Was für eine Männerpolitik brauchen wir?

von Martin Wilk

Wurde in der letzten Zeit über das kürzlich veröffentlichte grüne Männermanifest diskutiert, endete dies sehr häufig bei der Frage, ob es nicht an der Zeit wäre endlich männerpolitische Gremien bei den Grünen zu etablieren. Nach dem Vorbild der „großen Schwester“, der Frauenpolitik, wäre die Schaffung von politischen Institutionen denkbar, die die Interessen von Männern in den Blick nehmen und sich mit männerspezifischen Problemen auseinandersetzen. Auch außerhalb der Grünen scheint das Thema zunehmend aktuell zu werden. So gibt es seit dieser Legislaturperiode ein Referat „Gleichstellungspolitik für Männer und Jungen“ im Ministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend und kürzlich gründete sich das Bundesforum Männer nach dem Vorbild des Deutschen Frauenrates, ein Netzwerkprojekt, in denen sich Wohlfahrtsverbände, Vereine und andere Institutionen zusammengefunden haben, um eine Interessenvertretung für Männer zu bilden.

Das klingt zunächst vernünftig, vor allem wenn eine solche Männerpolitik emanzipatorisch gedacht ist und nicht der wirren Vorstellung anhängt, eine vermeintlich verlorene männliche Hegemonie zurückgewinnen zu müssen. Diese emanzipatorische Männerpolitik könnte zudem den anti-feministischen Bewegungen etwas entgegen halten, die sich offensichtlich aus einer Mischung aus frustrierter Männlichkeit, christlichem Fundamentalismus sowie rechtspopulistischer Rhetorik speisen und dabei kräftig Schützenhilfe aus der liberal-konservativen Presse erhalten.

Ilse Lenz unterscheidet in ihrem Blog-Beitrag grob drei Strömungen in der Männerpolitik. Das sind zum einen die De-Konstruktivist_innen, die das herrschende Paradigma Zweigeschlechtlichkeit herausfordern und auf die Konstruiertheit der heutigen Geschlechterverhältnisse hinweisen. Sie stehen jeder Identitätspolitik enorm skeptisch gegenüber und fordern vor allem die Anerkennung anderer sexueller Identitäten und Lebensentwürfe. Im Gegensatz dazu steht die so genannten Männerrechtler-Bewegung, die man auch als Traditionalist_innen bezeichnen könnte. Sie leiten aus der vermeintlichen biologischen Zweigeschlechtlichkeit eine natürliche soziale Rollenverteilung ab. Tradierte Geschlechterverhältnisse werden von ihnen nicht in Frage gestellt. Ihre politische Agenda ist häufig geprägt von anti-feministische und homophoben Positionen.

Die Reformist_innen, zu denen Ilse Lenz auch die grüne Männermanifestler zählt, können hingegen irgendwo dazwischen angesiedelt werden. Ihre Ziele seien vielmehr realpolitischer Natur. Sie wollen auf die existierenden Benachteiligungen für beide Geschlechter hinweisen und Strategien zur Überwindung dieser Ungleichheit entwickeln.

Bei Ilse Lenz klingt an, dass für die reformistische Strömung, die Kritik an der Konstruktion von Geschlechterverhältnissen ein wenig in den Hintergrund rückt und der Fokus stattdessen vielmehr auf der Bearbeitung von konkreten Politikfeldern liegt. Die Gegenüberstellung von De-Konstruktivist_innen und Reformist_innen in der Männerpolitik erscheint mir allerdings weniger plausibel. Denn so wie das Männermanifest von de-konstruktivistischen Denkanstößen geprägt ist, leugnen auch die meisten de-konstruktivistischen Ansätze die gegenwärtigen Geschlechterverhältnisse nicht. Vielmehr handelt es sich bei dem einen um eine kritische philosophische Auseinandersetzung mit den existierenden Geschlechterverhältnissen und bei den anderen um eine politische Strategie.

Jedoch wird bei dieser groben Einteilung der existierenden männerpolitischen Positionen ein Knackpunkt deutlich: Unterschiedliche Vorstellungen darüber was unter Geschlecht verstanden wird und welche Rollenbilder damit verbunden werden, führen zu unterschiedlichen politischen Schlussfolgerungen über Gleichheit und Gerechtigkeit. In dieser Hinsicht unterscheidet sich Männerpolitik nicht von feministischen Ansätzen.

Jedoch muss sich Männerpolitik zunächst einmal darüber im klaren sein, wie sie mit der Kategorie Geschlecht eigentlich umzugehen gedenkt? Hier sehe ich Defizite, denn leider setzen sich viele Männerpolitiker nur unzureichend mit dieser Frage auseinander oder scheinen implizit bereits festgelegt zu sein. So wird beispielsweise in den beschlossenen Leitlinien des Bundesforums Männer darauf verzichtet, das Paradigma der Zweigeschlechtlichkeit zu problematisieren. Stattdessen versteht man sich primär als eine Interessenvertretung für Jungen, Männer und Väter. Der konstruktive Charakter der Kategorie Geschlecht wird ebenso wenig angesprochen, wie die Frage, ob es wünschenswert wäre die Einteilung der Welt in Männer und Frauen irgendwann einmal zu überwinden. Eine solche Initiative, so begrüßenswert ihre Zielstellungen in der praktischen Arbeit auch seien mögen, muss aufpassen, das sie nichts anderes als eine abgeschwächte Variante männlicher Identitätspolitik betreibt.

Das Männermanifest, das ich selbst unterstützt habe, ist hier konkreter. Es thematisiert diese Fragen und unterstreicht, dass es sich bei den gegenwärtigen Geschlechterverhältnissen um eine soziale Konstruktion handelt. Jedoch leugnet es auch nicht, dass wir nach wie vor in einer Welt leben, in der die Unterscheidung zwischen Mann und Frau eine soziale Realität darstellt, die im täglichen Umgang ständig reproduziert wird. Diskriminierung, die Menschen als solche wahrnehmen und als ungerecht empfinden, kann nur dann aufgelöst werden, wenn man sich kritisch mit den Kategorien auseinandersetzt, die ein Ungerechtigkeitsverhältnis konstituieren. So wird die Gender-Pay-Gap wohl nicht dadurch verschwinden, dass man einfach behauptet, Männer und Frauen gäbe es nicht. Im Gegenteil, das Leugnen von sozialer Realität, könnte sogar zu einem Fortbestehen von existierenden Ungerechtigkeiten führen.

Sollte die Männerpolitik daher den gleichen Weg wie die Frauenpolitik gehen und sich Institutionen oder sogar Gremien geben, in denen Strategien für Geschlechtergerechtigkeit entwickelt werden können? Sollte sich eine emanzipatorische Männerpolitik also an der Frauenpolitik orientieren? Ich denke nicht, denn die Ausgangslage ist eine völlig andere. Frauenpolitik war eine Antwort auf dominante Machtstrukturen in Politik und Gesellschaft, die man als männerbündlerisch und patriarchal beschreiben kann. Bis heute haben frauenpolitische Strukturen und Institutionen in der Politik das Ziel, der anhaltenden Diskriminierung von Frauen etwas entgegenzusetzen. Dabei erwies es sich als eine sehr erfolgreiche Strategie, Frauen geschützte Räume zur politischen Diskussion und Organisation zu bieten, um ein Gegenmodell zur patriarchalen Lebenswelt zu bieten. Gleichzeitig führte eine solche Institutionalisierung aber auch zu einer Stärkung weiblicher Identitätspolitik und somit zu einer Festschreibung von Geschlechtergrenzen. Obwohl postmoderne Denker_innen dies immer wieder kritisch gegenüber solchen Ansätzen angemerkt haben, erscheint eine solche Strategie auch heute noch relativ alternativlos.

Frauenstrukturen sind eine Notwendigkeit, die Männerpolitik startet hingegen aus einer anderen Position. Nach wie vor ist diese Gesellschaft in vielen Lebensbereichen durch eine männliche Hegemonie geprägt. Die Schlaglichter sind bekannt: Frauen verdienen nach wie vor fast überall auf der Welt wesentlich weniger als Männer. Die Führungsetagen in Wissenschaft, Wirtschaft und Politik sind meist ausschließlich von Männern besetzt und der schlecht oder überhaupt nicht bezahlte Care-Sektor wird von Frauen dominiert.

In vielen gesellschaftlichen Bereichen werden zudem männlich konnotierteVerhaltensmuster, wie Durchsetzungsfähigkeit oder Führungsstärke, gewöhnlich belohnt, während Emotionalität oder Zurückhaltung, häufig weiblich konnotiert, eher verpönt sind. Männliches Redeverhalten in politischen Diskussionen ist hier sicherlich nur ein Beispiel. Dabei sind es nicht nur Männer, die sich durch männliches Auftreten auszeichnen. Männlichkeit ist vielmehr eine Art übergreifende Ordnung, der man sich zu unterwerfen hat, wenn man es „zu etwas“ bringen möchte.

Ich habe deshalb Zweifel, ob eine Institutionalisierung der Männerpolitik, beispielsweise in Form von exklusiven Männergremien, für die Durchsetzung von Geschlechtergerechtigkeit wirklich dienlich ist. Es ist vielmehr zu befürchten, dass dadurch eine männliche Gruppenidentität gestärkt wird, die bestehende Geschlechterstereotype fortführt und keine Antworten auf existierende Diskriminierung bietet. Das Jungen zu Bildungsverlierern werden oder Männer öfter gewalttätig sind, kann nicht dadurch überwunden werden, dass ihre politische Interessenvertretung gestärkt wird. Wichtiger erscheint mir hingegen, dass endlich die starren männlichen Identitätskonstruktionen aufgebrochen werden, die nach wie vor prägend sind für die männliche Sozialisation. Dies kann jedoch nur gelingen, wenn wir uns langfristig aus unserem gegenwärtigen Geschlechterdualismus lösen können. Denn anders als bei der weiblichen Emanzipation werden bei der männlichen Emanzipation die Anerkennung von anderen Geschlechtsidentitäten eine viel größere Rolle spielen müssen. Dazu gehört vor allem auch die Auseinandersetzung mit Transsexualität und Intersexualität.

Dazu muss allerdings ein langfristiger Wertewandel angestoßen werden, den Politik vor allem im Bereich der frühkindlichen Bildung und der Schulpolitik mitgestalten kann. Aber auch andere Bereiche wie zum Beispiel Gesundheitspolitik oder Sozialpolitik bieten Möglichkeiten überkommene Männlichkeitsbilder abzustreifen. Männerpolitik sollte daher vor allem eine Querschnittsaufgabe in unterschiedlichen Politikbereichen sein und nicht als Interessenpolitik für eine Gruppe verstanden werden. Dazu brauchen wir eine ehrliche Auseinandersetzung mit Rollenbildern und Stereotypen in allen Politikfeldern.

Martin Wilk, geboren 1981, Diplom Sozialwissenschaftler, studierte in Leipzig, Berlin und Lissabon Soziologie und Politikwissenschaft. Er war von 2007 bis 2010 Büroleiter der Frauenpolitischen Sprecherin im Bundesvorstand von Bündnis 90/ Die Grünen und Mitarbeiter in der Arbeitgruppe „Genderpolitik“ des Bundesvorstandes von Bündnis 90/ Die Grünen. Er promoviert zu ‚Gewalt in sozialen Protestbewegungen‘ an der Humboldt Universität Berlin und ist derzeit Visiting Scholar an der Columbia University, New York.