen werden. Ausgeschlossen werden sollte niemand, egal welcher Ansicht er oder sie ist. Voraussetzung ist natürlich, dass wir uns auf Augenhöhe und mit Wertschätzung begegnen.

Wer steckt drin? – Über prekäre Löhne, unsichere Arbeitsbedingungen und den Niedriglohnsektor
Dabei ist es wichtig, offen zu bleiben, sich nicht zu sehr auf eine Richtung oder einen Gedanken zu beschränken. Frauenpolitische Bündnisse haben sehr viel für eine geschlechtergerechte Gesellschaft geleistet und tun das nach wie vor. Bei meiner Arbeit als Arbeits- und Sozialpolitikerin geht es mir aber auch darum, weitere Bündnispartner_innen mit ins Boot zu holen. Sie können primär andere Interessen im Blick haben, aber daraus ergeben sich im besten Fall Synergieeffekte, die nützlich sein können. Ein Beispiel: Arbeitnehmer_innenrechte sind selbstverständlich auch Frauenrechte. Wenn es darum geht politische Lösungen gegen prekäre Löhne, unsichere Jobs oder ungerechte Entgeltstrukturen zu finden, dann betrifft das natürlich auch die Rechte der Frauen. Hier wird Arbeitsmarktpolitik zur Frauenpolitik. Fast jede dritte vollbeschäftigte Frau arbeitet im Niedriglohnbereich. Wir Grünen wollen den Niedriglohnsektor begrenzen, denn Menschen müssen faire Löhne erhalten, von denen sie auch leben können. Wenn wir also breite Bündnisse mit Gewerkschaften, Arbeitgebenden und Wohlfahrtsverbänden schließen und gemeinsam gegen ungerechte Arbeitsbedingungen vorgehen, entsteht daraus auch ein Bündnis gegen die ungleiche Behandlung von Frauen auf dem Arbeitsmarkt. Alle Beteiligten des Bündnisses werden für die berechtigten Anliegen der Frauen sensibilisiert und werden zu Mitstreiter_innen. Bündnisse eingehen bedeutet demnach Gemeinsamkeiten und Schnittstellen zu suchen, die nicht immer auf den ersten Blick zu erkennen sind. Das heißt auch, dass Bündnisse spontan entstehen können. Bündnispolitik ist ein Prozess, Interessensgruppen finden sich zufällig, sie bündeln Fachwissen und Energien und schaffen dann gemeinsam mit Vertreter_innen aus Politik und Gesellschaft eine breitere Akzeptanz für feministische und emanzipatorische Ziele.

Gender Pay Gap – Kein Umdenken in den Köpfen der Chefetagen, Bündnispolitik gescheitert?
Allerdings können die Möglichkeiten von Bündnisse auch begrenzt sein. Das sehen wir beispielsweise beim Thema  Entgeltgleichheit. Der sogenannte gender pay gap – die Entgeltlücke zwischen Frauen und Männern – stößt in der breiten Bevölkerung auf Ablehnung. Dennoch sieht die Realität anders aus: Frauen verdienen immer noch umgerechnet 23 Prozent weniger als Männer. Und das, obwohl es bereits große Anstrengungen für Bündnisse mit allen Beteiligten – Arbeitgeber, Gewerkschaften, Verbände – gibt. Feministische Strömungen, Vereinigungen von Frauen in Wirtschaft und Politik und Wissenschaftler_innen haben über Jahre hart dafür gearbeitet, dass endlich ein Umdenken in den – meist männlichen – Köpfen der Chefetagen stattfindet. Passiert ist aber immer noch nichts, Bündnispolitik hat hier bislang nicht funktioniert. In der Konsequenz muss dann der Gesetzesgeber in die Pflicht genommen werden, um die Rechte der Frauen und gleichberechtigte Behandlung durchzusetzen. Wir brauchen gesetzliche Regelungen, die „gleichen Lohn für gleiche und gleichwertige Arbeit“ von Frauen und Männern garantiert. Aber auch für gesetzliche Regelungen sind wiederum Bündnisse notwendig. Nur mit Mehrheiten können Gesetzesvorhaben umgesetzt werden.

Bündnisse sind und bleiben unerlässlich – es müssen nur die richtigen sein.

 

Beate Müller-Gemmeke, geb. 1960, ist seit 2009 Mitglied des Deutschen Bundestages und Sprecherin für Arbeitnehmerrechte der Bundestagfraktion von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN. Sie studierte Sozialpädagogik an der Fachhochschule Reutlingen und war zunächst als Kommunalpolitikerin aktiv. Seit 1997 ist sie Mitglied von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und von 2003 bis 2009 war sie im Landesvorstand der Grünen in Baden-Württemberg. Sie ist Mitglied im Bundestagsausschuss für Arbeit und Soziales und im bundesweiten Sprecherteam von GewerkschaftsGrün.